Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Kinderbetreuungsgeld verstärkt Frauenarmut
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Donnerstag, 1. Juni 2006
ImageDas Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ganz nach diesem Motto ist das österreichische Förderungsmodell für Familien mit Kindern aufgebaut. Zwar investiert der Bund 3,3 Prozent des BIP in diesen Bereich, die aufgewendeten Mittel erfüllen aber kaum ihren Zweck. Das anfangs von ÖVP und FPÖ hoch gelobte „Kindergeld" ist bei näherer Betrachtung eine versteckte Armutsfalle – für Frauen.

Unzählige Studien zeigen die negativen Auswirkungen für Frauen, die durch das Kinderbetreuungsgeld dazu verleitet werden, länger Zuhause zu bleiben. In der OECD-Studie „Starting Strong" werden vor allem zwei Aspekte besonders hervorgehoben: Die Möglichkeit über den Arbeitsschutz hinaus Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, verleitet dazu die 30 Monate gänzlich auszunutzen und somit den Anspruch auf Kündigungsschutz zu verlieren und zweitens, das Kinderbetreuungsgeld ist nicht, wie in anderen europäischen Ländern, zweckmäßig gebunden, zum Beispiel an Kinderbetreuungseinrichtungen. Das „European Anti Poverty Network", ein Zusammenschluss der „Armutskonferenzen" mehrerer europäischer Länder, beschreibt das österreichische System als „überholtes" Familien-Modell demzufolge es einen „Ernährer" gibt, und eine Frau, die allenfalls „dazu verdient". Die „viel gepriesene Wahlfreiheit" sei für Alleinerzieherinnen, die keine geeigneten Kinderbetreuungs-Einrichtungen vorfänden, „eine Farce", heißt es in dem Bericht. „Es sei sogar zu erwarten, dass sich durch das Kinderbetreuungsgeld die Betreuungseinrichtungen verringern statt erhöhen werden." Diese Entwicklung wäre fatal. Derzeit haben laut OECD nur 11 Prozent der österreichischen Kinder zwischen 1 und 3 Jahren einen Betreuungsplatz. Die Statistik Austria ermittelte 2002 einen benötigten Platzbedarf zwischen 20 und 40 Prozent. Ein Wert der im direkten Vergleich mit anderen europäischen Ländern realistisch zu sein scheint. Dänemark bietet jetzt schon Plätze für 64 Prozent seiner Kinder von 1 bis 2 Jahren, gefolgt von Schweden mit 48 Prozent, Finnland 36 Prozent, Belgien 30 Prozent und Frankreich 29 Prozent.

Zurück an den Herd? Das im Jahr 2002 eingeführte Kinderbetreuungsgeld wird auch in Bezug auf die Gleichberechtigungsfrage von der OECD sehr kritisch gesehen. Das Kinderbetreuungsgeld würde zur Tradierung der Geschlechterdifferenzen beitragen. „Diese großzügige Unterstützung (…) ist ein Bargeldbetrag für Eltern, unabhängig von deren Arbeitssituation. Wenig überraschend sank der Anteil von Frauen, die zwei Jahre später, nachdem ihr Kind 2 1/2 Jahre alt war, zum Arbeitsplatz zurückkehrten, von 54 auf 35 Prozent (vgl. Österreichischer Hintergrundbericht, 2004). Das Kinderbetreuungsgeld bevorzugt das Modell des männlichen Familienerhalters und könnte den Bundesländern signalisieren, beim Ausbau ihrer Kindertageseinrichtungen nicht voreilig zu sein, da die Kinder durch das Kindergeld bis zum Eintritt in den Kindergarten zu Hause von den Müttern betreut werden können", so der Wortlaut im OECD Länderbericht „Starting Strong".

ImageNachteile überwiegen. „Das Kinderbetreuungsgeld enthält die typischen Fallen. Einerseits ist es gut, dass Frauen die zuvor keinen Anspruch auf Karenzgeld hatten, wie Studentinnen und Hausfrauen, nun Kinderbetreuungsgeld erhalten. Die Höhe ist jedoch viel zu niedrig angesetzt", zählt Brigitte Hinteregger, Frauenbeauftragte der Stadt Graz, einen der plakativsten Nachteile auf. Außerdem diskriminiere die Aufteilung der Kinderbetreuungszeit Alleinerzieherinnen. „Die vollen drei Jahre, die man sich mit seinem Partner aufteilen könnte, können Alleinerzieherinnen nicht in Anspruch nehmen." Für homosexuelle Paare sei das Modell ebenso wenig geeignet, da gleichgeschlechtliche Partnerschaften vom österreichischen Staat nicht mit heterosexuellen Beziehungen gleichgesetzt seien.

