Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Lanfassung des Artikels: "Sozialabbau findet im Kopf statt"
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Mittwoch, 14. Juni 2006
Round Table „Zukunft Sozialstaat Österreich“ am 17.05.2006

TeilnehmerInnen:     
Klubobmann Mag. Christopher Drexler, ÖVP
Klubobmann Ernest Kaltenegger, KPÖ
Ass.-Prof. Dr. Gerhard Wohlfahrt, Universität Graz
Manuela Palmar, Korso
Christian Ehetreiber, ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus (Moderator)

Ehetreiber
Den Anlass für dieses zweite Round-Table-Gespräch zur Zukunft des Sozialstaates bildet die Jugend-Wanderausstellung „A-Sozial“, die am 1. Juni 2006 in Graz eröffnet wird. Sozialstaat ist ein sehr weiter Begriff: Worauf legen Sie dabei zuallererst den Fokus?

Kaltenegger
Wichtig erscheint mir, dass einmal die Grundbedürfnisse des Menschen abgedeckt werden, dass sie wohnen, ausreichend essen, sich kleiden können und dass sie auch am kulturellen Leben teilnehmen können. Es ist auch notwendig, dass der Sozialstaat Voraussetzungen schafft, die es ermöglichen, von Arbeit zu leben. Das ist heute nicht mehr immer zutreffend. Es gibt oft Beschäftigungsverhältnisse mit Löhnen, von denen Menschen einfach nicht mehr leben können, obwohl sie einer Arbeit nachgehen.

Drexler
Obwohl vielleicht verwunderlich, stimme ich mit Herrn Kalteneggers Aussage zu 100% überein. Das Entscheidende ist nämlich, dass eine ausreichende Existenzmöglichkeit durch Arbeit gefunden werden soll, womit es auch die wesentlichste sozialpolitische Maßnahme der Politik ist, für möglichst viel Arbeit in einem Staat bzw. in einem Land zu sorgen. Das ist entscheidend und ganz wichtig, einschließlich der Bemerkung des Kollegen Kaltenegger, dass es natürlich auch darum geht, dass derjenige, der einen Vollzeitarbeitsplatz hat, auch tatsächlich davon leben können soll, womit die Lohnpolitik gefordert ist – da bin ich ebenfalls absolut d`accord!
Ich glaube, dass der kontinentaleuropäische Weg eines Sozial- und Wohlfahrtsstaates, wie wir ihn erleben, an sich ein bewahrenswerter, schützenswerter Wert ist, der auch weiterentwickelt werden soll. Ich glaube, der Sozialstaat könnte sogar zu einem europäischen Exportschlager werden. Die Politik müsste möglichst nachhaltig verlässliche soziale Sicherungssysteme garantieren. Das heißt aber für mich nicht – und hier würde ich ein anderes Wording als der Kollege Kaltenegger verwenden - dass man für alle von vorne herein einmal Wohnen und andere Grundbedürfnisse abdecken sollte, sondern ich bin zu allererst einmal daran interessiert, dass sich das ein jeder selber leisten kann. Aber im Wissen, dass das natürlich ein frommer Wunsch ist, dass alle aus eigener Kraft sich das leisten können, müssen spätestens dann soziale Sicherungssysteme eingreifen zum einen und zum anderem eben, wenn sich die klassischen Risiken, die der Sozialstaat abzufedern versucht, verwirklichen, muss ein verlässliches System sozialer Sicherung da sein.

Wohlfahrt
Ich würde gerne den Sozialstaat mit dieser Netzmetapher vergleichen, und ich glaube, dadurch kommt auch die leichte Differenz zwischen den beiden Klubobleuten heraus. Es soll ein Netz sein, das auf jeden Fall so engmaschig ist, um alle Risken abzufedern. Es soll aber nach allgemeinem Verständnis nicht in jedem Fall greifen, das heißt, wenn sich jemand nicht durch Arbeit beteiligen will, dann ist das momentan nicht mehrheitsfähig, dass dieser vom Netz getragen wird. Wenn man nicht beim bedingungslosen Grundeinkommen ist, dann müssen Sie aber Bedingungen klar erfassen, wann genau dieses Netz wie greifen soll und wann nicht. Und ich glaube da bedarf es einerseits ganz sicher engmaschigerer Absicherung, denn es fallen einige durch, die „einfach nicht wollen“. Und vielleicht sind manche Netzteile zu massiv gebaut, die früher wichtig waren, die heute gar nicht mehr so wichtig sind. Also ich glaube, wir müssen schauen, was das Netz zur heutigen Zeit noch leisten muss. Und das sind dann die Feinheiten, wo dann die Divergenzen wieder aufgehen. Wir wollen ein Netz, und das muss stabil und sicher sein, und langfristig finanzierbar und, und, und. Wir müssen uns im Detail anschauen, wo die Maschen im Netz zu groß und vielleicht auch vereinzelt zu klein sind.

