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Langfassung des Artikels: "„Die EU muss mehr soziale Kompetenz beweisen"
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Mittwoch, 14. Juni 2006
Round Table „Zukunft Sozialstaat Österreich“ am 16.05.2006

TeilnehmerInnen:         
Klubobmann Walter Kröpfl, SPÖ
LABG Edith Zitz, Grünen
Mag. Marcel Kirisits, AK Steiermark
Christian Stenner, Korso
Christian Ehetreiber, ARGE (Moderator)

Der Hintergrund von zwei Round-Tables ist die bevorstehende Eröffnung der Jugend-Wanderausstellung „A-Sozial“. Der korso macht dazu eine Sondernummer. Wie müsste sich ein zukunftsorientierter europäischer Sozialstaat weiterentwickeln, um den neoliberalen Ansturm zu parieren? Diese Frage diskutierte der korso mit SpitzenvertreterInnen der Landespolitik, der Sozialpartner und der Wissenschaft in zwei Round-Tables in Graz:

16.5.2006
Klubobmann Walter Kröpfl (SPÖ)
LABG Mag. Edith Zitz (Grüne)
Mag. Marcel Kirisits (AK Steiermark)
Ewald Verhounig (WK Steiermark)

17.5.2006
Klubobmann Mag. Christopher Drexler (ÖVP)
Klubobmann Ernest Kaltenegger (KPÖ)
Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wohlfahrt (Universität Graz)

Moderation: Mag. Christian Stenner und Mag. Christian Ehetreiber

Eine ausführliche Fassung des Interviews ist nachzulesen unter www.korso.at und www.argejugend.at.

Ehetreiber
Worauf legen Sie den Fokus beim Thema „Sozialstaat“?

Zitz
Für mich ist ein Grundgedanke einfach die Idee der Solidarität. Diese Überlegung gilt es massiv von der EU einzufordern. Faktum ist, dass eine solide und zeitgemäße Sozialpolitik auch ein wirtschaftspolitischer Motor ist und keine Behinderungsmaschinerie für die Wirtschaft. Leider definiert sich die EU jetzt von den Gemeinschaftsverträgen her als offene Marktwirtschaft mit der Priorität auf den Wettbewerb. Soziale oder arbeitsmarktpolitische Regelungen werden dabei auf die „nachgeordneten“ Mitgliedsstaaten delegiert. Das halte ich für problematisch, und da muss man viel Druck machen, dass die Union sich der Themen „Arbeitsmarktpolitik, Arbeitszeitverkürzung oder des Einkommensausgleichs“ annimmt.  Ich weiß, dass diese Forderung derzeit leider nicht topaktuell ist, aber deswegen möchte sie an den Anfang stellen.

Kirisits:
Die aktuelle Betrachtung, Staaten nur als Wettbewerbsstandorte zu betrachten, hat den Sozialstaat in den Hintergrund gerückt. Er wird in Frage gestellt und als Hindernis gesehen, um im internationalen Wettbewerbsgeschehen bestehen zu können. Dieser Entwicklung muss man sich entgegenstellen. Es gibt gute Argumente dafür: 1. Die Verteilungsgerechtigkeit ist für die Bevölkerung sehr wichtig. Schweden etwa gibt mehr für Soziales aus als wir und gehört trotzdem zu den wettbewerbsfähigsten Staaten in Europa.
2. Der Sozialstaat soll von seiner Konzeption her nicht nur der Armutsvermeidung dienen, sondern auch der Lebensstandardsicherung, indem er Lebensrisiken abfedert.
3. Wir haben einen sehr guten Sozialstaat, aber er bröckelt z.B. bei den atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Diese Menschen sind zunehmend von Armut bedroht.

Kröpfl:
Ich schließe an Kirisits an:  Der Sozialstaat wird immer weiter zurückgedrängt in Europa.  Man einigt sich über Maastricht-Kriterien, aber die soziale Komponente wird überhaupt nicht angesprochen. Das fehlt mir auf Europaebene. In Österreich erschreckt mich der Trend zu einer Zwei-Klassengesellschaft im  Gesundheits-, Bildungs- und Pensionsbereich. Das Bildungssystem dermaßen herunterfahren, [wie dies die derzeitige Bundesregierung tut] das führt dazu, dass viele Leute keine ordentliche Ausbildung erhalten und später geringere Arbeitsmarktchancen haben werden. Ich bin erschüttert, wie wenig die österreichische Bundesregierung etwa im Vergleich mit Schweden für Bildung ausgibt. Ein weiterer Aspekt für mich ist auch die Forderung des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit bei den Frauen.  Das muss endlich umgesetzt werden.

Verhounig:
Aus Sicht der WK Steiermark muss unser Sozialstaat erhalten bleiben. Auch für KleinunternehmerInnen ist es nämlich wichtig, dass sie ein soziales Netz haben. Der Sozialstaat muss aber auch von den Prinzipien der Effizienz, des Kostenbewusstseins und der Anreizoptimierung getragen sein.  Die Finanzierbarkeit muss ebenfalls gegeben sein, denn überbordende Steuern sind sicher nicht das probate Mittel, um jetzt den Wirtschaftsstandort zu stärken.

Stenner
Zur Frage der Finanzierbarkeit:  Wir haben nach wie vor an die zwei Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr, also an Geld mangelt es ja nicht. Auf der anderen Seite gibt es im Bereich der Staatseinnahmen Einnahmenverluste aus politischem Kalkül, die zur Einschränkung sozialer Leistungen führen.  Wie erklären Sie sich das?

Kröpfl
Ich sehe nirgends ein „überbordendes Sozialsystem“, im Gegenteil: In meine Sprechstunden kommen immer mehr Menschen, die in soziale Not geraten sind. Ich sehe also keinen „übersozialen Sozialstaat“. Zur Finanzierung: Da fehlt es eben an politschem Mut, dorthin zu greifen, wo das Geld vorhanden ist. Der alte Slogan der WK - „Geht’s der Wirtschaft gut, geht´s den Menschen gut“ - der stimmt ja leider nicht mehr. Der Wirtschaft geht´s relativ gut, trotzdem geht die Kluft zwischen Arm und Reich auch in Österreich immer weiter auseinander. So werden jährlich rund  5 Mrd. Euro am Finanzminister vorbei geschoben.  Auf dieses Geld müsste man also hingreifen.

Verhounig
Die Finanzierung ist schwierig geworden. Ohne verstärkte Eigenvorsorge wird das in Zukunft nicht machbar sein. Bei der von Herrn Kröpfl angeregten Besteuerung der „reicheren Schichten“ - die in Österreich kein allzu großes Potenzial für die Finanzierung haben – müssten wir eher bei den Konzernen ansetzen. In Anbetracht des Standortwettbewerbes wird sich dies aber auch nicht spielen.

Kröpfl
Dazu brauchen wir einen europäischen Konsens!

Verhounig
Den gibt´s aber nicht. Darin liegt das Problem.

Ehetreiber:
Unter welchen Bedingungen sprechen wir von einem Zuviel oder Zuwenig an Sozialausgaben bzw. Sozialleistungen?
 
Kirisits
Die Sozialquote (Anteil der Sozialausgaben am BIP) gibt darüber Auskunft: Österreich gibt etwa 29% seines BIP für Soziales aus. Diese Quote ist in den letzten 10 Jahren konstant geblieben. Von einer Kostenexplosion also keine Rede. Überdies gibt es keinen negativen Zusammenhang zwischen Sozialausgaben und Wirtschaftsentwicklung oder Wettbewerbsfähigkeit, wofür Schweden ein sehr gutes Beispiel ist. Die geben sehr viel für Bildung aus.  Das einnahmenseitige Problem der Sozialversicherung ist entstanden, weil die Finanzierung  über Lohneinkommen erfolgt und sich die Löhne nicht mehr gut entwickelt haben. Daraus entsteht die sogenannte Einnahmenerosion in der Sozialversicherung. Man könnte durchaus darüber nachdenken andere Komponenten zu besteuern. Wenn es nämlich möglich war, die Körperschaftssteuer zu senken oder eine großzügige Gruppenbesteuerung einzuführen, dann ist offensichtlich Geld da im Staate Österreich. Auch die Gewinn- und Vermögensbesteuerung in Österreich ist ja sehr gering.

Zitz:
Ich empfand die Gruppenbesteuerung als diskriminierend für jenen Teil der Österreichischen Wirtschaft, der keine komplizierten internationalen Verflechtungen hat - wie etwa viele KMU´s  - und der diese Privilegien einer über die Grenzen gehenden Gegenverrechnung von Gewinnen und Verlusten einfach nicht machen kann. Das ist deshalb ungerecht, weil diese KMU´s auch einen großen Teil der Lehrlinge ausbilden und die diese steuerlichen Privilegien nicht haben. Dazu existiert übrigens auch eine aktuelle EUGH-Judikatur aus Großbritannien. Als Grüne vertreten wir eine klare Ressourcenbesteuerung, was fossile Energieträger betrifft, wo derzeit in Österreich kaum Schritte in diese Richtung gesetzt werden. Ökologisch kluges Wirtschaften brächte auch Steuereinnahmen.  Wir haben in Österreich ein hochkomplexes Sozialsystem mit neun verschiedenen Sozialhilfegesetzen in den Ländern und einer Bundeskompetenz dazu. Das bedeutet, dass wir einen sehr komplizierten und aufwändigen Vollzug haben. Viele bedürftige Menschen getrauen sich nicht, soziale Angebote in Anspruch nehmen, weil sie sich einfach genieren. Und das sind sehr oft ältere Frauen, die sich bis jetzt irgendwie durchg´frettet haben oder Leute, die einfach Angst haben, dass man über den Regress die Angehörigen zur Kasse bitten muss.

Ehetreiber
Wenn ich Sie richtig verstehe, entwickeln sich die europäischen Sozialstaaten nach der neoliberalen Wende stärker in Richtung südosteuropäischer Sozialstandardsmodelle und weniger in Richtung Skandinavien. So habe ich das bei Ihnen auch vernommen. Hans Georg Zilian schrieb in „Unglück im Glück“ sinngemäß , es sei immer so hübsch polarisiert – hier herinnen sitzen gute Grüne, SozialdemokratInnen, SozialpartnerInnen -  und auf der anderen Seite die „bösen Shareholder“, die alles Übel in die gute Welt bringen. Aber so einfach ist es wohl nicht. Denn was motiviert denn europäische SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen oder Unternehemerverbände, so willfährig als Büttel mitzumachen beim „Downsizen des Sozialstaates?  Schröder war ja bekannt als „Genosse der Bosse“. Die deutschen Grünen haben Hartz IV mitbeschlossen mit unwürdigen 1-Euro-Jobs? Tony Blairs „New Labour“ hat Peter Rosei zufolge schlicht „No Labour“ für viele Briten bedeutet. Was motiviert denn diese vermeintlich „Guten in Europa“ – ob es jetzt Grüne sind, Sozialdemokraten, KMU-Vertreter oder auch die Arbeiterkammer – diesen neoliberalen Weg de facto mitzugehen und ihn gleichzeitig rhetorisch zu kritisieren? Die Herrschaft wird ja nicht nur von den Konzernen indoktriniert, sondern auch „von unten“ mitgetragen.

Stenner
Ich muss da noch nachlegen: Jedesmal, wenn man mit VertreterInnen verschiedenster Parteien über diese Frage spricht, sind alle für die Europäische Sozialunion. Dennoch hat man etwa beim EU-Verfassungsprojekt klar gesehen, dass die Verankerung der freien Marktwirtschaft und eben keine Sozialunion politischer Konsens ist. Woher kommt dieser eklatante Widerspruch und wie könnte man den unter Umständen auflösen?

Kröpfl:
Ich habe mir auch schon immer den Kopf zerbrochen, warum Tony Blair oder Gerhard Schröder so agieren. Ich hab dies nie verstanden, denn aus meinem Empfinden heraus, hätte es diese Zwänge nicht gegeben. Man hätte nur einmal den Mut haben müssen, sich den Konzernen entgegen zu stellen, also nicht nur immer mitzuheulen mit den Wölfen, sondern eine klare Position zu beziehen. Dann hätten wir auch die soziale Komponente in der EU stärker forciert. Das ist leider nicht passiert, sondern man ist den anderen Weg gegangen. Man hat sich den Konzernen unterworfen, und es gibt ja sehr viele Kritiker, die auch sagen, dass nicht mehr die Politik regiert, sondern die Konzerne.  Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass man die soziale Kompetenz in der EU wesentlich stärker spürt.  Frankreich hat uns ja gezeigt, wohin das führt, wenn Leute nichts mehr zu verlieren haben, oder auch in Südamerika: Dort haben die Leute nichts mehr zu verlieren. Die Reichen leben in Ghettos und müssen sich schützen. Das kann nicht Ziel einer europäischen Wirtschaftspolitik sein. Je früher wir dagegen steuern, desto besser ist es.

Ehetreiber
Herrscht in deiner SPÖ-Fraktion da Konsens auf Landes- und auf Bundesebene, dass in die von dir zitierte Rückeroberung der Gestaltungsmacht von Politik zu gehen ist?  Oder bleibt man noch in der Geiselhaft dieser Konzern- und Börsenpolitik?

Kröpfl
In der steirischen SPÖ herrscht die Meinung vor, die ich skizziert habe. Auf der Bundesseite – siehe BAWAG - gibt es natürlich auch Leute, die da schon diesen „Heuschreckenkapitalismus“ stark verfolgen, leider!

Ehetreiber
Also eine „geteilte SPÖ“?

Kröpfl
Naja, die SPÖ glaube ich nicht, sondern einige FunktionärInnen innerhalb der SPÖ, die im Glauben sind, dass sie die große Wirtschaftspolitik auf diesem Weg weiterführen können.

Ehetreiber
Wie sehen Sie diese Stützung neoliberaler Politik, wenn Sie etwa an den Lehrlingsfonds denken, den der Landtag einstimmig verlangt hat, den auch viele KMU´s und vermutlich die Mehrheit der Bevölkerung haben will?  Die Grundidee besteht darin, dass jene Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, aus diesem Fonds gefördert werden. Das scheitert stets an der WK, obwohl viele KMU´s diesen Fonds begrüßen würden, um die Abwerbepraxis von Großbetrieben ein wenig ausgleichen zu können.

Verhounig
Der Punkt ist, wer das finanziert. Das soll ja dann von den anderen Betrieben kommen. Es gibt bei uns aber andere Ansätze dahingehend, dass man wirklich Lehrlingsverbünde schafft, wo Betriebe selbst untereinander schauen, dass sie die Lehrlingsausbildungsstätten schaffen im gemeinsamen Verbund, dann brauchen wir im Grunde keinen Lehrlingsfonds. Aber nochmals zurück zur Frage, warum das Ganze mittlerweile so gesteuert wird: Ich glaube, das ist auch ein wenig Ausdruck des Zeitgeistes, dass man glaubt, das amerikanische Modell überall auf die Welt übertragen zu können. Man sieht von Amerika immer nur das Positive, ein paar Wachstumsraten. Aber man sieht nicht das Gefälle dort zwischen Reich und Arm, das dort exorbitant ist.

Stenner
Ich muss ein bisschen schärfer nachfragen: Die Abschaffung der Entgeldfortzahlung trifft ganz klar kleine Unternehmen gewaltig.  Da gab es absolut keinen Widerstand von der Wirtschaftskammer, die doch in ihrem Selbstverständnis kleine und mittlere Unternehmen vertritt. Also durchaus eine politische Entscheidung, die für einen Kleinunternehmer hochriskant gewesen ist in ihrer Auswirkung. Warum ist das so?

Verhounig
Im Detail kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Ein Punkt ist jedoch die starke Exportorientierung der österreichischen Wirtschaft. Wir sind seit jeher im Exportmarkt stark verankert, und deshalb werden auch die größeren Betriebe sicher mehr bedient als die kleineren, in der Hoffnung auf die Sicherung von mehr Arbeitsplätzen.

Kröpfl
Das ist schön, dass Sie das in der Deutlichkeit gesagt haben.

Ehetreiber
Der Arbeiterkammer scheint bei der sogenannten EU-Osterweiterung auch recht wenig eingefallen zu sein außer der Forderung nach langen Übergangsfristen beim Zugang der südosteuropäischen EU-BürgerInnen auf unseren Arbeitsmarkt. Wieso reagieren da die Arbeiterkammern und die Gewerkschaften so restriktiv, anstatt europaweite einheitliche Lohn- und Sozialstandards über alle 25 EU-Staaten hinweg durchzusetzen und zu kontrollieren, dass diese auch eingehalten werden?

Kirisits
Übergangsfristen gibt es, weil es eben Lohnunterschiede gibt und weil es eine regionale Nähe gibt zu diesen Arbeitsmärkten. Und das ist schlichtweg eine verteilungspolitische Frage, in der sich die europäischen Arbeitnehmervertretungen auch nicht einig waren. Es waren die deutschen und die österreichischen Vertreter jetzt zuletzt für die Verlängerung der Übergangsfristen, und der Rest von Europa war dagegen. Und zwar weil jeder eine andere Perspektive, eine andere Wahrnehmung und auch Betroffenheit hat. Deutschland und Österreich sind diejenigen Länder, die halt angrenzen und das vor Ort spüren, und die französische und spanische Gewerkschaft sehen das halt aus einer großen Entfernung.  Es ist ganz einfach eine Frage des Arbeitskräfteangebots in der derzeitigen sehr schwierigen Phase in Österreich, bei der hohen Arbeitslosigkeit zusätzliche Arbeitskräfte unterzubringen. Wir haben bereits Anfang der 90er Jahre den österreichischen Arbeitsmarkt geöffnet und überlastet in einer wirtschaftlichen Lage, die ungleich besser war als die jetzige. Und trotzdem sagen uns die Studien im Nachhinein, dass es Verdrängungsprozesse gegeben hat, nicht nur zwischen In- und Ausländern sondern auch innerhalb der ausländischen Arbeitskräfte zwischen alt und jung. Also das ist die konkrete Antwort, warum wir immer für Übergangsfristen eingetreten sind.
Die zweite Frage, warum wir nicht für einheitliche Lohnbedingungen eintreten: Weil es eben sehr unterschiedliche Entwicklungsstandards der Volkswirtschaften gibt. Es wäre zwar ein Wunschtraum, wenn Slowenien und Ungarn die ungefähr gleiche Lohnhöhe hätten, nur hätten sie dann ein riesiges Problem, weil sie nämlich nicht unsere Produktivität haben. D.h. wir würden mit einem Schlag eine riesige Arbeitslosigkeit in Slowenien, in Ungarn erzeugen, und das kann in unserer unmittelbaren Nähe nicht in unserem Interesse sein. Wir können nur hoffen, dass diese Staaten möglichst schnell den Rückstand aufholen und sich weiterentwickeln, aber das nützt nichts, die Löhne sofort anzuheben, weil die Produktivität nachhängt.

Zur Ausgangsfrage: Bündnisse mit den Neoliberalen bzw. warum tun sich die Verteidiger des Sozialstaats so schwer? Es hat derjenige die Macht, der im Parlament die Mehrheit hat. Das ist Punkt 1, dort werden die Gesetzte beschlossen. Punkt 2: Die Arbeiterkammer beschließt nicht Gesetze, sondern sie gibt Stellungnahme zu Gesetzen ab. Zur europäischen Dimension: Ich glaube, es ist eine Frage des Zeitgeistes – das wurde schon genannt – und es ist auch eine Frage der – ich will nicht sagen – der Intelligenz, aber es ist gefährlich, wenn man einen Staat aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu betrachten beginnt, weil sobald man nämlich beginnt, den Staat als AG zu betrachten, und der Regierungschef betrachtet sich als Vorstandsvorsitzender, dann wird es nämlich gefährlich, weil er draufkommt, er hat betriebwirtschaftliche Kosten, und wenn er diese Kosten loswerden will, hat er sie noch immer. Denn sein Staatsgebiet sind alle BürgerInnen, die dort leben. Der AG-Chef kommt dann quasi der Sozialpolitik nicht aus. Auf der anderen Seite denkt er immer in betriebswirtschaftlichen Kategorien, wenn man beginnt, Gesellschaftspolitik mit betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu machen, dann kommt man in einen Widerspruch rein, der nicht aufzulösen ist. Ein Staatsgebilde ist kein Unternehmen.

Ehetreiber
Hartz IV, Deutschland: Wird man die neoliberalen Geister los, die man rief? Was hat da beitragen, dass das auf der Ebene der deutschen Grünen nicht funktioniert, um gegen Hartz IV zu sein?

Zitz
Die rot-grüne deutsche Koalition es geschafft hat, eine Art von sozialer Absicherung unter dem Begriff „Grundsicherung“ einzuführen und dieses Grundsicherungsformular habe ich mir einmal ausgedruckt. Ich war fassungslos, dass eine bedarfsorientierte Grundsicherung auf so problematische Art und Weise umgedeutet wird. Zur EU: Fakt ist, dass die EU genau so viel Spielraum hat, wie ihr die Nationalstaaten zugestehen, und es ist einfach Realität, dass das, was im Unionsvertrag drinnen steht, genau das ist, was die 15 oder jetzt 25 Staaten auf Ebene der Regierungschefs gemeinsam unterzeichnet haben und dann nationalstaatlich ratifizieren. Und ich bin davon überzeugt, dass man auch als LABG in der Steiermark Europapolitik zu machen hat, weil europäische Vorgaben permanent das, was wir in der Legislative machen, beeinflussen. Aber es gilt auch Dinge zu sagen, die ich an der Union als absolut positiv erlebe: Es ist nach wie vor so, dass wir mittelbare Diskriminierungen von Frauen haben. Eine Frau, die laut derzeit bestehendem Arbeitslosengesetz Teilzeit arbeitet oder sich um eine Teilzeitarbeit bewirbt, wird jetzt täglich eine Fahrtzeit von 1,5 Stunden zugemutet. Das ist ganz klar mittelbare Diskriminierung und zum Glück gibt’s da auf Europarechtsebene die Möglichkeit, dass man dagegen klagt und da 100% gewinnen würde. Und ich rede über real herrschendes Arbeitslosenrecht, wie es derzeit in Österreich ist. Zur Antirassismus- und Integrationsarbeit: Ohne europarechtliche Vorgaben wäre es uns nicht möglich, Situationen zu bekämpfen, wo sich eine Person bewirbt in einem Betrieb und der Betrieb sagt: „Nein, Negerinnen nehmen wir nur für die Küche, im Bereich der Ausschank haben die nichts verloren.“ Und das sind einfach Diskriminierungstatbestände, wo wir zum Glück europarechtliche Vorgaben haben, die wir in Österreich umsetzen müssen, weil man in Österreich da durch die Jahrzehnte hindurch komplett weggeschaut hat. Und drittens brauchen wir internationale Kollektivverträge und eine Vereinheitlichung der ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen, weil die ganz krass variieren zwischen den einzelnen Staaten. Die sind zwar in sehr vielen Staaten beschlossen worden, sind aber nicht in das real existierende Recht umgesetzt.

Ehetreiber:
Um die europäische Massenarbeitslosigkeit nachhaltig zu entspannen, was ist da zu tun? Wo wäre da der Hebel anzusetzen, wenn Sie die Macht hätten, den Hebel anzusetzen? Ich erinnere vor allem an die über 17% arbeitslosen Jugendlichen in der EU!

Verhounig
Es gibt kein Patentrezept, um das Wirtschaftswachstum wieder dahingehend zu steigern, dass wir wieder mehr Jobs schaffen. Es ist halt nun einmal so, dass bei 2,5% Wachstum der Beschäftigungsstock gehalten wird, und erst darüber werden neue Jobs geschaffen. Ein möglicher Ansatz wäre die Reform der Steuersysteme, dass man sagt, weg von den direkten Steuern, die jetzt wirklich die Produktivkräfte belasten, um mehr indirekt zu besteuern. Dass man stärker die Konsumausgaben besteuert, dafür weniger das Einkommen oder die Umsetzung usw. bei den Unternehmen. Die skandinavischen Staaten sind sehr weit voraus im europäischen Kontext. Die haben ein Sozialsystem, sind aber auch sehr stark wachstumsorientiert und zukunftsorientiert, etwa durch Investitionen im Bildungs- und Forschungsbereich. Ganz eine wichtige Forderung wäre einmal die politische Steuerung auf EU-Ebene. So als Geld-Fiskal-Politik – da müsste einmal auf europäischer Ebene ein Zeichen gesetzt werden.

Stenner
Meinen Sie jetzt eine Vereinheitlichung der Steuersysteme in der EU?

Verhounig
Nein, es ist mehr von der Ausgabenseite her, dass man wirklich Investitionsimpulse schafft.

Kirisits
Es gibt Übereinstimmung, wo der Kollege von der WK sagt, dass natürlich auf der europäischen Ebene die größte Hebelwirkung erzielt werden könnte wirtschaftspolitisch, weil nämlich die Volkswirtschaften sehr eng miteinander verflochten sind – das ist jetzt die makropolitische Ebene. Fiskalpolitik ist schon genannt worden. Da haben wir ein Problem, dass es da nie Einigkeit gibt. Wenn da  ein Staat was macht, profitieren zwar andere mit, aber die anderen wollen da nicht mitziehen. Das ist so das berühmte Trittbrettfahrerproblem, und mit dem spekulieren halt einige. Zudem ist die EZB ein problematisches Gremium, das demokratisch nicht legitimiert ist und das als oberstes Ziel die Geldwertstabilität hat. Und die Beschäftigungspolitik oder die Arbeitsmarktziele spielen keine oder eine untergeordnete Rolle. Bezüglich Flexibilisierung bin ich jetzt anderer Meinung, weil ich die Meinung vertrete, dass der österreichische Arbeitsmarkt sehr flexibel ist und das mittlerweile auch nicht mehr von Minister Bartenstein bestritten wird.

