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„Durch FAIRTRADE konnten wir das Überleben der Produzenten sichern“
Archiv - Eine Welt
Samstag, 8. Juli 2006
ImageVivek Chowdhury mit der Ledertasche „Skippy", die von Sylvia Kislinger und Lisa Niedermayr designt wurde.

Vivek Chowdhury stammt aus Kolkata (früher Kalkutta, Indien) ist jung und bestens ausgebildet. Während seiner Collegezeit spielte er den indischen Nationalsport Kricket in der nationalen U19, an der Universität studierte er Wirtschaftswissenschaften, neben dem Studium half er seinem Vater beim Aufbau von Feather Touch, einem Unternehmen, das sich auf den Handel mit Speckstein, Holz- und Seidenprodukten spezialisierte.

Mit der zunehmenden Erblindung seines Vaters widmete er sich mehr dem Unternehmen, dessen Leitung er nach dem Tod seines Vaters übernahm. Seit damals hat sich das Unternehmen rasant verändert.
Vivek Chowdhury kam im Juni 2006 auf Einladung der Eine Welt Handel AG nach Österreich und nahm unter anderem an der 81. Weltladenkonferenz in Graz teil. Michael Schaller führte mit ihm das folgende Interview.

Vivek, wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Eine Welt Handel AG?
Zu Beginn hat unser Unternehmen konventionelle Händler beliefert und dabei ist es uns immer wieder passiert, dass diese Muster unserer Arbeit mitgenommen haben und sie bei anderen Produzenten herstellen ließen. Der Aufbau von Kontakten zu FAIRTRADE-Händlern und der Start neuer Produkte war zu Beginn sehr schwierig. Ich habe 2002 im Anschluss an eine Messe in München die Eine Welt Handel AG kontaktiert, auf die ich durch eine Internet-Recherche gestoßen bin. Sie ist für mich nun einer von drei großen Auftraggebern in Europa.

Welche Produkte haben Sie in Ihrem Sortiment?
Als Feather Touch beziehen wir unsere Produkte zum Teil von Handwerkern oder kleinen Gruppen, zum Teil produzieren wir sie in unseren eigenen Werkstätten. In der Anfangszeit lieferten wir vor allem Kunsthandwerksprodukte aus Speckstein, Seide, Holz und Mandalas, seit 2004 liefern wir auch Lederwaren.

Wie ist es zum Aufbau der Lederwarenproduktion gekommen?
Der Absatz an Mandalas, Speckstein und Seidenprodukten ist zurückgegangen; in dieser Zeit sind wir auf einen Lederingenieur gestoßen, mit dem wir begonnen haben, Lederprodukte zu entwickeln. Wir waren der erste Produzent in Indien, der den FAIRTRADE-Markt mit Lederwaren belieferte und wir sind auch der erste FAIRTRADE-Lieferant, der pflanzlich gegerbte und damit ökologisch unbedenkliche Lederwaren liefern kann.

Wie viele Arbeiter können vom Absatz der Lederprodukte leben?
Zurzeit haben wir drei Gruppen von Arbeitern, die Geldbörsen, Ledertaschen, Aktentaschen und andere Lederprodukte herstellen – 85 Personen haben das ganze Jahr über eine Beschäftigung. Bei den Specksteinprodukten können wir den Produzenten zur Zeit nur ein halbes Jahr Beschäftigung garantieren, weitere drei Monate sind sie über den Verkauf an lokale Händler ausgelastet, drei Monate pro Jahr sind sie aber ohne Arbeit. Wir versuchen, ihnen durch den Kontakt zu anderen FAIRTRADE-Importorganisationen in Europa einen höheren Absatz und damit eine regelmäßige Arbeit zu ermöglichen. Der Umstieg auf andere Produkte ist für die Arbeiter in Varanassi aber fast nicht möglich, da sie rund zehn Jahre lang lernen, um die zarten Kunstwerke aus Speckstein produzieren können.

Bei uns wird FAIRTRADE immer mehr zum Thema, was bedeutet das für Sie als Produzent?
Als FAIRTRADE-Produzent unterschreiben wir einen „Code of practice" (Verhaltensregeln). Dazu gehört beispielsweise, dass wir marginalisierte Arbeiter unterstützen, keine Kinder beschäftigen und eine Maximalarbeitszeit von acht Stunden täglich einhalten und auch bezahlen. Sind viele Aufträge zu erfüllen und sind mehr als acht Stunden zu arbeiten, dann wird diese Extraarbeit auch bezahlt – dies ist in anderen Unternehmen nicht üblich. Die Löhne sind um ca. 20% höher als bei Unternehmen ohne faire Arbeitsbedingungen und es wird Geld in Sozialprojekte investiert.

Welche sozialen Projekte unterstützt Feather Touch?
Bei uns kommen die Arbeiter zum Teil aus den ärmsten Bevölkerungsschichten. Vor einiger Zeit habe ich einen Arbeiter, der als Witwer seine vier kleinen Kinder allein großzieht, zu Hause besucht. Als ich zu seiner Hütte kam, waren nur die zwei Mädchen da, die beiden Buben suchten mit rund vierzig weiteren Kindern auf einer Müllhalde nach Eisen und anderen Stoffen, die sie verkaufen konnten. Für mich stand bei diesem Anblick fest, dass ich etwas für die Kinder tun muss. Ich kontaktierte die Eltern der Kinder und es stellte sich heraus, dass deren Schule aus Geldmangel geschlossen wurde. Wir versuchen nun aus eigenen Mitteln und mit Unterstützung aus Österreich die Schule wieder zu öffnen, wir stellen Lebensmittel für die Kinder bereit und zahlen den Lehrern ein Gehalt. Wir hoffen, innerhalb der nächsten Jahre ein Grundstück erwerben und darauf ein neues Gebäude errichten zu können. Als wir mit Feather Touch begonnen haben, wäre diese Unterstützung noch nicht möglich gewesen. Durch FAIRTRADE konnten wird das Überleben der Produzenten sichern und nun versuchen wir, durch unseren Erfolg den Kindern dieser Schule eine Schulausbildung zu ermöglichen.

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