Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Die Anbiederung an Russland ist widerlich und peinlich“
Archiv - Eine Welt
Sonntag, 11. Juni 2006
Image Zebra, das Zentrum zur sozialmedizinischen, rechtlichen und kulturellen Betreuung von AusländerInnen, lud in „Zeiten des Terrors" zu einer Menschenrechtsdebatte am Beispiel des Tschetschenienkonflikts ins Wall-Zentrum der Uni Graz ein. amnesty international Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt und die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Memorial", Lipkan Bazaeva, kritisierten vor allem den (europäischen) Zynismus gegenüber der Situation in Tschetschenien.

Russische und tschetschenische Regierungstruppen führen in tschetschenischen Dörfern und Städten unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung regelmäßig militärische Operationen, so genannte „zachistki", durch, bei denen schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen, wie Entführungen oder willkürliche Verhaftungen, auf der Tagesordnung stehen. Der neue ai-Jahresbericht prangert zusätzlich außergerichtliche Tötungen, Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen im Kaukasusstaat an. Umso erstaunlicher, dass Englands Premier Tony Blair sich über den tschetschenischen Image Demokratisierungsprozess freut, ist Lipkan Bazaeva sichtlich schockiert. „Solche zynischen Behauptungen führen nicht nur dazu, dass die tatsächliche Situation in Tschetschenien verschwiegen wird, vielmehr handelt es sich dabei um glatten Betrug", empört sich die Menschenrechtsaktivistin. Tag für Tag würden in ihrem Heimatland die grundlegendsten Menschenrechte verletzt wie das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit oder das Recht auf Meinungsäußerung. „Die Menschen leben in ständiger Angst, vor allem in der Nacht. Zwischen drei und fünf Uhr früh brechen bewaffnete und maskierte Menschen in Häuser ein und entführen unschuldige Menschen", schildert Bazaeva die Situation. Seit Beginn des Krieges sei es so, und noch immer sei keine Beruhigung eingetreten. Seit 2002 wurden 1799 Personen verschleppt, 611 wurden bis jetzt freigelassen bzw. freigekauft, 180 wurden tot aufgefunden und 985 gelten nach wie vor als vermisst.

Potemkinsches Dorf Grosny. Um den Schein für hohe Staatsbesucher zu wahren wurde die Hauptstraße in Grosny nach dem Krieg wieder aufgebaut und sämtliche Fassaden renoviert. Geschäftleute mussten für die Kosten aufkommen. Zwischen 50.000 und 2 Millionen Rubel sollten die Unternehmer berappen, wenn sie nicht zahlten, wurde von Seiten der Regierung massiv Gewalt angewandt. Wie es hinter den Fassaden aussieht, scheint die EU nicht recht zu interessieren. „Das wirft kein gutes Bild auf die Einstellung zu Menschenrechten in Europa", so Bazaeva. In diese Kerbe schlägt auch . Im Gespräch mitKORSO prangert er die „peinliche Anbiederung an Russland" an, die hauptsächlich auf Grund des Rohstoffvorkommens passiert. „Putin tut ja nicht einmal so, als würde er von Menschenrechten etwas halten."
Dass Russland die Todesstrafe de facto abgeschafft hat, sei müßig zu erwähnen, „in Tschetschenien wird das schon vor der Gerichtsverhandlung erledigt". Dass der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, Wladimir Putin als „lupenreinen Demokraten" bezeichnet hat, „ist fast genauso ärgerlich wie Wolfgang Schüssels Aussage nach dem Treffen mit George W. Bush ‚der Präsident hat mir versichert, dass in Guantanamo nicht gefoltert wird, ich glaube ihm’".

Den Dialog nutzen um auf das menschenrechtliche Desaster aufmerksam zu machen. Das Problem läge darin, dass in erster Linie bei Staatsbesuchen das eigene staatsmännische Auftreten zähle, so Patzelt, da passe Kritik zu üben nicht dazu. „Für amnesty ist es wichtig, nicht zu Wirtschaftsboykotten aufzurufen. Der Dialog ist bedeutender. Aber, er muss dazu genützt werden, auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, sonst war der Auslandsbesuch das Flugticket nicht wert, vor allem dann, wenn es sich wie in Tschetschenien um ein menschenrechtliches Desaster handelt."

Manuela Palmar

» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >