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„Architekturen der Wissenschaft“ und „Wissenschaft der Architekturen“ |
Archiv - Kultur | |
Sonntag, 9. Juli 2006 | |
Bereits zum fünften Mal lud die Leiterin des Architekturlaboratoriums Steiermark, Charlotte Pöchhacker, zum Architekturdialog ins Grazer Literaturhaus. Die Dialoge begleiten die Konzeption einer Wanderausstellung zur aktuellen Architektur in und aus der Steiermark, die im nächsten Jahr durch mehrere europäische Städte touren wird, um schließlich, sukzessive ergänzt und erweitert, mit einer Präsentation in Graz abzuschließen.
Vom Verschwinden der Ferne. Thema des aktuellen Architekturdialoges waren interdisziplinäre Herausforderungen zwischen Archi-tektur und Wissenschaft. Den Einführungsvortrag hielt Peter Weibel, u.a. Direktor des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Die Theorie kommt vor der Erfahrung – alle maßgeblichen wissenschaftlichen Entwicklungen der Neuzeit gehen nicht auf eine Erfahrung zurück, sondern wurden erst über theoretische Konzepte in Experimenten bewiesen. Die Elektrizität, so Weibel, „wurde gefunden", weil Maxwell 1873 eine Gleichung aufgestellt hatte, die das Phänomen elektromagnetischer Wellen bedingte. Erst 1886 konnten diese durch Heinrich Hertz nachgewiesen werden. Architektur wurde traditionell immer im Kontext von anthropomorphen Wahrnehmungstheorien angesiedelt. Paradigmen zeitgemäßer Architektur führten aber zu einer Abkehr vom Prinzip des anthropomorphen und anthropozentrischen Sehens, des anthropomorphen Maßes. Eine neue Gleichung entsteht aus Parametern des Ortes und des Seh-ens in Anlegung algorithmischer Verfahren mittels Computer. Durch die telematischen Medien (Fernsehen, Telefon etc.) hat sich das Bewusstsein von Ort im 20. Jahrhundert verändert. Architektur dagegen ist stets als eine Art Metaphysik der Nähe und Präsenz verstanden worden, wie sie im Bild der Architektur als zweiter Haut manifestiert war. Durch telematische Medien hat sich das Empfinden von Skalierung und Distanz verändert, so kann eine Taxifahrt vom Grazer Zentrum zum Flughafen länger dauern - und damit subjektiv als weitere Strecke empfunden werden -, als der anschließende Flug nach Paris. Die Planungsmethoden selbst haben sich unter Verwendung telematischer Medien insofern verändert, dass Planer sich nicht allein des Rechners als Zeichenmaschine bedienen, sondern sich auch an komplexe systemtheoretische Verfahrensweisen gewöhnen mussten, die an die biomorphe Blob-Architektur heranführten. Ein paradigmatisch historischer Einschnitt im Kontext des „Verschwinden des Raumes" (siehe dazu Edith Decker, Peter Weibel (Hg): Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst. Köln 1999) ist das Scanner-Prinzip, nach dem 1840 erstmals eine Zeichnung in eine lineare Folge von Punkten in der Zeit aufgelöst wurde und von einem Sender an einen Empfänger übertragen werden konnte. An die Stelle der anthropomorphen tritt also nun die zeichenzentrierte Raumerfahrung, weshalb sich auch die Architektur mit Problemen der „Ortlosigkeit" auseinandersetzt. Dieser Begriff ist nach Weibel aber nicht gleichzusetzen mit der „Utopie", vielmehr entspricht er einem Topos, wie ihn Michel Foucault zu Anfang der 1960er Jahre in einem Vortrag vor Architekten gebrauchte, nämlich die „Heterotopie". Als beispielhaft heterotop versteht Weibel Orte, an denen die Gesellschaft dereguliert wird, wo spezifische, nur an solchen Orten geltende Regeln zu tragen kommen und er führt Beispiele für Orte an, an denen man sich im allgemeinen undeklariert aufhalten kann wie Bahnhöfe, Spitäler, Konzertsäle oder Museen. Abschließend hält Weibel fest, gegenwärtige Architektur muss sich an Zonen variabler Visibilität orientieren - und etwas kryptisch: Sollte es gelingen, die Präsenz des Computers anstelle der Präsenz der Architektur einzuführen, so könnte