Ehetreiber
Stichwort „Darf´s ein bisschen billiger sein?“ Die Erhöhung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes setzt den Sozialstaat zunehmend unter Druck. Wie beurteilen Sie diesen Trend in der EU? Sozialstandards werden – wie wir im Wissenschaftsteam der Ausstellung festgestellt haben – immer mehr in Richtung südosteuropäischer Low-Level-Standards abgebaut, statt sie in Richtung skandinavischer Hochleistungssozialstaaten auszubauen. Nehmen Sie das ähnlich wahr? Und wenn ja, wie kann man dagegen Position beziehen?

Drexler
Ich beantworte die Frage mit einer Gegenfrage: Ich würde gerne den Sozialstandard kennen, der sich in Richtung südosteuropäisches Niveau abgesenkt hat in Österreich. Durch so eine Frage wird eine Grundstimmung geschürt, als wären wir kurz davor, unser Sozialsystem irgendwo zwischen Bulgarien und Bangladesch anzusiedeln, was definitiv nicht der Fall ist. Ich bin auch der Meinung, dass jene, die bei jeder kleinen Novelle im ASVG vom großen Sozialabbau sprechen, in Wahrheit ihrem vorgegebenen Interesse, den Sozialstaat zu sichern, einen Bärendienst erweisen und daher kann ich zu dieser Frage nichts sagen, weil ich sehe keine Nivellierung nach unten auf ein bulgarisches, rumänisches oder fernöstliches Niveau in Österreich und auch nicht in Europa, ehrlich gesagt. Ergo dessen interessiert mich die Diskussion da jetzt einfach, und ich kann keine weitergehende Antwort geben, sondern harre der Beispiele, die mich eines besseren belehren.

Kaltenegger
Ich sehe das schon ein bisschen anders. Natürlich ist es wichtig festzuhalten, dass wir jetzt nicht das soziale Niveau von Bulgarien oder Rumänien haben. Das ist ja selbstverständlich, das wäre ja schlimm, wenn es so wäre. Aber die Richtung in der österreichischen Sozialpolitik geht durchaus nach unten. In den Betrieben ist Lohnverzicht längst kein Fremdwort mehr. Das bedeutet, dass Menschen auf einen Teil des ihnen zustehenden Lohns verzichten, um angeblich ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Wenn ich an die Arbeitszeitregelungen denke, die kommen sollen, also das ist für mich kein Schritt nach vorn, sondern ein Schritt zurück. Es gibt durchaus Diskussionen um die 45-Stunden-Woche, 50-Stunden-Woche usw. Grundsätzlich hat sich einfach etwas grundlegend geändert: In den 70er, 80er Jahren war mit dem Begriff „Reform“ noch meistens etwas Positives verbunden. Die Leute haben das Gefühl gehabt, jetzt wird es für alle besser. Heute weiß man mittlerweile, „Reform“ ist irgendwie ein „Drohwort“ geworden. Wenn man von Reform spricht, wird meistens von den Errungenschaften, die erreicht wurden, wieder etwas zurückgenommen. Das ist einfach ein Faktum. Und wenn man sich jetzt über Österreich hinausbewegt, natürlich gibt es Bereiche, wo das noch viel deutlicher ist als bei uns. Ein so ein Beispiel sind die neuen Bundesländer in Deutschland. Dort gibt es fix festgelegte niedrigere Löhne als in den alten Bundesländern. Und trotzdem gibt es eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit, die sich sogar noch stärker entwickelt hat, als das vor 15 Jahren noch der Fall war. Also zeigt das eigentlich, dass man damit nicht das beschäftigungspolitische Ziel erreichen kann, indem gesagt wird: „Kürzen wir einfach die Löhne; Schauen wir, dass wir mit den Sozialleistungen heruntergehen, dann werden wir als Wirtschaftsstandort attraktiv.“ Also die Tatsachen sprechen eine andere Sprache.

Ehetreiber
Herr Wohlfahrt, existieren aus Ihrer Perspektive die von Klubobmann Drexler eingemahnten Beispiele eines sich in Richtung Südosteuropa bewegenden Sozialstaates?  

Wohlfahrt
Die Beispiele gibt es sehr wohl. Es ist auch wichtig zu sagen, dass wir uns nicht auf dem südosteuropäischen Niveau befinden – zum Glück. Wir wollen dort auch nicht hinkommen. Die Frage war, ob es Schritte in diese Richtung gibt? Und die Schritte gibt es schon ganz eindeutig. Sozialabbau findet im Kopf statt. Die Reformen sind angesprochen worden, die sind tatsächlich ganz anders besetzt als früher. Also beim Wort „Reform“, da denkt kaum noch einer an Verbesserung, sondern wo kann man einsparen – das ist ein völliges Umdenken. Konkret: Schauen wir uns zB den sprunghaften Anstieg atypischer Beschäfigungsverhältnisse an, der in vielen Fällen gleichzusetzen ist mit Sozialabbau. Bleiben wir beim Arbeitsmarkt: Wenn man die Reformen beim Arbeitslosenversicherungsgesetz der letzten 10 bis 20 Jahre verfolgt, das ist lupenreiner Sozialabbau. Da wird weniger gezahlt, da werden Zuschläge gekürzt, da wird das Höchstarbeitslosengeld nicht angehoben, obwohl die Beiträge steigen. Also da sieht man einfach, dass da wirklich der Abbau sozialer Leistungen passiert.

Drexler
Die Frage war aber, ob der Abbau des Sozialstaates in Richtung Bulgarien oder Rumänien erfolgt. Das ist was anderes.

Wohlfahrt
Also immer dann, wenn es weniger wird, geht es in diese Richtung. Ich glaube, darüber sollten wir uns einig sein.

Drexler
Okay.

Ehetreiber
Bei „A-Sozial“ stellten wir uns die Frage, ob Österreich sich in Richtung höher entwickelter skandinavischer Sozialstaatsmodelle bewegt oder in die Gegenrichtung. Selbstverständlich anerkennen wir die Tatsache, dass wir von südosteuropäischen Sozialstandards meilenweit entfernt sind. Aber es geht um die Richtung. Bewegt sich die EU und unsere Republik Österreich in Richtung höherer Standards, wie wir sie im Norden haben, oder bewegt sie sich in Richtung „darf´s immer billiger sein“?

Wohlfahrt
Was für mich noch viel schlimmer ist: dass diese Höchstarbeitslosenzahlen, die wir derzeit haben, auch noch ganz einfach akzeptiert werden. Das ist für mich Ausdruck jenes Sozialabbaus, der passiert ist. Es wäre vor 30 Jahren undenkbar gewesen, dass irgendeine Regierung sich hinstellen kann und mit diesem Arbeitsmarktergebnis in der Öffentlichkeit auftreten kann. Da hat es damals geheißen, wenn man die wissenschaftliche Literatur durchschaut: „Die Geißel der Arbeitslosigkeit ist besiegt. Das gibt es nie mehr“. Und jetzt haben wir Höchstwerte in der 2. Republik. Wie ist das vorstellbar? Warum regt das niemanden auf? Warum ist es einfach nicht mehr möglich, durch Arbeit sich selbst abzusichern? Warum gibt es die hohen Arbeitslosenquoten und warum gibt es keinen oder nur sehr wenig politischen Handlungsbedarf?

Ehetreiber:
Sie legen mir gleich den Ball zum zweiten Fragenkomplex auf, den wir provokant übertitelt haben: „Die Geschichte, ja die haben wir vergessen“. Nach der behübschenden Eurostat-Statistik hatte wir im Jahr 2005 8,7% BürgerInnen der EU-25, die keinen Job gehabt haben, und über 17% der Jugendlichen haben im ersten Quartal 2006 in den EU-25-Staaten keinen Job gehabt. Wir haben es pointiert formuliert: Auschwitz und der Zweite Weltkrieg scheinen vollends vergessen zu sein, nämlich wohin die Massenarbeitslosigkeit führen kann. Wir haben übrigens keine einzige Studie gefunden, die positive Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Armut oder von prekärem Wohlstand belegt hätte. Und dann der ewige Statistikstreit: Die einen sagen immer, wir haben die höchste Beschäftigungsquote in Österreich – stimmt! Wir haben gleichzeitig aber auch die meisten vorgemerkten Arbeitslosen in der Zweiten Republik. Aber die viel relevantere Zahl wird meistens nicht diskutiert, die sogenannte Stellenandrangszahl. Diese bewegte sich bei den Regierungen Klaus und Kreisky bei rund 1:1 bis 1:1,5. Diese Zahl hat sich sich auf 1:11 verschlechtert. Und das erleben die meisten Menschen als einen radikaler werdenden Problemdruck, als „Gemetzel am Arbeitsmarkt“. Was kann man da als Landespolitiker tun, um die Vollbeschäftigungspolitik zu erneuern? Ist das überhaupt noch Ziel?

Drexler
Zum ersten, Christian, muss ich dich – weil es für dich unüblich ist - eines wirklich unglaublichen Zynismus zeihen! Denn die Frage, ob man den Zweiten Weltkrieg oder Auschwitz schon vergessen hätte, zu verknüpfen mit irgendwelchen EUROSTAT-Arbeitsmarktsdaten, das halte ich schon für keck – ganz ehrlich.
Zur Feststellung, dass man keine Studie gefunden hat, die belegt, dass weniger Wohlstand keinen positiven Effekt hat – ich meine „no–na“. Das halte ich auch für keck, weil das ist ja jedem klar. Und wenn du schon die EUROSTAT-Arbeitsmarktdaten hier nennst, dann sage ich: Gott sei Dank haben wir in Österreich erheblich bessere Daten, als die von dir genannten.
Nach deiner zuvor gestellten Frage, befinden wir uns ja auf dem Weg nach Bulgarien, und in Finnland, Schweden, Dänemark und Co ist alles super. Wenn ich die Arbeitsmarktdaten dieser Staaten einigermaßen im Griff habe, sind wir da keine „Balkanvorbereiter“. Also insofern bitte ich einfach, die Kirche im Dorf zu lassen, um das ganz pragmatisch zu formulieren. Und nun zum Kollegen Kaltenegger mit den neuen Bundesländern: Das ist natürlich auch ein spannendes Thema. Ja, es gibt unterschiedliche Tarifverträge in den neuen und in den alten Bundesländern. Warum aber die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern so ist, wie sie ist, darüber brauchen wir auch nicht diskutieren. Weil diesen Ländern 40 Jahre ihrer Entwicklung gestohlen wurden von unmenschlichen Regimes und deren neuen Gallionsfiguren à la Gregor Gysi und Sarah Wagenknecht versuchen, das auch noch zu relativieren. Das ist an sich unerhört. Zumindest würde ich mehr Verantwortung für den ökonomischen Notstand in den neuen deutschen Bundesländern dort verorten in den vergangenen Jahrzehnten als in den unterschiedlichen Tarifverträgen heute. Da bin ich auch sehr sensibel!

Ehetreiber
Ich bringe es auf den Punkt: Die Bundeskanzler Klaus, Kreisky und die Sozialpartner haben das sogenannte Golden Age of the Welfares State vor dem Hintergrund entwickelt, dass solche Phänomene wie Auschwitz und Zweiter Weltkrieg nicht mehr stattfinden sollen. Und die Verantwortlichen haben erkannt, wohin hohe Arbeitslosigkeit führt. Daher bin ich überzeugt, dass man in Anbetracht des „Vergessens der Geschichte“ so keck und pointiert argumentieren darf.

Drexler:
Ja, und ich werde ebenso pointiert antworten. Nur möchte ich eins noch anmerken zu den ASVG-Novellen: Ja, das mag schon sein und das ist sicher richtig. Nur es ist nicht jede Novelle oder jede Änderung gleich Sozialabbau. Das ist gewerkschaftliche Logik - und ich bin selber seit langer Zeit ÖGB-Mitglied. Fortschritt ist dieser Logik zufolge nur mit einem Lohnplus von 2% gegeben.  Und von einem einmal erreichten Level darf man dann keinen Millimeter mehr nach unten abweichen, weil das sofort als Minus empfunden wird. Die Frage ist aber schon die, ob es etwa vor dem Hintergrund gewerkschaftlicher Solidarität eine besonders große Errungenschaft war, dass ein ÖBB-Bediensteter mit 53 in Pension gehen darf. Wenn jetzt etwa das Pensionsrecht der Eisenbahner novelliert würde und der Eisenbahner irgendwann mit 60 in Pension geht und nicht mit 53, dann halte ich es für einen sozialpolitischen Fortschritt und keinen Rückschritt.