Verhounig:
Der österreichische Arbeitsmarkt ist schon flexibel, aber man muss das mehr auf europäischer Ebene sehen. In Deutschland etwa ist das nicht der Fall.

Stenner
Zur Fiskalpolitik: Ich habe Ihre Reaktion, Herr Verhounig, nicht ganz begriffen, weil Sie haben ja das Stichwort genannt: „Fiskalpolitik“, und das heißt ja unter anderem auch: Wie werden Steuern eingehoben? Wir haben ja die Situation, dass zB unser östliches Nachbarland Slowakei ein Steuerdumping fährt, das seines Zeichens sucht. Wahrscheinlich sogar mit Unterstützung der Europäischen Union. Was spricht jetzt gegen eine gemeinsame Steuerpolitik, die eine Bandbreite an zulässiger Besteuerung festsetzt?

Verhounig
Dagegen spricht eigentlich gar nichts.

Stenner
Wenn es so eine Einigkeit gibt, wo sind die Kräfte, die sich da dagegen stellen? Gibt’s die, weil sonst hätten wir das einheitliche Steuersystem ja schon lange? Das würde mich interessieren von der politischen Seite her. Der zweite Punkt: Sie kennen alle den Bericht 2005 der Generaldirektion Beschäftigung, der so schön übertitelt ist „Mehr Menschen für den Arbeitsmarkt interessieren“ und der einfach zu zwei Thesen kommt: Punkt 1: Der Arbeitsmarkt wird dauernd ausgeglichen sein. Es wird ein Angebot an Arbeitsplätzen geben, das entsprechend ist dem Angebot der Arbeitskräfte, wenn die Löhne nach unten flexibel werden. Punkt 2: Wenn die soziale Absicherung eine vernünftige Höhe nicht übersteigt. Es ist offen gelassen, was damit gemeint ist.

Kröpfl
Aus meiner Sicht ist das genau der falsche Weg, denn wir sehen ja, wohin das führt. Ich komme wieder zum Bildungsbereich. Wir leisten uns arbeitslose Lehrer, gut qualifizierte Lehrer - wissen nur, dass wir die dringend brauchen würden im Bildungssystem. Wir finanzieren auf der anderen Seite Arbeitslosigkeit, statt die Ressourcen zu nutzen, um im Bildungsbereich etwas zu erneuern. Andere Bereiche sind da ähnlich. Erschreckend für mich jetzt der Börsegang der Post. Wenn man da liest, wie viele Menschen abgebaut wurden, Postämter geschlossen wurden, mit dem Effekt, dass das Unternehmen noch besser dasteht, dass es noch größere Dividenden gibt, dann sind wir genau dort, wo ich sage: „Das ist der falsche Weg.“ Und warum dieser Weg so beschritten wird, ist, weil die großen Konzerne kein Interesse daran haben, dass in Europa ein annähernd gleiches Finanz- und Steuersystem funktioniert, sondern weil die sehr wohl diesen Wettbewerb der Staaten untereinander ausnutzen. Und es ist für mich sicherlich der falsche Weg, dass man sagt, wir gehen in Richtung „die Arbeitskräfte sind zu teuer“. Wir sind ja bald soweit, dass sich manche ArbeiterInnen schon fast genieren, dass sie wo einen Job haben, wenn ihnen der Unternehmer ständig vorerzählt, wie groß die Lohnnebenkosten sind, dass diese schon ein schlechtes Gewissen bekommen dabei. Und das ist der komplett falsche Weg. Und hier muss man sagen, wir müssen alles unternehmen, um noch mehr Leute in Beschäftigung zu kriegen, aber nicht Leute immer weniger zu beschäftigen. Dabei steigen aber die Gewinne. Und wenn ich höre, ein Wirtschaftswachstum von 2,5% reicht gerade aus, dass man die Arbeitsplätze erhalten kann, - und 2,5% ist ja nicht wenig – und das reicht nur aus, um Arbeitsplätze zu erhalten, die Gewinne muss man ja wohin rechnen. Wenn die Gewinne wirklich in die Betriebe investiert werden würden, wäre es eh kein Problem, dann hätte man ja auch mehr Arbeitsplätze. Das passiert aber in den wenigsten Fällen.

Ehetreiber
Stephan Schulmeister hat diesen Effekt beschrieben als Verlagerung von Realkapital zum volatilen und „scheuen“ Finanzkapital. Aber zur Frage nach den Gegenstrategien bei der Arbeitslosigkeit: Was kann man sich denn von den Grünen erwarten bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vorausgesetzt Ihr erhaltet Regierungsverantwortung?

Zitz
Peter Koller von der Grazer Rechtsphilosophie arbeitet sehr stark mit Gerechtigkeitsüberlegungen und zwar mit Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit. Ich glaube, dass man eine kluge Arbeitsmarktpolitik nicht machen kann, wenn man jetzt schaut, wie gerade auch im Bereich Arbeitsmarktpolitik so kluge und gerecht gestaltete Arbeitsplätze ausschauen. Und ich habe nichts von einem Vollzeitarbeitsplatz, wo ich gemobbt werde, weil ich zu alt für den Arbeitsmarkt bin. Also ich bin 40 und für mich wird’s irgendwie schon knapp. Ich habe nichts von einem Arbeitsplatz, wenn ich weiß, dass ich zwar 40 Stunden arbeite durch zusammengestückelte Arbeitsverhältnisse, aber trotzdem keine eigenständige Pension haben werde, weil ich Kinder betreut habe und deswegen zu spät einsteige. Und ich habe auch nichts von einem Arbeitsplatz, wenn ich gleichzeitig weiß, dass es in meinem Betrieb einfach keinen Betriebsrat gibt, was derzeit Fakt in sehr vielen Betrieben ist. Und ich möchte deshalb in diesem Bereich, den du gefragt hast, mit Gerechtigkeitserwägungen einsteigen, weil ich glaube, dass die Qualität am Arbeitsplatz etwas ist, was mir absolut wichtig ist. Und diese Qualität einzufordern bzw. dazu Vorschläge zu machen, d.h. einerseits, dass man gerade auch bei arbeitsmarktpolitischen Überlegungen schauen muss, wie Arbeitsplätze für Leute aussehen, die systematisch vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Daneben ist auch darauf zu schauen, wie Arbeitsplätze regional verteilt sind, denn was wir derzeit erleben, sind teilweise sehr starke Konzentrationen von Arbeitsplätzen an bestimmten Standorten. Aus Sicht der Grünen braucht es drittens auf jeden Fall klare Investitionen in das, was man den zweiten Arbeitsmarkt nennt und da meine ich jetzt konkret Projekte, wo es um die Integration von Jugendlichen geht, die eine Suchtkarriere hinter sich haben oder noch haben, in Projekte wie Tagwerk oder Heidenspass. Das sind aber Projekte, die dermaßen innovativ sind, dass sich irgendwie niemand wirklich politisch zuständig fühlt. Da hat man keine gesetzliche Regelung dafür, weil es ja sehr prekäre Arbeitsverhältnisse sind. Du hast da einen teilweise sehr engagierten Soziallandesrat, der aber irgendwie eine Unterstützung aus dem Wirtschaftsressort brauchen würde, um diese Projekte auf die Reihe zu bringen und du hast die Frage, wie Jugendliche, die in diesem Bereich arbeiten, wie man die eigentlich versichern soll, weil sie ja nicht im Regelarbeitsmarkt drinnen sind und außerdem teilweise eine Krankheitskarriere haben, weil sie süchtig sind. Und noch etwas Konkretes: Wir haben in Österreich eine Tradition an massiven Überstundenleistungen von Leuten, die im Bereich des Regelarbeitsmarktes verankert sind und da glaube ich, da geht es einfach aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit darum, da mal ganz klar so Regulative einzuziehen, um jüngeren Leuten im Arbeitsmarkt die Möglichkeit eines Entrees zu schaffen.


Stenner
Ich möchte nochmals nachhaken bei der EU-weiten Regelung in der Steuerpolitik. Bedarf es nicht einer europaweiten Einigkeit, innerhalb welcher Bandbreite sich die Steuersysteme bewegen dürfen?

Kirisits
Einigkeit bei der Steuerpolitik gibt es deshalb keine, weil die Nationalstaaten in ihren nationalen Dimensionen handeln. Das ist keine slowakische Eigenheit, so hat es Österreich auch gemacht in den 90er Jahren – die Deutschen beklagen sich noch immer bitter, und Österreich ist damit auch vorgeprescht. Das ist einfach die Frage, dass mein eigenes Hemd mir näher ist, das heißt, man schaut zuerst auf den eigenen Staat. Gegen diese egoistische Politik gäbe es schon ein Mittel, nämlich die Regionalförderungen der EU mit einem solidarischen Modell in der Steuerpolitik zu verknüpfen, doch das ist leider verabsäumt worden. Die EU hätte sagen müssen, dass es nicht angeht, auf der einen Seite die Solidarität der anderen Mitgliedsstaaten einzufordern, wenn es um die Regionalforderung geht, und auf der anderen Seite bei der Steuerpolitik kocht der betroffene Staat dann sein eigenes Süppchen, indem er versucht, Betriebe mittels Regionalförderung bei sich anzusiedeln. Das wäre aus meiner Sicht eine sehr wirkungsvolle Maßnahme gewesen, die ist aber verabsäumt worden.

Verhounig
Bei der Steuerpolitik wird wirklich noch in nationalen Kategorien gedacht. Das ist so. Es schaut jeder Staat, dass er seine eigene Statistiken schönen kann, wenn er halt irgendwo die Steuer noch senkt und Betriebe damit ansiedelt – das ist keine Frage.

Kröpfl
Dazu kommen dann noch die Lobbyisten in Brüssel, die von den Großkonzernen entsendet werden und die kein Interesse daran haben, dass man ein einheitliches Steuersystem zusammenbringt.

Zitz
Die EU greift teilweise massiv in den Markt ein – etwa im Wettbewerbsrecht oder im Kartellrecht, was teilweise auch klug ist, wenn es darum geht, sehr harte große Konzernkonglomerate teilweise zu verhindern. Ich unterstütze Stenners Forderung nach einer EU-weiten steuerlichen Regelung innerhalb einer gewissen Bandbreite. Dadurch könnte man dann kreative zivilgesellschaftliche auch sensible Arbeitsmarkt- und Sozialprojekte machen.

Verhounig
Bei den Regionalförderungen ist auf jeden Fall ein Hebel anzusetzen. In Zukunft sollte mehr die Arbeitsmarktkomponente bei der Förderungsvergabe betont werden, vielleicht auch steuerlich, dass man den Unternehmen das ein wenig schmackhaft macht.

Kröpfl
Das wäre ein guter Ansatzpunkt, weil ich jetzt sehe, wenn wir die Wirtschaftsförderungen bei uns in der Steiermark vergeben, wie wenig Arbeitsplatzmaßnahmen da drinnen sind. Also das wäre schon auch ein wesentlicher Ansatzpunkt, dass man die Förderungen auch danach richtet, wie viele zusätzliche neue Arbeitsplätze entstehen. Mit einer neuen Förderrichtlinie werden wir das schon in den Griff kriegen.

Ehetreiber
Das Projekt „A-Sozial“ hat ein ganzes Bündel an Forderungen zur Verbesserung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik neu formuliert, von der Arbeitszeitverkürzung über die Wertschöpfungsabgabe bis zur Forcierung von Bildung und Qulifizierung. Von der Gesamtpalette an Forderungen scheinen uns die folgenden drei Maßnahmen sehr wichtig zu sein:
  • Bundesweite Abschaffung der Rückzahlungspflicht der Sozialhilfe;
  • Voraussetzungsfreies Grundeinkommen für alle EU-BürgerInnen nach einem dreistufigen Modell: Grundeinkommen rund 700,-- Euro zuzüglich Kranken- und Unfallversicherung sowie sachwertige Sozialleistungen bei Bedarf; darauf aufbauend 1.000,-Bruttomindestlohn über alle Branchen hinweg; und als nächste Stufe das System der Kollektivverträge, wie wir es jetzt schon kennen.
  • Radikalausbau eines eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarktes, der nicht nur Instrument für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt sein soll und folgende Kriterien erfüllen müsste: Öffentliche Finanzierung von gesellschaftspolitisch notwendigen Projekten und Leistungen auf Gemeinde- oder Regionsebene, also nicht Parkbankputzen und Schneeschaufeln mit Zwangsarbeitscharakter; Einbezug von Gemeinden, KMU´s, NGO´s und der betroffenen Zielgruppen nach einem klaren Regionalentwicklungsplan, kostenloser Zugang der Betroffenen zu allen Qualifizierungsangeboten neben der Werktätigkeit am 2. Arbeitsmarkt; dynamische Kontingentierung der Plätze nach der jeweiligen Höhe der Arbeitslosigkeit und Begründung eines ASVG-Dienstverhältnisses, also kein „Beihilfenjob“;
Wie beurteilen Sie diese drei Forderungen?

