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Pensionen: Sicher, wenn die Politik es will
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Sozialstaat
Donnerstag, 1. Juni 2006
ImageUnbestritten ist, dass der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten steigen wird. Um wie viel, ist höchst unklar – die Schlüsse, die daraus für das System der Altersvorsorge getroffen werden, sind unterschiedlich und zumeist eher ideologisch als wissenschaftlich begründet.

Wenig ist gewiss im nebelverhangenen Reich der Bevölkerungsprognosen: „Wir wissen kaum, wie groß die Bevölkerung Österreichs in 30, 40 Jahren sein wird und wie sie altersmäßig zusammengesetzt sein wird", sagt Dr. Gerhard Wohlfahrt, Assistenz-Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Karl-Franzens-Universität Graz. „Die Prognosen sind in den letzten Jahren laufend revidiert worden."

Die Prognosen sehen 2005 freundlicher aus als 1999. In der Tat: War etwa der anerkannte Demograf Rainer Münz Ende der neunziger Jahre noch von einem Schrumpfen der Bevölkerung ab der Jahrtausendwende ausgegangen – 2030 wäre demnach die Bevölkerungszahl geringer als 1998 gewesen, als sie 8,08 Mio betragen hatte, in der Periode zwischen 2031 und 2050 sollte die Zahl der ÖsterreicherInnen sogar um 475.000 Personen zurückgehen – so liegen die offiziellen Schätzungen der Statistik Austria vom September 2005 um schlanke 1,5 Millionen darüber: 2015 sollen 8,54 Millionen Menschen in der Alpenrepublik leben, 2030 8,84 Millionen; bis 2050 soll dann die Zahl der ÖsterreicherInnen auf 9 Millionen wachsen.

Höherer Anteil an potenziell Erwerbstätigen als vorausgesehen. Entsprechend besser als ursprünglich prognostiziert sieht auch die Entwicklung der erwerbstätigen Bevölkerung aus: Bis 2014 soll das Erwerbspotenzial von 5,06 Mio auf 5,26 Mio ansteigen – also auf ca. 63% der dann etwa 8,54 Mio ÖsterreicherInnen, danach soll es bis 2020 stagnieren. Laut Münz-Prognose sollten 2015 maximal 60,9% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stehen. Entsprechend sollte der Anteil der Über-60-Jährigen 2015 immerhin 25,8% der Bevölkerung ausmachen – laut Statistik-Austria-Voraussagen sollen es aber um 2% weniger sein. In Verbindung mit dem angehobenen Pensionsantrittsalter ergibt sich daraus eine für die Finanzierbarkeit der Pensionsvorsorge nicht unwesentliche Verbesserung des Verhältnisses zwischen potenziell Erwerbsfähigen und PensionistInnen.

Der Produktivitätsfortschritt fängt die demografische Entwicklung auf.  Allerdings – wirklich relevant sind auch diese Zahlen nur bedingt. Denn, so Wohlfahrt: „Viel wichtiger als die Bevölkerungsentwicklung und die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und jener im Pensionsalter ist das Verhältnis zwischen real Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, also Kindern und PensionistInnen. Daraus ergibt sich die so genannte demografische Gesamtbelastungsquote für die Gesellschaft." Diese Quote liegt derzeit bei 1:1 und wird sich voraussichtlich in den nächsten 30 Jahren um ca. 10% verändern. Ein Erwerbstätiger muss dann 1,1 Personen mit erhalten, die noch nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind.
„Wirklich abhängig wird das Verhältnis vor allem von der Entwicklung der Erwerbsquote der Menschen zwischen 50 und 56 sein", sagt Wohlfahrt, „bei den Unter-50-Jährigen ist dieses Verhältnis konstant." Wenn 70% der Menschen dieses Alters erwerbstätig sind – das entspricht der Quote in den skandinavischen Ländern – dann wird das erwähnte Verhältnis von 1:1,1 erreicht – „und diese geringe Veränderung in einem Zeitraum von 30 Jahren lässt sich durch den in diesem Zeitraum viel höheren Produktivitätsfortschritt leicht wettmachen. Im Klartext: Die Finanzierung der Pensionen und des gesamten Sozialsystems kann problemlos aus der Verteilung der Produktivitätszuwächse gedeckt werden, die derzeit 1 bis 2% jährlich ausmachen." Wenn die Erwerbsquote aber nicht gesteigert werden kann, was dann? Wohlfahrt: „Sogar die aktuelle Erwerbsquote wäre ausreichend, nur gibt es dann eben wenig Spielraum für die Anpassung der Reallöhne an die Produktivitätszuwächse."
In jedem Fall bleiben die Pensionen sicher, so lange nicht durch politische Entscheidungen einschneidende weitere Umverteilungen von den Lohn- hin zu den Gewinneinkommen erfolgen.

