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Menschenrechte in Pakistan: Zwischen Frauenbewegung, Civil Society und Sharia
Archiv - Eine Welt
Samstag, 8. Juli 2006
ImageTanveer Jahan: „In Pakistan gibt es eine ausgeprägte Civil Society"

Die pakistanische Menschenrechtsaktivistin und Vorsitzende der Organisation „Democratic Commission for Human Development DHCD", Tanveer Jahan, weilte Ende Juni auf Einladung der FAIRTRADE-Organisation „Label STEP" in Graz.

Sie ist auch regionale Koordinatorin von „Label STEP" und bemüht sich in dieser Funktion um die Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen der pakistanischen TeppichknüpferInnen. Anlässlich eines Besuches von Frau Jahan in der KORSO-Redaktion sprach Christian Stenner mit ihr über die aktuelle Menschenrechtssituation in Pakistan.

Von welcher Seite sind in Pakistan derzeit die Menschenrechte stärker bedroht, von Seiten des Musharaf-Regimes oder durch die islamische Opposition?
Von beiden. Das Parlament und die Regierung sind verantwortlich für viele Gesetze, die Frauen und Minderheiten diskriminieren; wir haben nominell freie Medien, aber sie wissen, was sie schreiben dürfen und was nicht.
Auf der anderen Seite gibt es die islamischen Parteien, darunter vor allem die in der Nordwestprovinz regierende Muttahida Madschlis-e-Amal (MMA), die, als sie 2003 an die Macht kam, das islamische Recht, die Sharia, einführte und seitdem versucht, sie in ganz Pakistan als Grundgesetz durchzusetzen.

Wie wirkt sich das auf die Situation der Frauen aus?
In jüngster Zeit hat die MMA zwei eindeutig diskriminierende Gesetzesentwürfe vorgelegt: Das Musik- und Tanzverbot legt fest, dass weder auf Partys noch auf Festen oder in Hotels getanzt und Musik gespielt werden darf. Das Ergebnis ist, dass Frauen, die sich als Tänzerinnen verdingt hatten, nun in die Prostitution abgleiten. Das Fotografierverbot besagt u.a., dass man keine Frauen in der Werbung zeigen darf.
Die Aktivisten der religiösen Parteien fordern alle Hotels oder z.B. auch Callcenter auf, ihre weiblichen Mitarbeiter rauszuwerfen; Frauen sollen nicht mehr arbeiten.
Wir sind eine extrem widersprüchliche Gesellschaft: Auf der einen Seite sind wir mit 29% weiblicher Abgeordneter das Land mit dem zweithöchsten Frauenanteil im Parlament weltweit, auf der anderen Seite haben wir die mittelalterlichen Hadud-Verordnungen, die vor 20 Jahren unter Zia-ul-Haq eingeführt wurden und die Frauen extrem diskriminieren. So müssen Frauen, die vergewaltigt wurden und Klage erheben wollen, vier Männer mitbringen, die für sie aussagen und das „tazkiat-zu-shahood" erfüllen, das heißt, dass sie in ihrem ganzen Leben keine Sünde begangen haben dürfen. Weil man so jemanden aber klarerweise in der ganzen islamischen Welt nicht findet, haben die Frauen keine Chance vor Gericht.
Wenn sich jemand gegen dieses Gesetz äußert, könnte er wegen Blasphemie angeklagt werden, weil es ein islamisches Gesetz ist, und auf Blasphemie steht die Todesstrafe.

Gibt es tatsächlich Todesurteile nach dem Blasphemie-Gesetz?
Es gibt immer wieder Todesurteile nach diesem Gesetz, manche Verdächtige fallen aber auch Mordanschlägen zum Opfer; das Gesetz wird auch immer wieder dazu benützt, sich missliebiger Personen zu entledigen. Besonders grauenhafte Auswirkungen hat das Gesetz über qisas und diyat, das unter Nawaz Sharif eingeführt wurde und das besagt, dass Mord kein Verbrechen gegen den Staat, sondern ein privatrechtliches Vergehen ist. Wenn du ein Familienmitglied tötest, zahlst du einfach eine bestimmte Summe und der Fall ist erledigt. Wenn du reich bist, ist es ganz einfach. Wenn du arm bist, gehst du dafür ins Gefängnis und wirst zum Tode verurteilt.
Das ist ein Gesetz, das vor allem Frauen betrifft: So planen manche Familien den Mord an einer Tochter, weil sie jemand anders heiraten will als den von den Eltern Auserwählten oder einfach, weil sie sich die Mitgift sparen wollen. Dann ermordet ein Familienmitglied das Mädchen und die Eltern erklären, dass sie ihm vergeben. Damit ist die Sache erledigt.

In welcher Form kämpfen Ihre Organisation und andere NGOs gegen diese Gesetze?
Besonders wichtig ist das Lobbying bei Abgeordneten; das hatte auch schon Erfolge: So hat Pakistan 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet, es wurde eine „Women Commission" eingerichtet, deren Aufgabe es war die bestehenden Gesetze auf frauenfeindliche Bestimmungen hin zu untersuchen. Auf dieser Grundlage wurden bestimmte Änderungen und Ergänzungen vorgeschlagen – aber welchen Sinn macht es z.B. ein Gesetz zu ändern, wenn darin 22 von 26 Abschnitten frauenfeindlich sind?
Es geht aber auch nicht, diese einschlägigen Gesetze zur Gänze abzuschaffen, weil sie in religiöses Recht eingebettet sind und die Vertreter der religiösen Parteien massiv dagegen protestieren würden. Es ist ja auch die ganze Erziehung massiv von der islamischen Anschauung durchdrungen – so heißt es etwa im Chemieunterricht, dass sich zwei Wasserstoffteilchen und ein Sauerstoffteilchen „durch die Gnade Gottes zu Wasser verbinden". Wir kämpfen für die Öffnung der Schulen gegenüber einer säkularen Wissenschaft. Momentan dehnt sich der Einfluss der religiösen Seite wieder verstärkt auf die säkularisierten Bereiche aus, was eine große Bedrohung darstellt. Andererseits gibt es schon lange eine Frauenrechtsbewegung. Daher kann man schon von einer ausgeprägten Civil Society in Pakistan sprechen, die sich immer für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Demokratie eingesetzt hat. Daher haben wir uns auch einen gewissen Spielraum für die Gestaltung erhalten.

Wie steht es um die Rechte der arbeitenden Menschen, z.B. dem Recht sich in Gewerkschaften organisieren zu dürfen?
Es gibt kein Verbot von Gewerkschaften, und es besteht auch Versammlungsfreiheit. Unter der Militärregierung waren Gewerkschaften zeitweise verboten, aber inzwischen sind diese Grundrechte wieder garantiert.

Wie sieht es mit der gewerkschaftlichen Organisierung der Zielgruppe von Label STEP, den TeppichknüpferInnen, aus?
Ein Teil dieser Berufsgruppe, der in Fabriken arbeitet, ist dort meist organisiert, aber es gibt natürlich einen informellen Sektor, der 300.000 Webstühle in Pakistan umfasst. Wenn man davon ausgeht, dass an einem Webstuhl 3 bis 5 Menschen arbeiten, sind fast 1,5 Millionen Menschen in diesem Graubereich tätig.

Das heißt, die einzigen, die sich um diese Menschen kümmern, sind NGOs wie Label STEP?
Ja, wir bemühen uns um die Zertifizierung mit dem STEP-Label, um dadurch die Arbeitsbedingungen der Teppichweber zu verbessern. Wir fordern die Exporteure auf, uns zum Zweck der Zertifizierung in die Arbeitsstätten einzulassen. Wir treffen die Weber, wir sehen die Arbeitsbedingungen, wir sprechen über die Löhne …

Wie steht es um die soziale Sicherheit? Existiert sie zumindest für jene TeppichknüpferInnen, die einen Lohn beziehen?
Soziale Absicherung ist für FabriksarbeiterInnen prinzipiell vorgesehen, aber selbst für diese wird sie nicht umgesetzt. Mehr als 90% der Teppicharbeit geschieht aber nicht in Fabriken. Der einzige Rückhalt ist die Familie. Wird jemand krank, versorgt ihn die Familie.

Wie sieht es generell mit der medizinischen Versorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten aus?
Für medizinische Versorgung muss man bezahlen. Deshalb führen wir in Gemeinden Entwicklungsprojekte durch. Wir stellen freie Schulen für die Kinder der Weber und medizinische Einrichtungen zu Verfügung.

Sie zertifizieren nicht das Produkt, sondern den Importeur, das heißt, dass dieser nur mehr Label-STEP-Ware importieren darf?
So lautet die Regel. Neben Pakistan gibt es STEP-Labels für den Iran, Nepal, Indien, Marokko, die Türkei und Afghanistan. Wir teilen unseren Importeuren mit, welche Produzenten die Fair-Trade-Prinzipien verfolgen und welche nicht.

Nun ist es sicher möglich, Fabriken oder Manufakturen auf die Einhaltung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen zu kontrollieren, wie verhält es sich aber mit der Heimarbeit?
Ja, das ist schwieriger, weil man ja nicht einfach in Privathäuser eindringen kann. Wir denken aber einen Weg gefunden zu haben: Wir machen jetzt ein Experiment mit 50 lokalen Communities und statten diese in Workshops über Menschenrechte, Frauenrechte, Arbeiterrechte und Kinderrechte mit Tools aus, anhand derer sie überprüfen können, ob sie den STEP-Standards entsprechen.

Wie sieht es mit den Löhnen aus? Verdienen KnüpferInnen, die für Label-STEP-Importeure arbeiten, besser?
Wir können nicht garantieren, dass unsere Vertragspartner mehr zahlen, denn sie haben es mit starker Konkurrenz zu tun, aber wir stehen dafür ein, dass nicht zu viel Geld im Zwischenhandel und Transport verschwindet. Man kann sagen, dass unsere Weber 50% mehr verdienen als der Durchschnittslohn beträgt.

In der Steiermark sind folgende Unternehmen Label-STEP-zertifiziert:
Leiner, Orienthaus Reyhani, Dr. Rohani, Adil Besim, Galerie Kunststücke, Teppichgalerie Geba, Wittenhagen, Prof. Wilfried Stanzer





 

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