Kaltenegger:
Das Land Steiermark hat natürlich – das muss man offen sagen - eingeschränkte Möglichkeiten zur Beeinflussung der Arbeitslosigkeit. Vieles ist ja Bundessache oder mittlerweile EU-Sache. Einiges wird bewegt über Wirtschaftsförderung und Schaffung von Strukturen, die eben eine Ansiedlung von Unternehmen ermöglichen sollten. Das ist die eine Geschichte. Worüber man auch diskutieren müsste, ist ein Widerspruch: PolitikerInnen stellen sich gerne hin, lassen sich groß feiern, wenn es irgendwo gelungen ist, fünf Arbeitsplätze zu schaffen. Da gebührt auch Applaus, denn es ist etwas gelungen. Und dieselben PolitikerInnen stellen sich dann hin und verkünden ganz groß, wie toll es ist, dass im öffentlichen Bereich soundso viele Arbeitsplätze eingespart werden konnten. Also da sehe ich einfach einen Widerspruch drinnen. Und es gibt natürlich hier durchaus Möglichkeiten, auch im eigenen Bereich also unmittelbar für Arbeitsplätze zu sorgen, die noch dazu auch leichter zu sichern sind als mit Subventionen. Man merkt ja, dass Betriebe große Subventionen kassieren, wenn es überhaupt bestimmte Auflagen gegeben hat, dann haben sie halt nach Ablaufen der Frist sehr oft ihre Betriebe wieder ins nächste Fördergebiet abgesiedelt. Also das ist glaube ich eine Sackgasse. Man sollte auch reden über die Bedeutung des öffentlichen Sektors. Das bedeutet jetzt für mich nicht, dass wir verstaatlichte Großwirtschaften brauchen, aber es gibt vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge so viele Möglichkeiten, wo auch die öffentliche Hand für Arbeitsplätze sorgen kann. Und es sind die Gemeinden bei uns in der Steiermark unter Finanzdruck. Sie haben dann auch nicht mehr die Möglichkeit, einerseits selbst Leute zu beschäftigen im gewünschten Ausmaß oder andererseits auch nicht mehr die Möglichkeit, Aufträge nach außen zu vergeben, weil halt einfach das Geld fehlt. Und über das müsste man auch reden.

Wohlfahrt
Es ist völlig richtig, dass es auch sinnvolle Einschränkungen im Sozialbereich geben kann. Deshalb habe ich ganz bewusst auf die Verschlechterung im Arbeitslosenversicherungsgesetz hingewiesen, und da tue ich mir relativ schwer, wenn man unterstellen will, dass das die Privilegierten sind. Und da ist die Entwicklung paradox: Zu Zeiten, als es noch relativ leicht war, einen Job zu bekommen – sprich 70er oder frühe 80er Jahre – da hat die Gesellschaft damit gut umgehen können, dass es Arbeitslose gibt und die auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bekommen. Jetzt, wo offensichtlich so viele Leute einfach keine Chance mehr haben, einen Arbeitsplatz zu kriegen - auf jeden Arbeitsplatz bewerben sich 10 Leute und mehr – jetzt auf einmal wird stärker am einzelnen festgehakt. Und das ist genau die falsche Entwicklung. Selbst wenn alle freien Arbeitsplätze sofort besetzt werden, haben wir noch immer 90% der Arbeitslosen. Das heißt einerseits in der Arbeitslosenversicherung zu kürzen und andererseits gesinnungsmäßig einen Wechsel zur individuellen Verantwortung vorzunehmen, das ist sicher der falsche Weg.

Kaltenegger
Das ist ja auch ein interessanter Widerspruch. Also dass man jenen, denen es schlechter geht, sagt, bei ihnen muss man die Latte ein wenig höher legen, damit sie motiviert werden, was zu tun. Also die Armen müssen irgendwie ein bisschen weniger kriegen, dann haben sie wieder einen Geist, etwas zu tun, raffen sich auf, wohingegen den Reichen immer mehr gegeben wird, damit sie motiviert sind.

