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Global Marshall Plan: Soziale Gerechtigkeit braucht weltweite Solidarität
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Donnerstag, 1. Juni 2006
ImageVor rund zwanzig Jahren entwickelte Vizekanzler a.D. DI Dr. h.c. Josef Riegler, seit 2005 Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums, das Konzept der „Ökosozialen Marktwirtschaft", die das marktwirtschaftliche System mit sozialer Solidarität und nachhaltigem Umweltschutz zusammenführt. Die Gleichwertigkeit dieser beiden Säulen mit der Marktwirtschaft stellt seiner Überzeugung nach die unabdingbare Voraussetzung für beständigen Wohlstand und Lebensqualität für alle Menschen dar.

Auf globaler Ebene zielt die von Riegler mitbegründete Initiative „Global Marshall Plan" (2003) darauf ab, durch eine weltweite Umsetzung ökosozialer Standards eine friedliche und wirtschaftlich nachhaltige Koexistenz zu sichern. Im Gespräch mit Josef Schiffer für KORSO SozialForum nahm Josef Riegler zu den Herausforderungen des Sozialstaats und den Leitlinien einer sozial gerechten Weltordnung Stellung.

Worin sehen Sie die zentrale Rolle des Ökosozialen Forums?
Seit seiner Gründung im Jahr 1992 hat sich das Ökosoziale Forum als Parteien übergreifende Plattform definiert. Wir haben von Anfang an erkannt, dass wir einen stärkeren politischen Konsens brauchen, und zwar aller gesellschaftlich tragenden Kräfte, um die Zukunft zu bewältigen. Leistungsorientierte Wirtschaft bildet ein zentrales Element, aber ohne soziale Solidarität und ökologische Nachhaltigkeit kann es keine gerechte Gesellschaft geben.

Wodurch sehen Sie den Sozialstaat bedroht?
Ich beobachte mit Sorge und gewissem Groll, dass die Erosion des Sozialstaates voranschreitet und dadurch auch ein Bedrohungspotential für die Gesellschaft entsteht. Als Ursache sehe ich die Konsequenzen einer falsch verlaufenden Globalisierung, die überspitzt gesagt darauf hinausläuft, bei uns chinesische Verhältnisse zu schaffen, z.B. durch Druck auf die Löhne, nur um die Kapitalrenditen von Konzernen zu maximieren.
Die Gestaltung der Gesellschaft darf man nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen: Entweder man schafft es innerhalb des Freihandelssystems soziale und ökologische Standards zu schaffen oder dieses System wird zum Scheitern verurteilt sein. Wenn wir in Europa unsere Lebensqualität erhalten wollen, müssen wir weltweit die Sozialstandards heben.

Gefährdet das nicht die eigenständige Entwicklung dieser Staaten?
Es soll nicht überall das gleiche ökonomische Modell verordnet werden, auch aus Respekt vor den unterschiedlichen Kulturen, aber gewisse soziale und ökologische Standards müssen verwirklicht werden, um einen fairen Wettbewerb zu garantieren.
Wir haben einen Quantensprung damit erreicht, die Voraussetzungen für eine Abgabe auf Kapitaltransfers, die Tobinsteuer, zu schaffen. Ein solcher Schritt ist auch für Europa allein machbar. Die Einnahmen können für von der UNO beschlossene Entwicklungsziele verwendet werden, in weiterer Folge auch für einen Teil des künftigen EU-Budgets.

Ist hier nicht vor allem die EU gefordert einheitlich aufzutreten, z.B. auch durch die Etablierung einer Sozialunion?
Dazu braucht man eine EU, die griffiger für das eintritt, was sie beteuert leisten zu wollen. Der Binnenmarkt hatte eine unausgewogene Entwicklung zur Folge, z.B. in Bezug auf das Steuersystem. Dem gemeinsamen Markt fehlt das übrige Ordnungsgefüge weitgehend. Die Finanzierung der Sozial- und Gesundheitssysteme sollte nicht nur über die Arbeitnehmer erfolgen, sondern über eine Wertschöpfungsabgabe auf Erträge durch höhere Produktivität. Dieses Thema muss EU-weit angegangen werden, um Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden und weil die Konzerne nicht mehr national greifbar sind. Zusätzlich bieten Steueroasen Schlupflöcher, die beseitigt werden müssen.

Was kann man gegen die Erosion der sozialstaatlichen Systeme konkret tun?
Wir leiden vor allem darunter, dass ein Teil der Steuerleistung nicht mehr verfügbar ist, z.B. durch niedrige Steuern für Konzern-Headquarters. Die steuerliche Gleichstellung von Erwerbstätigkeit und Kapitalerträgen muss von Seiten der Politik angestrebt werden. Auch Umweltbelastungen sollten nach dem Verursacherprinzip und auf Grundlage von Kostenwahrheit abgegolten werden, das würde den Spielraum für das Sozialbudget beträchtlich erhöhen.
Zur staatlichen Gestaltung muss aber die europäische und globale Perspektive ergänzend hinzutreten. Diesen Qualitätssprung im Denken hat die Politik noch nicht geschafft. Es muss für alle Menschen die Chance bestehen, ein Auskommen zu finden, daher muss man unbefangen auch über Grundsicherungssysteme diskutieren. Ein struktureller Wandel zeichnet sich ab, z.B. im Gesundheitssektor und Pflegebereich, die neue Chancen eröffnen. Das Pflegegeld war ein Fortschritt, aber heute sollte man über innovative Systeme, wie Pflegeversicherung, nachdenken.

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