Zitz
Durch die Rückzahlungspflicht bei der Sozialhilfe in der Steiermark kommen da laut LH-Stv. Flecker 96 Mio. Euro im Jahr herein. Das ist eine sehr hohe Summe. Ich war total überrascht über diese Summe und glaube aber, dass man über eine Abschaffung dieser Rückzahlungspflicht tatsächlich SozialhilfeempfängerInnen, die wieder im Arbeitsmarkt sind, entlasten könnte von dieser Art der „Vergangenheitsbewältigung“, wenn sie von einem meist geringen Einkommen, die ehemals lukrierte Sozialhilfe auch noch zurückzahlen müssten. Also wir Grünen sind absolut d´accord mit dem Vorschlag, und wir haben in diese Richtung auch schon einen Landtagsantrag gestellt.
Zum Grundeinkommen: Ich bin Anhängerin einer bedarfsorientierten Grundsicherung, die bei rund 800,-- Euro angesetzt ist, alles inklusive und brutto. Da ist mir ein Riesenanliegen, dass es da eine klare Verknüpfung mit dem Arbeitsmarkt gibt, weil sonst die Gefahr besteht, dass man eine Gruppe von Leuten mit der Grundsicherung zufrieden stellt und damit noch ein Stück weiter ausgrenzt. Zum Mindestlohn von 1.000,-- Euro: Wir brauchen auch eine ein Lücke zwischen dem, was man im Regelarbeitsmarkt verdient und was man bei einer Grundsicherung bekommt, also das darf nicht ident sein, da muss ein gewisser Anreiz und Ansporn sein. Ohne das wird es nicht gehen. Was noch den Niedriglohnbereich betrifft: Wir haben derzeit 49 Branchen mit einem Monatsbruttogehalt unter 1.000,-- Euro bei 40-Stundenwoche.
Beim eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarkt, da würde es mir einfach auch darum gehen, dass man da diesen Arbeitsmarkt möglichst weit von der Parteipolitik fern hält, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass in Wahlkampfjahren die schwarzen Regierungsmitglieder ihre Wirtschaftsförderungsmitteln in die schwarzen Gemeinden und die rote Regierungsmitglieder die ihnen zur Verfügung stehenden Dotationen in die roten Gemeinden geben. Mein Wunsch wäre, einfach ressortübergreifende Projekte umzusetzen. Mein Schlusssatz zu diesem Round Table: Ich finde die Runde insofern total interessant, weil ich als LABG nie Gelegenheit habe, dass wir entspannt parteiübergreifend mit Sozialpartnern an einem Tisch sitzen, das passiert mir nie, außer ich organisiere es selber. Und so ein Diskussionsforum im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, das wäre dringend geboten als Qualitätssicherung für unser aller Politik.

Kröpfl
Die Abstimmung der Rückzahlungspflicht ist etwas, was bei uns immer wieder diskutiert wird. Wir haben keinen Ersatz dafür. Wie Edith Zitz gesagt hat, da kommt wahnsinnig viel Geld zurück, das glaubt man gar nicht. Was wir einmal eingebracht haben, dass man sich die einzelnen Fälle wesentlich genauer anschaut als bisher. Dass wir ganz davon wegkommen von der Rückzahlungspflicht, glaube ich momentan nicht – das sage ich ganz ehrlich, das wäre empfehlenswert, aber das glaube ich momentan noch nicht, aber man kann über diese Grenzen sicherlich einmal diskutieren. Die Rückzahlungspflicht ist diskriminierend für die betroffenen Personen, und sie trauen sich dann auch gar nicht, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen, weil sie sagen: „Jetzt müssen dann meine Kinder zahlen“.
Zur Grundsicherung: Da bin ich sehr froh, dass Edith Zitz dessen Koppelung an Arbeit gefordert hat. Auch die Differenz zwischen Mindestlohn für Arbeit und Grundsicherung muss gegeben sein im Sinne von Anreiz für den Einstieg in die Erwerbsarbeit.
Die Schaffung eines eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarktes – das wird eine Zukunftsaufgabe sein, dass man das wirklich so radikal angeht, wie ich es in Finnland und in einigen anderen Modellen gesehen habe. Dass man da wirklich radikale Ansätze fördert, die betroffenen Leute in ein Versicherungsverhältnis bringt, damit die damit auch Pensionszeiten erwerben können.

