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Bauverfahren in Graz – nur verfahrenes Bauen oder gar Korruption? |
Sonntag, 14. November 2010 | |
Kreative Stadt Entwicklung (26) von Harald Saiko
Viel ist vom Bauen die Rede in unserer Stadt, von der Suche nach Architekturqualität und der Frage nach Stadtgestaltung, vom Bedarf am günstigen Wohnen und der Ökologie der Verdichtung, von schönen Projekten wie dem neuen Kastner & Öhler und weniger schönen wie der ruinösen Thalia. Ja ganz Graz denkt scheinbar nur an das Bauen, die Zeitungen sind jedenfalls voll damit. Leider gibt es aber nur selten etwas zu feiern, sondern wird immer nur übers Abreißen und Neubauen gestritten, was im Übrigen recht üblich ist in einer lebendigen Stadt. Wo liegt also das Problem, abseits von persönlichen Eitelkeiten und provinziellen Befindlichkeiten? Ganz trocken erklärt: Basis für das Bauen in einem Rechtsstaat ist der Stufenbau der Rechtsordnung, von dem sich alles (Verwaltungs-)Recht abzuleiten hat. Dieses Recht ist üblicherweise Ergebnis demokratischer Ausdifferenzierung und Entscheidungsfindung zum Wohle des Gemeinwesens, welches am Ende die sogenannte „Planungs- und Rechtssicherheit“ als Rahmen ergibt. Dieser Rahmen definiert das Erlaubte und das Verbotene, das Gewünschte und das Erträgliche, nachdem sich alle richten können, nicht zu verwechseln mit es sich richten können. Die „Bauwerber“ auf der einen Seite, von einzelnen Bürgern und Bürgerinnen bis hin zu Unternehmen und Gesellschaften aller Art sollten hier den Rahmen ihrer Möglichkeiten ersehen können, bevor sie mit Plan und Bau beginnen. Alle anderen, also Nachbarn, Zivilbürgerschaft, Politik, kurz die „Kommune“ sollten sich darauf verlassen können, dass die individuellen Bauwünsche in einem vorhersehbaren Rahmen bleiben. So wird das Zusammenleben in einer Stadt organisiert, es ist das Wesen der „Communitas“. Und innerhalb dieses Rahmens wird dem Bauen anhand des einzelnen Projektes die Form und Kultur, der Sinn und Nutzen, die Rendite oder Investition, die Seele oder Gesichtslosigkeit gegeben oder eben nicht. Andauernd entsteht so die Stadt als Summe der Teile, in Paris oder Venedig genauso wie in Dortmund oder Brindisi. So auch in Graz. Was braucht es also für „Planungs- und Rechtssicherheit“, welche per Fachbegriff nämlich eigentliches Ziel und Thema der Debatte um die skandalösen Bauverfahren in Graz ist? Es sind drei unabdingbare Säulen erforderlich, nämlich das Gesetz als beschlossene Form, weiters die politische Zielformulierung als mehrheitsfähiger Inhalt und last but not least die sogenannte Spruchpraxis als nachvollziehbare Zusammenführung von Inhalt und Form im einzelnen Baubescheid! Wie nun jeder weiß, steht ein Tisch auf drei Füßen immer ohne Wackeln, solange diese drei Säulen ihn tragen. Aber in Graz sind diese Säulen nicht nur wackelig, sondern gar nicht vorhanden. Warum? Die erste Säule, das entscheidende Gesetz ist ein „ländliches“ Raumordnungsrecht, das in der dicht bebauten Stadt per se weitgehend versagt. Freilich, Graz hat keine eigene Gesetzgebungskompetenz für ein autonomes städtisches Raumordnungsrecht wie etwa Wien. Aber zumindest Einfluss und abgestimmte Regelungen wären de jure sehr wohl möglich, wenn die Stadt nur etwas daransetzen würde. Aber anscheinend wird die Macht bei entsprechenden ROG-Sitzungen von den dort vertretenen Bürgermeistern mit steirischer Breite ausgefüllt, während die Stadt offensichtlich wechselnde Vertreter schickt, die gerade mal die Anwesenheitsliste ausfüllen. Die zweite Säule, die politische Zielformulierung der Kommune selbst, ist das sogenannte Stadtentwicklungskonzept