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Zweiter Arbeitsmarkt: zweite Chance – aber nicht mehr für alle
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Donnerstag, 1. Juni 2006
ImageÜber 7000 Personen waren 2004 in Österreich über so genannte sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte und -gesellschaften angestellt – in jenem Bereich also, der üblicherweise als „zweiter Arbeitsmarkt" bezeichnet wird:

Vor allem Langzeit-Beschäftigungslose sollen in diesen Projekten und Betrieben wieder „an normale Arbeitsprozesse herangeführt werden", wie es in einem Papier des Arbeitsmarktservice Steiermark heißt.

In diesem Sektor, der im Wesentlichen aus Mitteln des AMS, aber auch durch regionale Körperschaften und den Europäischen Sozialfonds gefördert wird, hat eine Umorientierung stattgefunden: Die rasche Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt genießt absolute Priorität. Was für die einen von Vorteil ist, wird für die anderen, Langsameren und Schwächeren und vor allem für jene, die noch gar nie ins Sozialsystem integriert waren, zum Ausschlusskriterium.

2006: In der Steiermark mehr Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt. In den letzten Jahren ist die Zahl der Personen, die in „Söbs" und „GBPs" Arbeit und Weiterqualifizierung erhalten, mit der Ausnahme von Wien tendenziell gesunken, auch die dafür von Seiten des AMS eingesetzten Mittel wurden reduziert. In der Steiermark ist etwa die Zahl der so genannten Transitarbeitskräfte in sozialökonomischen Betrieben von 365 Personen im Jahr 2001 auf 202 im Jahr 2005 gefallen; die jener Transitarbeitskräfte, die in gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten angestellt waren, ist von 488 (2003) auf 435 (2004) gesunken, für 2005 liegen noch keine Daten vor. Die Ziele für 2006 sind wieder höher angesetzt und es sollen auch mehr Mittel zum Einsatz kommen, sagt der Geschäftsführer des steirischen Arbeitsmarktservice, Mag. Karl Heinz Snobe: „2006 planen wir, über 1100 Menschen in Betriebe und Projekte des zweiten Arbeitsmarkts aufzunehmen." Eine Effizienzsteigerung soll durch den Ausbau der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung erreicht werden – Langzeitarbeitslose werden über Betriebe des zweiten Arbeitsmarktes angestellt und in Unternehmen beschäftigt, die einen Teil der Lohnkosten ersetzt bekommen, ein Modell, das bis jetzt recht erfolgreich scheint und das Snobe auch in der Steiermark stark forcieren will. „Dabei könnte sich auch die öffentliche Hand stärker einschalten – etwa, indem man gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten zwar an Privatfirmen vergibt, aber in der Vergabe die Inanspruchnahme von Arbeitskräften aus der gemeinnützigen Arbeitskräfte-Überlassung zur Bedingung macht."

Die 10-Prozent-Quote. Die Palette der „Söbs" und „GBPs" ist breit und bunt – sie reicht in unserem Bundesland etwa vom Beschäftigungsprojekt „Archäologieland Steiermark", dessen MitarbeiterInnen sich bei sensiblen Ausgrabungen wie am Grazer Karmeliterplatz bewährt haben, bis zum sozialökonomische Betrieb Bicycle, wo Jugendliche Reparatur und Service von Fahrrädern betreiben. Der Unterschied zwischen den sozialökonomischen Betrieben und den Beschäftigungsgesellschaften besteht im Wesentlichen darin, dass die ersteren einen Teil der aufgebrachten Mittel selbst erwirtschaften und somit „marktnäher" agieren müssen – das schließt etwa die Aufnahme von Menschen aus, die aus unterschiedlichen Gründen große Schwierigkeiten haben, sich an die Anforderungen des Arbeitslebens anzupassen. Auch die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse am zweiten Arbeitsmarkt – in der Steiermark sind sie mit 9 Monaten, laut Bundesrichtlinie mit maximal 12 Monaten begrenzt – ist vor allem für Menschen mit gravierenden sozialen oder gesundheitlichen Problemen wohl zu kurz, mutmaßen Kritiker. „Die Auswirkungen dieser kurzen Beschäftigungsdauer sind noch nicht absehbar", erklärt Anita Hofer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende vom Netzwerk Beschäftigungsbetriebe Steiermark (bbs). Außerdem gilt für diejenigen, die einen Transitarbeitsplatz vielleicht am allernötigsten brauchen würden, eine Quote von gerade mal zehn Prozent: 90 Prozent derjenigen, die in den zweiten Arbeitmarkt aufgenommen werden, müssen beim AMS vorgemerkt sein; für SozialhilfebezieherInnen, Haftentlassene und andere Problemgruppen gibt’s derzeit eine Gnadenquote von zehn Prozent.

„Kampf gegen Marginalisierung ist nicht mehr Ziel der Arbeitsmarktpolitik". „Damit hat sich der ursprüngliche Sinn des zweiten Arbeitsmarktes in sein Gegenteil verkehrt", kritisiert Ministerialrat a.D. Mag. Rainer Klien, der unter dem legendären Sozialminister Alfred Dallinger die den älteren LeserInnen zweifellos noch wohlbekannte „Aktion 8000" erfand, im KORSO-Gespräch. Damals wurden, so Klien, zwischen 12- und 15.000 Stellen pro Jahr geschaffen, die meisten davon in nicht marktgängigen Bereichen. Die Beschäftigten mussten nach Kollektivvertrag bezahlt werden, die Arbeitgeber – oft Gemeinden oder Vereine im Sozial-, Kultur oder Öko-Bereich – übernahmen bis zu einem Drittel der Kosten, den Rest die Republik. „Die Quote der Beschäftigten, die nach einer Aktion-8000-Stelle eine fixe Anstellung am ersten Arbeitsmarkt erringen konnten, lag bei über 60 Prozent", sagt Klien. „Wir konnten aber auch nachweisen, dass die Aktion vom finanziellen Standpunkt aus gesehen positiv bilanzierte – die Sozialversicherung konnte Mehreinnahmen verbuchen, und wir haben uns andere Sozialausgaben erspart." Das zentrale Motiv sei aber darin gelegen, „Menschen, die vorher noch nicht im Sozialsystem waren oder aus diesem herausgefallen sind, über eine Beschäftigung, die mindestens ein Jahr dauern sollte, wieder ins System hereinzuholen" – sie also zu Anspruchsberechtigten zu machen und somit ihrer Marginalisierung vorzubeugen. Heute achte man eher darauf, dass jemand, der noch keine Ansprüche hat – wie etwa MigrantInnen – nicht so lange arbeitet, dass er solche erwerben könnte, geißelt Klien die Arbeitsmarktpolitik seines letzten Chefs, Minister Martin Bartenstein.

Der Druck wächst – „niederschwelligere" Angebote ab 2007? Was tun mit jenen, die nicht nur nicht „jobfit" genug für den ersten Arbeitsmarkt sind, sondern auch an den Anforderungen des nach Marktwirtschafts-Kriterien umgestalteten zweiten Arbeitsmarktes scheitern? Andreas Heiss von der Förderabteilung der Bundesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktervice ist sich des Problems bewusst. „Es kommt jetzt auch mehr Druck von den betroffenen Gebietskörperschaften, niederschwelligere Angebote zu schaffen – z.B. für Menschen, die schon knapp vor der Pension stehen und deren Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ohnehin eher unwahrscheinlich ist." Neue Regelungen im Rahmen des Europäischen Sozialfonds, so hofft Gerd Kronheim, Geschäftsführer des Grazer sozialökonomischen Betriebs „bicycle", werden ab 2007 wieder mehr Beschäftigungsprojekte für so genannte arbeitsmarktferne Personen ermöglichen.

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