Verteilt kann immer nur werden, was erwirtschaftet wurde – ob im Umlage- oder im Kapitaldeckungsverfahren. Aus all dem ergibt sich zwangsläufig, „dass eine Umstellung des öffentlichen Umlageverfahrens auf ein privates Kapitaldeckungsverfahren aus demografischen Überlegungen nicht nötig ist", stellt Wohlfahrt klar. „Vor allem wäre es auch nicht zielführend, weil ja ein Kapitaldeckungsverfahren mit einer Kapitalanlage in der EU unter den gleichen demografischen Belastungen leidet wie das Umlage-System: Es kann immer nur das verteilt werden, was von den Erwerbstätigen erwirtschaftet wird." Als Alternative käme nur eine Kapitalanlage in junge, aufstrebende Volkswirtschaften – zum Beispiel in Asien – in Frage, wo es kein demografisches Problem gibt; dort wäre der Kapitalstock der Pensionsanleger aber mit anderen Risken belastet, etwa mit politischen Unsicherheiten, mit Währungsschwankungen oder gar mit kriegerischen Auseinandersetzungen.

Die Tücken der privaten Vorsorge. Warum wird angesichts dieser Faktenlage dann allerorten zur privaten Vorsorge geraten, die angeblich um so viel sicherer sei als das öffentliche Pensionswesen? Wohlfahrt: „Auf den ersten Blick könnte im privaten Kapitaldeckungsverfahren die Rendite höher sein, weil die Realzinssätze etwas höher liegen als die Zunahme der Lohnsumme." Nur: Diese minimalen Unterschiede werden durch die wesentlich höheren Kosten – Verwaltung, Marketing, Werbung – der privaten Versicherer aufgefressen. Diese liegen derzeit bei 15%; jene der öffentlichen Pensionsversicherungssysteme bei 2%; letztere ersparen sich vor allem die teure Werbung. Gewinner einer privaten Pensionsvorsorge sind also nicht die Versicherten, sondern der Finanz- und Versicherungsapparat, der mehr Aufgaben und einen höheren Finanzstock – mehr „Spielgeld" für lukrative Transaktionen – bekommt. Wohlfahrt: „Das Finanzkapital übt schon jetzt einen beachtlichen Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen aus; dieser würde bei einer Ausweitung der privaten Vorsorge weiter zunehmen." Und: Der/die einzelne/n Arbeitnehmer/in hätte dann die Wahl zwischen Scylla und Charybdis: Lohnerhöhungen würden die Rendite der Rentenfonds und damit die Höhe seiner Pension gefährden; umgekehrt würde jeder Versuch, die Rendite der Fonds in die Höhe zu treiben, zu Lasten der Löhne gehen – oder, noch schlimmer: Unter Umständen müssten Firmenmanager sogar Entlassungen vornehmen, um die Rentabilität des Unternehmens im Sinne der Aktionäre zu steigern. Und sie würden vielleicht genau jene Beschäftigten entlassen, denen die private Pensionsvorsorge als besonders lukrative Möglichkeit der Finanzierung eines sorgenfreien Lebensabends erschien …
cs

Umlageverfahren: Die Beiträge der Erwerbstätigen werden von den öffentlichen Pensionsversicherern eingehoben und direkt für die Pensionen verwendet

Kapitaldeckungsverfahren: Die Erwerbstätigen vertrauen ihr Altersvorsorge einem Versicherungsunternehmen an, das die einbezahlten Beträge in Fonds anlegt, damit sie die erwartete Rendite bringen.


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