STEK, welches alle 10 Jahre groß diskutiert und neu abgeschrieben wird. Als Zusammenfassung alles Guten, Braven, Schönen zu einer Wunschvorstellung für die Stadt ist es durchaus nicht falsch, hat aber eher den Charakter des Pfeifens im Walde. Die wahren Themen und Fragen einer Stadt, nämlich wie sie konkret der Form und Dichte nach, den Intensitäten und Nutzungen bis hin zur Gestaltung nach umzusetzen seien, kommen darin schlichtweg nicht vor. Dazu gibt’s einen nach den „ländlichen“ Mechanismen strukturierten Flächenwidmungsplan, der auf der grünen Wiese manches sinnvoll verhindert und trennt, aber im Detail des Objektes nichts regelt. Nur, die Stadt besteht nun mal aus der Summe einzelner Projekte, an denen die Interessen kollidieren. Die daraus folgende Peinlichkeit eines Flickenteppiches aus anlassbezogenen Bebauungsplänen braucht hier sowieso nicht als Zielformulierung angegeben werden. So entsteht keine Stadt von morgen, nicht einmal von heute. Vielmehr sind das aus Interessenskonflikten entstandene Kompromissverordnungen, die oft von der Wirklichkeit überholt werden und die Fragmentierung der Stadt trendverstärken. Bleibt noch die dritte Säule, die sogenannte Spruchpraxis, die es in Graz höchstens als Praxis vieler Sprüche gibt. Das aber ist ein Hohn auf den Rechtsstaat, wobei die Gründe auf der Hand liegen: Einerseits die fehlende Kontinuität bei der Übereinstimmung von Gesetz und Zielformulierung, bei Form und Inhalt, wo doch alle paar Jahre die Interessen wechseln, egal ob parteipolitisch motiviert oder je nach Erstarken diverser Lobbys und Anspruchsgruppen. Weiters die Widersprüchlichkeiten im Magistrat selbst, wo die Hahnen- und Hennenkämpfe nach spartenmäßiger Gliederung der Ämter und Behörden auf dem Rücken der Verfahren – also der Bauwerber – ausgetragen werden. Freilich, auf Basis der fehlenden Tragfähigkeit der beiden Säulen „Gesetz“ und „politische Zielformulierung“ kann auch keine sinnvolle Spruchpraxis entwickelt und kontinuierlich werden. Langer Rede, kurzer Sinn: Was sich in Graz ständig im Zuge der Bauverfahren abspielt, ist ein einziges Spiel von tagespolitischen Interessen und Lobbys, die allesamt so tun, als ginge es ihnen um das Wohl der Stadt, mit mehr oder weniger Ernsthaftigkeit. In Wirklichkeit ist es nur ein freies Spiel der auftretenden Kräfte, wo meist der Stärkere (Meinungsmacher!) gewinnt. Was dabei Einzelne dieser Lobbys von sich geben, klingt für Proponenten dieser Interessen freilich oft plausibel. Wenn Projekte und Bauverfahren über Bürgerinitiativen und Zeitungen, politische Vorzimmer oder Parteiclubs erörtert und schlussendlich mit Daumen rauf oder runter einiger Gemeinderäte beschlossen werden, gibt es immer ein paar Gewinner – wenn auch etliche Verlierer. Das schaut dann so aus, als wäre es Demokratie. Aber in Wirklichkeit ist es eine geradezu barbarische Willkür. Sie hat weder mit Demokratie zu tun, die sich auf ein Recht der Gleichbehandlung stützt, noch mit Idee und Pflicht einer Kommune, die Ziele für die Stadt formuliert und durchsetzt sowie dabei den Ausgleich der Interessen sichert. Eine auf qualitative Ziele gerichtete Planungs- und Rechtssicherheit bedeutet das keineswegs und eine zukunftsfähige Stadt entsteht so sicher nicht. Viel eher muss frei nach Wikipedia für Graz vermutet werden, dass „in einer weiter gefassten Definition eine moralische Verdorbenheit auch eine Form von Korruption bedeutet.“ Architekt DI Harald Saiko Geboren und aufgewachsen in Graz, Studium in Graz und Paris, führt ein Büro für Architektur.Stadt.Kultur in Graz, Wien und Timisoara.
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