Kirisits
Die Rückzahlungspflicht war auch bei uns in der AK ein Thema. Wir haben das auch dahingehend formuliert natürlich im Bewusstsein, dass das ein bedeutender finanzieller Posten ist, wenn jemand eine Arbeit aufnimmt, dann soll das Land das überdenken, ob die Sozialhilfe zurückbezahlt werden muss. Die Abschaffung der Rückzahlungspflicht wäre quasi ein Anreiz, überhaupt wieder in den Arbeitsmarkt einzutreten. Das Problem ist natürlich, dass es sich meist um jene Gruppen handelt, die unter dem technischen Begriff „arbeitsmarktferne Personen“ laufen, und die Frage ist immer, wie kommen die zurück in den Arbeitsmarkt. Also insofern ist die Abschaffung der Rückzahlungspflicht ein Ansatz in eine Richtung, in die man weiterdenken könnte.
Zum eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarkt: Ich kann mir den gut vorstellen, wenn immer wieder das Konzept der menschenwürdigen Arbeit der ILO (International Labur Organization) im Spiel ist. Für mich gilt das Kriterium auch für den zweiten Arbeitsmarkt. Es gibt Erfahrungen mit dem zweiten Arbeitsmarkt, und ich sage, ein Kriterium ist, dass die Tätigkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt mit Menschenwürde verknüpft sein müssen. Wenn nämlich das Gefühl entsteht, es ist eine sinnlose Arbeit, nur um Leute zu beschäftigen, dann ist es für mich eine klare Fehlentwicklung. Und das zweite – das wird wahrscheinlich der Kollege von der WK einbringen – inwieweit dann Konkurrenzierung zu bestehenden gewerblichen Unternehmen gegeben ist, die einen Markt bearbeiten. Also das sind zwei sehr wesentliche Kriterien, aber grundsätzlich ist es eine positive Sache. Inwieweit Gemeinden finanziell und personell dazu in der Lage sind, also das muss man sich sehr genau anschauen. Derzeit ist das wahrscheinlich nicht der Fall bzw. die Gemeinden werden sagen, wir stehen in unseren finanziellen Möglichkeiten an, wir haben jetzt auch nicht die personellen Ressourcen. Also da muss man sehr genau schauen, damit es dann nicht ein Schuss nach hinten wird.
Zum voraussetzungsfreien Einkommen für jeden Unionsbürger: Das ist fünf Schritte vorwärts gedacht, dieses Grundeinkommen europaweit einzuführen. Für uns ist es einmal wichtig, dass wir sagen: Wir haben eine sehr hohe Flexibilität im Beschäftigungssystem. Aber wie schaut es mit der Sicherheit aus? Und da ist ganz klar, dass das Arbeits- und Versicherungsrecht nicht angepasst ist an die Flexibilität des Arbeitsmarktes. So sind die Ersatzraten im Arbeitslosenversicherungsrecht zu gering, man könnte das durchaus länger ausbezahlen. Und die Frage ist auch, ob man unbedingt das PartnerInneneinkommen anrechnen muss in der Notstandshilfe. Das gehört aus meiner Sicht auch aus der Sicht der AK hinterfragt und teilweise verbessert. Die ArbeitnehmerInnen haben sehr viel eingebracht an Flexibilität, und die Frage ist jetzt, was bekommen sie als Sicherheit zurück?. Das wäre schon ein wichtiger Schritt.

Verhounig
Der zweite Arbeitsmarkt ist sicher eine Idee, die man verfolgen könnte. Also in den 80er Jahren hat es einmal die Aktion 8000 gegeben, wo Arbeitslose in Bereichen beschäftigt worden sind, die dann später teilweise sogar marktfähig geworden sind. Das wäre ein Ansatz, den man jetzt wieder verfolgen könnte, weil so kann man das Problem umgehen, dass dadurch am zweiten Arbeitsmarkt irgendwo eine Konkurrenz entsteht zu Unternehmen. Weiters muss beim zweiten Arbeitsmarkt eine Koppelung mit Ausbildungsschienen gegeben sein. Und drittens was ganz wichtig ist, was in Schweden, Finnland usw. funktioniert am zweiten Arbeitsmarkt, ist die Akzeptanz dieser Arbeit. Denn wenn der zweite Arbeitsmarkt nur als „Abstellgleis“ wahrgenommen wird, dann wird es für die Leute, die dort wirklich beschäftigt sind, unmöglich sein, am ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
Zur Grundsicherung: Da bin ich auch für eine Stärkung der momentanen Grundsicherungselemente, die wir schon haben. Ein voraussetzungsfreies Grundeinkommen ist in Österreich allein sicher nicht implementierbar. Auf europäischer Ebene sicher auch schwer, aber da muss überhaupt die Differenz zum Mindestlohn schon ziemlich groß sein, damit der Anreiz da ist, dass die Leute wieder in den normalen Arbeitsmarkt einsteigen. Das müsste aber auch die Forderung sein.
Zur Rückzahlung der Sozialhilfe: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Land auf 96 Mio. Euro verzichtet, wenn man sich die Defizite anschaut. Zumindest ist es nicht sehr realistisch, dass das passiert.

Ehetreiber
Ich darf hier trotzdem nochmals kritisch nachhaken: Auch wenn es 96 Mio. Euro sind, so handelt es sich mehrheitlich um die ärmsten Menschen, die das dann zurückzahlen. Wie leben Sie mit dieser Tatsache?

Zitz
Also die Zahl, die habe ich einer schriftlichen Anfrage von LH-Stv. Flecker, weil ich fassungslos war, wie hoch die Zahl ist und ich muss jetzt immer schauen, was da genau die einzelnen Bestandteile sind, wie sich diese Zahl zusammensetzt, weil da kommt unglaublich viel zusammen.

Verhounig
In Wahrheit ist die Rückzahlungspflicht ein Wahnsinn – aber ich kann da nur für mich persönlich sprechen, nicht für die WK.

Ehetreiber:
Aber wenn ich Sie richtig verstehe, argumentieren Sie, Herr Verhounik, in Richtung Ausbau der bestehenden Sozialversicherung…

Verhounig
… der Grundsicherungselemente, die wir jetzt haben. Man soll darüber nachdenken, dass man das vielleicht ein wenig ausweitet: die Arbeitslosenzeiten, den Anspruch auf Arbeitslosengeld und solche Sachen, vielleicht eher als ein Grundeinkommen – da bin ich ein bisschen skeptisch, auch was die Finanzierbarkeit im Endeffekt.

Kirisits
Ich möchte einen kurzen Einwand einbringen: Die Gemeinden haben bei uns laut Bundesverfassung keine beschäftigungspolitische Kompetenz. Das hieße, dass man diesbezüglich etwas ändern müsste und in zweiter Linie dann natürlich über den Finanzausgleich die Gemeinden besser auszustatten sind. Weil nur den Gemeinden zu sagen, macht´s Beschäftigungspolitik und bügelt´s das aus, was auf der nationalstaatlichen Ebene möglicherweise versäumt worden ist, und das Gemeindebudget bleibt gleich, das funktioniert nicht. Man muss das auch gesetzlich verankern.

Verhounig
Wenn man sich die Kommunalbudgets bei uns anschaut in der Steiermark speziell, also da habe ich wenig Hoffnung, dass da irgendwas passiert.

Ehetreiber:
Wir haben den eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarkt visionärer geplant: Wenn so etwas als Auftrag ergeht von der EU an die Nationalstaaten oder vom Nationalstaat an die Länder und Gemeinden, dann darf es nicht „unter schlichter Wahrung der Kostenneutralität“ passieren, sondern dann muss es klare und angemessene Budgets dafür geben, die vor Ort in den Regionen im Sinne von Regionalentwicklung koordiniert sind unter Einbezug der KMUs, der NGOs, der Gemeinden, die davon betroffen sind. Also es muss dann schon ein deutlich höherer Mehrmitteleinsatz da sein, der zu den gefragten Projekten und Leistungen vor Ort führt, die auf dem zweiten Arbeitsmarkt in Kooperation mit dem ersten führen muss – so war der Denkansatz in der Runde von „A-Sozial“.

Stenner
Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!


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