Ehetreiber:
Abgesehen von der Erhöhung der Attraktivität des Wirtschafts- und Sozialstandortes Steiermark und einer echten Bildungs- und Qualifizierungsinitiative – alles dringend nötig - möchte ich drei weitere Maßnahmen zum Ausbau des Sozialstaates diskutieren: Wir haben mittlerweile viele Menschen, die nicht mehr mithalten mit einer hochqualifizierten und hochgerüsteten modernen Arbeitswelt. Was tut man mit jenen Menschen vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit, damit diese eben nicht durch die Maschen des sozialen Netzes durchfallen? Wir haben drei Vorschläge entwickelt:
o       Die Abschaffung der Rückzahlungsverpflichtung der Sozialhilfe in allen Bundesländern
o       Das zweite ist das voraussetzungsfreie Grundeinkommen in einer Höhe von monatlich rund 700,-- Euro zzgl. Kranken- und Unfallversicherung und einen Anspruch auf sachwertige soziale Leistungen dazu. Darüber sollte eine alte, jedoch nicht verwirklichte ÖABB-Forderung, nämlich die 1000,-- Euro Bruttomindestlohn aufsetzen für Vollerwerbstätigkeit. Und als drittes Geschoss dieses europäischen Sozialhauses sollten die höher entwickelten Kollektivvertragssysteme aufsetzen.
o       Drittens gibt es viele Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt keine Arbeit finden, weshalb wir einen Radikalausbau eines eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarktes fordern, der nicht nur Instrument für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt sein soll und folgende Kriterien erfüllen müsste: Öffentliche Finanzierung von gesellschaftspolitisch notwendigen Projekten und Leistungen auf Gemeinde- oder Regionsebene, also nicht Parkbankputzen und Schneeschaufeln mit Zwangsarbeitscharakter; Einbezug von Gemeinden, KMU´s, NGO´s und der betroffenen Zielgruppen nach einem klaren Regionalentwicklungsplan, kostenloser Zugang der Betroffenen zu allen Qualifizierungsangeboten neben der Werktätigkeit am 2. Arbeitsmarkt; dynamische Kontingentierung der Plätze nach der jeweiligen Höhe der Arbeitslosigkeit und Begründung eines ASVG-Dienstverhältnisses, also kein „Beihilfenjob“;
Wie beurteilen Sie diese drei Forderungen?


Kaltenegger
Die Abschaffung der Rückzahlungsverpflichtung der Sozialhilfe unterstützen wir zu 100%. Es ist einerseits ein hoher Verwaltungsaufwand damit verbunden und andererseits ist es auch demotivierend für viele, wenn sie wissen, dass bei Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses die Sozialhilfe wieder zurückgezahlt werden muss. Und letztlich kenne ich Fälle, wo sich Leute nicht getrauen, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie einfach die Regresspflicht fürchten.
Mit dem voraussetzungsfreien Grundeinkommen habe ich ein echtes Problem.  Ich befürchte einerseits, dass dieses Grundeinkommen sich einpendelt auf eine bessere Sozialhilfe. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Schattenwirtschaft sich noch stärker entwickelt, weil man dann halt noch so nebenbei das eine oder andere verdient und der Staat dadurch weniger Einnahmen hat, um wieder für soziale Leistungen Geld zur Verfügung zu haben. Also da habe ich ein sehr großes Problem damit, und ich denke es gehört auch zum Menschen dazu, dass er sich selbst durch Arbeiten bestätigen kann, also nicht dass die Zweidrittelgesellschaft dann endgültig fixiert wird durch dieses voraussetzungsfreie Grundeinkommen.
Den eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarkt wird es geben müssen. Also da muss man einfach auf die Realität Rücksicht nehmen. Es gibt Menschen, die einfach diesem Druck auch nicht mehr standhalten können. Da wird man Betriebe schaffen müssen, die einfach ein bisschen andere Maßstäbe anlegen. Aber trotzdem den Leuten die Möglichkeit zu geben, erstens wieder in den Arbeitsprozesse reinzukommen, sich auch wieder an bestimmte Tagesabläufe zu gewöhnen und auch wieder ein ganz reguläres Arbeitsverhältnis zu kriegen.

Drexler
Die Rückzahlungsverplichtung in der Sozialhilfe ist ein mehrschneidiges Schwert sozusagen. Wenn wir jetzt wirklich nur über die allgemeine Sozialhilfe eine Diskussion führen, ob es sinnvoll ist, sie grundsätzlich rückzahlbar zu gestalten, brauchen wir nur in die Statistik schauen, dann werden vermutlich 95% der sogenannten Rückzahlungsverpflichtungen wahrscheinlich nie schlagend.

Ehetreiber
In der Steiermark handelt es sich laut Auskunft von LABG Zitz um rund 96 Mio. Euro.

Drexler
Es geht insgesamt etwa um 90 Mio. Euro. Nur man muss sich eben genau anschauen, aus welchem Titel das jeweils kommt. Ich bin zB der Meinung, dass die Unterbringung in einem Pflegeheim, wenn kein Vermögen und kein ausreichendes Einkommen da ist, aus dem Sozialhilfebudget zu zahlen ist. Es ist aber genau zu schauen, ob wirklich kein Vermögen und kein Einkommen da sind, um den alten Schmäh, der rechtzeitigen Überschreibung von Vermögen an irgendwelche Bekannten und Verwandten abzustellen und zu Unrecht bezogene Leistungen zurückzuzahlen.  Ich will nämlich nicht irgendwann einmal das gesamte System der Sozialhilfe und des Sozialstaates in Frage gestellt wissen durch irgendwelche populistischen Medienberichte, weil der Sozialhilfeempfänger zufällig einen Lottogewinn gemacht hat – 2 Mio. Euro gewinnt -, aber weiter Sozialhilfe bezieht, ohne irgendetwas zurückzahlen zu müssen. Ich würde hier auch keine abschließende Antwort geben zu diesem Thema, weil beide Argumente etwas für sich haben: Man kann auf der einen Seite sagen, wenn das rückzahlbar ist, schaffe ich erst recht keinen Anreiz, dass jemals jemand wieder aus der Empfängersituation herauskommt; andererseits kann ich sagen, ja wenn er herausgekommen ist, warum soll er dann nicht wieder seinen Beitrag leisten. Also das erfordert weitere Diskussion.
Zum voraussetzungslosen Grundeinkommen teile ich zum einen die Bedenken des Kollegen Kaltenegger und möchte sie noch durch ein weiteres Gegenargument ergänzen: Wir haben insgesamt ein sehr ausdifferenziertes Sozialsystem, das natürlich auch so gedacht ist, dass für spezielle Defizite spezielle Leistungen da sind. Und ich bin einmal grundsätzlich eher für eine differenziertes System, das spezielle Defizite mit speziellen Leistungen abzufedern versucht, als für eine Grundregel „ Es hat einmal jeder 700,-- Euro und eine Krankenversicherung und Grüß Gott und auf Wiederschauen“. Erstens glaube ich, dass es da erhebliche Streuverluste gibt und zweitens glaube ich, dass möglicherweise, wenn man Derartiges einführen würde, andere spezielle Leistungen gekürzt werden müssten.
Zum zweiten Arbeitsmarkt: Natürlich bin ich für einen zweiten Arbeitsmarkt als ergänzende Geschichte. Nur auch da warne ich davor, dass wir sagen, er sei ein Allheilmittel – da bin ich immer ein bisschen vorsichtig. Ich glaube, dass wir einen zweiten Arbeitsmarkt brauchen, wie es auch Kollege Kaltenegger gesagt hat, um gewisse Leute, die einfach am ersten Arbeitsmarkt vielleicht auch nur vorübergehend keine Chance haben, irgendwie in ein Erwerbsleben zu integrieren und ihnen auch Wertschätzung zu geben, am Arbeitsprozess teilzunehmen. Aufpassen muss man an den Grenzen zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Erstens was Konkurrenzierungen betrifft, was gelegentlich behauptet wird und natürlich auch: Wir müssen die Kanäle zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt befahrbar machen vom zweiten zum ersten. Das heißt, man muss immer gleich schauen, dass durch Qualifizierungen aber auch durch Anreize ein Einbahn-Highway gleichzeitig installiert wird vom zweiten zum ersten.  Der zweite Arbeitsmarkt darf kein Dauerparkplatz werden.

Ehetreiber
Aber eigenberechtigt soll der zweite Arbeitsmarkt nicht sein. Sie haben nämlich beide „die Schuhlöffelfunktion“ für den ersten Arbeitsmarkt paraphrasiert. Klar sollte der zweite Arbeitsmarkt in Zukunft auch Highway sein für den Einstieg in den ersten. Aber in Anbetracht der massiv steigenden Arbeitslosenquoten und vor allem eines wissensbasierten europäischen Wirtschaftsraumes werden sehr viele Menschen einfach nicht mehr mithalten können mit den steigenden Anforderungen. Daher unsere Insistenz auf den „eigenberechtigten zweiten Arbeitsmarkt“, der kontingentiert sein muss, Zugang zur Qualifizierung bietet und vieles mehr.  

