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Hartz IV – Arbeitsmarkt-Reform ohne Lichtblicke? |
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat | |
Donnerstag, 1. Juni 2006 | |
Heide Langguth, stv. Vorsitzende des DGB Bayern: „Menschen, die oft keine Perspektive mehr haben, müssen wieder mehr gefördert und weniger von ihnen gefordert werden."
Seit dem 1. Januar 2005 ist bei unseren deutschen Nachbarn das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" in Kraft, im Volksmund auch „Hartz IV" genannt. Mit einem Schlag wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt: Langzeitarbeitslosen und Bedürftigen wird das „Arbeitslosengeld II" (ALG II), im Westen liegt der Grundbetrag bei monatlich 345 Euro, ausgezahlt.
Das Reformwerk habe seine Urheber mit dem Motto „Fördern und Fordern" umschrieben, das Ziel war die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Nach knapp eineinhalb Jahren hat sich das System als wenig effektiv und dafür äußerst kostenintensiv erwiesen. Trotzdem hält die große Koalition an der verunglückten Reform verbissen fest: Man sucht nun vermehrt die Schuld bei jenen, die das System angeblich missbrauchen und will noch schärfer als bisher kontrollieren, um an den Ausgaben zu sparen. Kostenexplosion ohne Ende. Das neue Arbeitsmarkt-Modell verursacht unerwartet Mehrkosten in Höhe von mehreren Milliarden im Jahr – allein das ist Grund genug für die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) von einem gründlichen Misslingen der Reform zu sprechen. Die Kritik des DGB, auch von verschiedenen Linkspolitikern richtet sich aber insgesamt gegen die kurzsichtigen und wenig sozialen Maßnahmen einer Regierungspolitik, die durch die Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder eingeläutet wurde. „Im Prinzip war es ja keine dumme Idee, die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld zusammenzulegen", betont Heide Langguth, stellvertretende DGB-Vorsitzende von Bayern, „aber das sollte nicht zu Lasten der Menschen geschehen, die am Ende noch weniger Chancen auf einen vernünftigen Job haben als vorher." Verschiedene Kategorien von Arbeitslosen. Vor dem Start der Reform war man davon ausgegangen, dass etwa 3,4 Millionen Menschen Anrecht auf ALG II haben würden. Im April 2006 gab es jedoch 5,2 Millionen ALG II-Empfänger. Die Gründe für die Kostenexplosion sind vielfältig, doch war wohl die falsche Einschätzung von Seiten der Experten in Hinsicht auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt hauptverantwortlich dafür. Bei der Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurden viel mehr Sozialhilfeempfänger als arbeitsfähig eingestuft als zunächst berechnet. Damit fielen sie nicht mehr unter die neue Sozialhilfe, die ausschließlich von den Kommunen bezahlt wird, sondern unter das neue ALG II. So stiegen die Kosten für die soziale Absicherung der Arbeitslosen zwar nicht insgesamt, wohl aber jene des Bundes, der den Großteil des ALG II bezahlen muss. In der damit einhergehenden Kostenexplosion sieht Finanzminister Peer Steinbrück inzwischen bereits die größte Bedrohung eines ausgeglichenen Budgets. Mängel in der Vermittlung – untätige Unternehmen. Ein Grund dafür, dass die Arbeit in den Jobzentren vor Ort nicht gut funktioniert, liegt an Konstruktionsfehlern des Hartz IV-Gesetzes – zuständig für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen sind meist Arbeitsagenturen und Sozialämter in Arbeitsgemeinschaften. „Hier sind zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander getroffen", sagt Langguth, „mit der Folge dass die Arbeitssuchenden oft genug auf der Strecke bleiben." Diese müssen oft monatelang auf ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter warten, und nur wenigen gelingt es, eine Aus- oder Fortbildung zu ergattern, weil die Förderungen dafür massiv gekürzt wurden. Dabei sitzt man dort auf 3 Mrd. Euro Überschüssen aus der Arbeitslosenversicherung, die statt in eine Senkung der Beiträge in mehr Qualifizierungsangebote fließen sollten, fordert Langguth. Zudem stehen selbst im wirtschaftlich relativ erfolgreichen Bayern den knapp 500.000 Arbeitslosen nur rund 40.000 offene Stellen gegenüber. „Verantwortlich sind oft genug die Unternehmen selbst", erklärt Langguth, „sie zeigen immer weniger Bereitschaft, neue Arbeitsplätze zu schaffen und agieren lieber auf den internationalen Finanzmärkten, um ihre Kapitalrendite zu erhöhen." Anstatt durch schärfere Kontrollen den Rechts- und Sozialstaat an seine Grenzen zu treiben, solle man endlich die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, bemerkt Langguth nicht ohne Groll: „Von der Politik wird auf die Arbeitgeber in einer Weise Rücksicht genommen, die nicht mehr akzeptabel ist." Josef Schiffer
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