man sich in den nächsten Jahrzehnten einer variablen Architektur nähern. Architektur und Klang. Markus Pernthaler sollte im Verlauf der Diskussion Peter Weibel widersprechen: Gerade Krankenhäuser seien keine Heterotope. Im schlimmsten Fall werden Klienten als Patienten mit Krankenwagen oder Helikopter an den Ort gebracht. Mit Software zur Betriebsorganisation werden diese Klienten statistisch erfasst, um ihre Aufenthaltszeit zu optimieren, um den Ort und die gebotenen Leistungen so kurz wie möglich in Anspruch zu nehmen. Der Ort steht also in Verbindung mit konkretisierten Zeiteinheiten Gerade dieses Faktum aber beinsprucht wiederum Weibel als maßgeblich für das Heterotop: Ein Krankenhaus mit entsprechender Betriebsorganisation und Logistik sei einer Rechenmaschine vergleichbar. Am Beispiel des „Akustiklaboratoriums" Helmut-List-Halle beschreibt Markus Pernthaler ein „Entwicklungsprojekt" gegenüber dem strikten Anforderungsprofil, „eine brillante akustische Halle zu schaffen mit einem höchstmöglichen Maß an Flexibilität", was einem physikalischen Widerspruch gleichkomme, weil ein akustisch optimierter Raum auch ein spezifisches akustisches Profil hat. Im Wesentlichen wird ein akustisch anspruchsvoller Raum durch Nachhallzeit definiert. Bei Veränderung der Raumgröße infolge der geforderten Flexibilität, verändert sich auch die Nachhallzeit, die bei unverstärkter, etwa klassischer Musik im Bereich von 0,8 bis 1,5 Sekunden und bei elektronisch verstärkter Musik unter einer Sekunde liegen soll. Für Planung und Bau eines 40.000 Kubikmeter großen Gebäudes, das besagten Anforderungen entsprechen soll, standen nur 13 Monate zur Verfügung. Man war also gefordert, und das betrifft alle am Bau beteiligten Partner von Bauherren bis zu Akustikspezialisten, sehr schnell präzise Fragen an alle Disziplinen zu stellen, um in kürzester Zeit verbindliche Antworten zu erhalten. Eine der zentralen Ideen war die Umsetzung des Orchesterraumes in Anlehnung an das Modell der Resonanzkörper von Musikinstrumenten. Architektur und Energie. Zum Thema „Wissenschaft der Architekturen" sprach Brian Cody, Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie der TU Graz. Seine Arbeiten behandeln Fragen um die Integration energieeffizienter Aspekte im Entwurfsprozess. Cody hat das Energiekonzept der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ausgearbeitet, das von Arch-Consult und Hermann Eisenköck umgesetzt wird. Energieeffiziente Architektur berücksichtigt unter anderem die Optimierung des Raumklimas bei architektonischer Qualität in einer an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Gesellschaft. Ein Gebäudeentwurf ist überlagert von Parametern wie städtebaulicher Dichte, Flexibilität, Adaptierbarkeit. „Am Thema Nummer 1", so Cody, „der ökonomischen Nutzung von Energieressourcen ist die Architektur immer noch in sehr geringem Maß beteiligt", wenn man bedenkt, dass fünfzig Prozent des weltweiten Energieaufwandes in den Betrieb von Gebäuden fließen. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Architektur bemerkt Cody, dass es ganz klar sei, dass Entwerfen keine Wissenschaft im engeren Sinn ist. Die Architektur aber ist eine Synthese aus Wissenschaft und Kunst. Cody konzentriert sich in seiner auch vermittelnden Arbeit, entsprechend dem Motto „Form follows Energie", auf den energieeffizienten Entwurf des Baukörpers. Am Beispiel der EZB sind seine Kriterien die bestmögliche Ausrichtung im Sinn von räumlicher Orientierung zweier Hochhäuser, die von einer zweiten Außenhaut umfangen sind. Der Doppelkörper leitet durch seine Schraubenform die Luftströmung ins Innere des Gebäudes. Der 6. Architekturdialog zum Thema Kulturen des Wohnens findet am 19. Juli, um 19.00 Uhr im Literaturhaus statt.
Informationen unter www.archlabstyria.org Wenzel Mraček
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