Wohlfahrt
Nur ganz kurz zum Highway: Wenn der Highway funktioniert, dann brauchen wir darüber nicht zu diskutieren, denn dann gibt es den zweiten Arbeitsmarkt nicht lange.

Zur Rückzahlung der Sozialhilfe: Generell sollte diese zum Großteil abgeschafft werden. Einerseits muss man fragen, ob die  Kinder zahlen sollen, denn das ist eine schwierige Geschichte. Also das kann nicht sein, dass die Allgemeinheit zahlt, der Familienangehörige kriegt Sozialhilfe, und dann wird das Haus vererbt. Zuerst muss die Allgemeinheit ihr Geld kriegen, dann gibt es Erbschaften.
Zum Grundeinkommen: Mich hat mehr der Einwand von Herrn Drexler positiv überrascht, indem er korrekt gesagt hat, dass es manchmal besser sei, wenn man an einen guten Staat glaubt, und offensichtlich glauben wir alle in der Runde an einen guten Staat, der manchmal „weiß“, wer was aus welchem Grund bekommen soll. Das Grundeinkommen ist ein neoliberales Konzept nach dem Motto: „Der Staat ist schlecht. Am besten er gibt jedem gleich viel, weil er macht ja sonst eh nur Blödsinn“. Ich selber habe große Bedenken gegen ein voraussetzungsfreies Grundeinkommen. Ich hätte sie nicht, wenn das eine breite mehrheitsfähige Basis hätte aber wenn es quasi aufgesetzt wird, dann vielleicht wieder reduziert wird, dann können ganz, ganz schlimme Dinge rauskommen. Und ich habe auch Bedenken bzgl. der Finanzierbarkeit, wenn man dann andere Leistungen kürzt. Selbstverständlich ist es finanzierbar, wenn man will. Aber dann muss man schauen, ob es dann noch jemand will. Was ich nicht verstehe: Etliche Leute zerbrechen sich den Kopf über ein voraussetzungsfreies Grundeinkommen – wieso machen wir das nicht einmal mit der Krankenversicherung? Da hätten wir einen ersten Schritt, da wissen wir, dass es für jeden notwendig ist, krankenversichert zu sein. Da haben wir diesen gefährlichen Anreiz, nämlich die Krankenversicherung nicht mehr mit Arbeit zu verbinden. Also machen wir es doch zuerst bei einer bedingungsfreien Krankenversicherung, und dann sehen wir ein wenig, wie die Leute darauf reagieren. Das große Experiment „Grundeinkommen“ – da habe ich sprichwörtliches Bauchweh. 1000,-- Euro Mindestlohn und Kollektivvertragssysteme machen Sinn. Ich forciere ein anderes Instrument: Die Arbeitszeitverkürzung ist auf jeden Fall angezeigt, wenn es einfach nicht mehr so viel Arbeit gibt, dass sie für alle reicht. Durch technischen Fortschritt kann es sein, dass das Arbeitskräfteangebot einfach zu groß ist, und Arbeitslosigkeit ist die teuerste und unsinnigste Form der Arbeitszeitverkürzung, indem wir 92% arbeiten lassen und 8% dauerhaft oder zumindest vorübergehend rausstellen. Das macht keinen Sinn. Wenn der Befund richtig ist, dass das Arbeitskräfteangebot zu groß ist, dann muss man sich überlegen, welchen Teil des Arbeitskräfteangebots man im weitesten Sinn abzieht, ob man Leute früher in Pension gehen lässt, ob man die Wochenarbeitszeit oder die Lebensarbeitszeit verkürzt – irgendwo wird man kürzen müssen. Die Frage ist natürlich berechtigt, ob das Ganze mit vollem Lohnausgleich sein muss – wahrscheinlich nicht, weil sie natürlich auch der klassische Familienerhalter immer weiter überlebt hat. Während früher halt irgendjemand für die Familie gesorgt hat, ist es doch heute meistens so, dass es immer wieder mehrere Erwerbstätige gibt. Und man wird sich wahrscheinlich auch teilweise Lohnkürzungen mitdenken müssen. Aber prinzipiell haben wir das Instrument der Arbeitszeitverkürzung, das uns eigentlich 100 Jahre begleitet hat, in den letzten 20 Jahren verlassen, und das tut unserer Gesellschaft nicht gut.

Ehetreiber
Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.
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