Jede sechste Alleinerzieherin erhält weder Kindesunterhalt noch Unterhaltsvorschuss. Zu diesem Schluss kommt die Armutskonferenz in ihrem Bericht „Frauenarmut in Österreich – Märchen oder Wahrheit". Unterhaltsvorschuss wird nämlich nicht ausbezahlt, wenn der Kindesvater zum Beispiel durch Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit zahlungsunfähig ist. Hinzu kommt „ist der Kindesvater ein Ausländer, z.B. ein Mexikaner, wird der Unterhalt prozentuell vom mexikanischen Gehalt berechnet, das ja um ein vielfaches geringer ist als ein österreichischer Lohn", erklärt Hinteregger. Die Hauptverlierer im System sind wie so häufig MigrantInnen. „Der Anteil von MigrantInnen liegt in Österreich bald über 14 Prozent", so Hinteregger, „die meisten von ihnen haben weder Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld noch auf Familienbeihilfe."

Gefahr Kündigungsschutz. Die größte Gefahr sei aber die Kündigungsschutzregelung, findet auch die Grazer Frauenbeauftragte. „Von den 30 Monaten, die in Anspruch genommen werden können, ist man nur 24 Monate arbeitsrechtlich geschützt. Viele Frauen, vor allem schlechter verdienende, wollen aber auf die 436 Euro für die Kinderbetreuung nicht verzichten. Die meisten von ihnen verdienen im Handel mit einem 40-Stunden Job nicht einmal das Doppelte dieses Betrags, deshalb wird die Zeit voll ausgenützt und eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist wahrscheinlich", empört sich Hinteregger. „Selbst wenn die Frauen ab dem zweiten Jahr wieder Teilzeit arbeiten gehen, können sie sich Kinderbetreuung nur sehr schwer leisten. Wir reden großartig vom Sozial- beziehungsweise Wohlfahrtsstaat und Kinderbetreuung ist nach wie vor nicht kostenlos!"

Rabenmütter. Um die Situation der österreichischen Frauen zu verbessern, muss laut Brigitte Hinteregger zusätzlich ein Umdenkprozess stattfinden. Der ehemalige Sozial- und Frauenminister Herbert Haupt zitierte anlässlich der Einführung des Kinderbetreuungsgelds eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass sich 80 Prozent der Frauen drei Jahre um die Erziehung ihrer Kinder kümmern wollen. Hinteregger: „Ob diese Studie so stimmt, kann ich nicht sagen. Aber wir geben den Frauen ja gar keine anderen Alternativen. Es gibt keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten und die Kindergartenzeiten sind, vor allem in ländlichen Regionen, sehr begrenzt. Außerdem wird man in Österreich noch immer als schlechte Mutter gesehen, wenn man seine Kinder schon früh in eine Krippe oder zur Tagesmutter gibt. Solange der Begriff ‚Rabenmutter‘ existiert, wird es auch in diesem Bereich keine Änderungen geben", ist Hinteregger überzeugt. Das von ÖVP und BZÖ noch immer beharrlich verteidigte Kinderbetreuungsgeld leitete zudem auch nicht den erwarteten Geburtenzuwachs ein. „Schweden hat seit Jahren die höchste Geburtenrate und gleichzeitig den höchsten Anteil an berufstätigen Frauen. Dort wird Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelebt, dort gibt es Teilzeitarbeitsplätze auch in Berufssparten, die nichts mit Handel zu tun haben. Dort wurden Rahmenbedingungen verändert und siehe da, die Menschen haben wieder mehr Kinder bekommen", sieht auch KPÖ-Landtagsabgeordnete Claudia Klimt-Weithaler die letzte Reform gescheitert.

Best Practice Beispiel Island. Dass nicht ausschließlich Frauen die Hauptlast in der Kinderbetreuung tragen müssen, zeigt das funktionierende Kinderbetreuungsmodell in Island. 3+3+3 nennt sich das Modell. Drei Monate übernimmt der Vater die Kinderbetreuung, drei Monate die Mutter und drei Monate können beliebig unter den beiden Elternteilen aufgeteilt werden. Der Staat zahlt der Betreuungsperson in der Karenzzeit 80 Prozent ihres Letztgehalts. Will sich der Vater nicht um die Kinder kümmern, entfallen drei Monatsgehälter. Das Ergebnis: 80 Prozent der isländischen Väter gehen in Karenz. In Österreich sind es derzeit etwas mehr als drei Prozent. Brigitte Hinteregger kann sich mit dem isländischen Modell ebenfalls gut identifizieren. Das Modell gewährleistet im Gegensatz zum österreichischen Angebot ein wesentlich höheres Einkommen während der Kinderbetreuungszeit – in Österreich liegt der Betrag derzeit bei monatlich 592 Euro, fast 200 Euro unter der Armutsgefährdungsgrenze – und die Männer werden nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Um auch noch auf die enorme Einkommensschere in Österreich hinzuweisen, hat Brigitte Hinteregger noch einen Tipp parat: „Der Prozentsatz des Karenzgeldes sollte dann aber am Einkommen der Männer des jeweiligen Berufes berechnet werden." So wären auch diese enormen Differenzen über kurz oder lang nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Manuela Palmar


» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >