Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Hirnwaffen gegen die Abschaffung der Bildungsgesellschaft
Sonntag, 14. November 2010
Die Bekanntgabe des Sparpaketes der Bundesregierung hat einen Aufschrei an den österreichischen Universitäten ausgelöst. Uni-Leitung, Lehrende und Studierende proben den Schulterschluss im Protest und auch der Gewerkschaftsbund hat sich solidarisiert. Die Sprüche auf den Transparenten der jüngsten Demonstrationen fassen die Diskussionsstränge übersichtlich zusammen: „Hände weg von der Familienbeihilfe“, denn „Demokratie heißt Mitsprache“ und gleiche Rechte, wie etwa „Master für alle!“, auch wenn nach momentanem Dafürhalten eher „Reiche Eltern für alle“ angebracht wäre, wenn gilt „Hast nix, wirst nix!“ Und: „PolitikerInnen gehen, Probleme bleiben“, doch „Dummheit regiert, Bildung krepiert“, folgerichtig fordert man „Geld für Bildung statt für Banken“ und „Kapitalismus muss weg“, denn: „Ohne Bildung keine Zukunft“.

Auch die Ministerin brauchte neun Jahre bis zur Promotion.
„Ist es nur für eine einzige der Personen, die die Kürzung der Auszahlung der Familienbeihilfe von 26 auf 24 Jahre beschlossen haben, vorstellbar, dass es (noch) Studierende gibt, für die 152,70 Euro pro Monat darüber entscheiden, ob man sich sein ‚Leben leisten‘ kann oder nicht? Sprich bei Wegfall gezwungen ist, sein womöglich ohnehin schon durch zusätzliche Jobs finanziertes Studium abzubrechen, um schlichtweg das Überleben zu sichern?“ fragt sich eine Studentin wütend. „Oder sind die Verantwortlichen der Meinung, wer mit 24 (trotz aller Widrigkeiten) noch nicht zu Ende studiert hat, dem mangelt es ohnehin an Intelligenz/Einsatz/Fähigkeiten...?“ Kleine Randbemerkung: Bis zu ihrer Promotion hat auch Wissenschaftsministerin Karl neun Jahre Studium benötigt. Doch von Doktorats- bzw. Master-Finanzierung war hier noch nicht einmal die Rede. Und: Kann, wie so oft erwähnt, bei einer solchen Summe von „Durchfüttern“ oder „Vollfinanzierung“ gesprochen werden?

Gezielte Verunsicherung hält sozial Schwache vom Studium ab.
An der Erfahrung oder Fähigkeit, sich in die Situation jener zu versetzen, die von den Einschnitten am stärksten betroffen sind, nämlich die sozial Schwachen, die in der Folge erst recht unter die Armutsgrenze zu fallen drohen, mangelt es offensichtlich. Doch dieser Mangel ist Kalkül, er hat System – und das wird zielsicher zementiert. Denn was mit derlei Maßnahmen ganz bewusst vorangetrieben wird, ist die soziale Selektion jener, denen man den Zugang zu universitärer Bildung ermöglicht. „Wer die strukturellen Hürden nicht schafft, bleibt auf der Strecke“, so der Grazer ÖH-Vorsitzende Cengiz Kulac. Soziale Selektion beginnt bekanntlich schon bei der Schulwahl – wer geht überhaupt aufs Gymnasium? – und wird in der Folge durch die Signale, die an potenzielle künftige Studierende ausgesandt werden, weiter verschärft. Schon früh würden sich gerade in sozial benachteiligten Schichten oft Einwände regen, wenn es um Studienbedingungen geht, und ob ein Studium überhaupt leistbar wäre. Allein durch diese gezielte Verunsicherung werden Leute vom Studieren abgehalten, so Kulac.
Was gefördert wird, ist die Vererbung von Bildung (Eltern Akademiker, Kinder Akademiker) und damit von Positionen an den Schalthebeln von Macht und Wohlstand – dort will man eben unter sich bleiben.

Für Reflexion statt Entpolitisierung. Wie weit man bei Prozessen noch von Demokratie sprechen kann, die den definitionsgebenden Grundlagen einer solchen widersprechen?
Der Germanist und Betriebsrat für wissenschaftliches Personal an der Karl-Franzens-Universität Graz, Günther Höfler, verweist auf die bereits vor Jahren diskutierte Frage: Wieviel Bildung braucht Demokratie? „Bildung ist ein wesentlicher, integraler Bestandteil demokratischer Kultur, umso stärker, je komplexer diese ist.“ Bereits jetzt zeigt sich, dass „vor allem bildungsferne Schichten FPÖ wählen, die Folge dieser Bildungspolitik wird nichts anderes sein als eine absolute Mehrheit für Strache bei einem der nächsten Wahlgänge. Ist das der Zweck, den diese Bundesregierung verfolgt?“ Man setze ganz offensichtlich auf Bildungsressentiments. Im selben Maß wie diese vorhanden sind, steigt die Befürwortung rechtsgerichteter, autoritärer Systeme. „Wer denkt überhaupt noch weiter? So sind wir früher oder später tatsächlich keine Bildungsgesellschaft mehr.“ Denn „man verhindert, dass den Menschen Instrumentarien in die Hand gegeben werden, die Reflexion und eigenständiges Denken ermöglichen. Damit sind sie auf Vermuten, Glauben etc. angewiesen.“ Also leichte Manipulationsbeute für Demagogen. Selbst Bundespräsident Heinz Fischer appellierte an das öffentliche Verständnis, „dass man dem ganzen Land etwas Gutes tut, wenn man die Bedeutung dieses Teils unserer Gesellschaft für die Zukunft unseres Landes richtig einschätzt“.

„Universitätsgesetze brachten systematische Entsolidarisierung“.
Dass die Probleme nicht plötzlich vom Himmel fallen, ist allen klar. Alfred Gutschelhofer, Rektor der Grazer Karl-Franzens-Universität, bewertet Uni-Autonomie und Bologna-Prozess jedoch durchaus nicht negativ, kürzere Zeiten für Bachelor-Abschlüsse wären wirtschaftlich sinnvoll, „wir müssen wettbewerbsfähig bleiben“, allerdings müssten für die AbsolventInnen auch Arbeitsplätze vorhanden sein. Gleichzeitig kritisiert er die im europäischen Vergleich bereits jetzt weit unterdurchschnittliche Finanzierung der österreichischen Hochschulen und fordert die zugesagte Steigerung der Bildungsausgaben von 1,3 % auf 2% des BIP ein. Den österreichischen Unis fehlen ab 2013 rund 500 Millionen Euro allein um den derzeitigen Status quo aufrecht zu erhalten und selbst so elementare Dinge wie Gebäudesicherheit zu gewährleisten. „In Ländern, die in Know-how investieren, gibt es keine Verringerung, sondern eine eklatante Erhöhung des Bildungsbudgets – siehe Deutschland, dort wurde dies von der Chefin selbst sofort zum Thema gemacht.“ Darauf verweist auch Höfler, der jedoch auf den Punkt bringt, dass die letzten Universitätsgesetze definitiv auf Entpolitisierung abzielten. „Diese perfide Strategie hatte Erfolg, jeder hat selbst zu kämpfen, die Folge ist eine totale Entsolidarisierung. Der Nachwuchs ist ohnehin bereits komplett auf Einzelkampf konditioniert.“ Dementsprechend scharf kritisiert er auch das unterentwickelte politische Bewusstsein bezüglich der gewerkschaftlichen Organisation an der Universität. „Gewerkschaft hat hier immer noch den Nimbus des Proletarischen, und in diesen will man sich keinesfalls begeben, man ist ja was Besseres,“ ärgert sich Höfler über inneruniversitäres Hegemoniedenken.
Auch Cengiz Kulac will weg von den politischen Eliten, die ÖH selbst müsse mehr sein als nur „jobcreating machine für Parteien und NGOs und stattdessen als politisch handelnde Organisation agieren und anerkannt werden.“

Breite Allianzen, aber Differenzen im Detail.
Dass man gegen derartig komplexe Entwicklungen allein kaum Chancen hat, wurde mittlerweile offenbar auf allen Ebenen realisiert, dementsprechend verbreitern sich die Allianzen, betroffen sind schließlich nicht nur Studierende. Die Mitte Oktober abgehaltenen Vollversammlungen wurden durchwegs von Rektoraten, Betriebsrats- sowie StudierendenvertreterInnen gemeinsam getragen, alle Beteiligten sprechen sich für eine Fortsetzung der Kooperationen aus. Gutschelhofer betont die hohe Solidarität, man werde an den Allianzen festhalten; für die Teilnahme an den Demonstrationen gab es offiziell unterrichtsfrei.
Inhaltlich bestehen dennoch nicht unerhebliche Unterschiede in den Zielsetzungen. So wollen zwar weder Rektorat noch ÖH mehr über Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen außerhalb eines größeren Kontextes diskutieren. Während aber ÖH-Chef Kulac naturgemäß gegen beides in Stellung geht („Die Diskussion um Zugangsbeschränkungen hätte sich mit der Einführung eines Grundstudiums für alle erledigt“), jedoch die gleichwertige und gleichzeitige Forderung nach kritischem Denken, freiem Hochschulzugang und sozialer Gerechtigkeit erhebt und keine dieser drei Grundfesten ohne die anderen beiden für zielführend hält, hat Rektor Gutschelhofer im Gegenteil genug davon, „dass Organisationsgremien gesellschaftspolitische Fragen klären sollen“ und mit den Universitäten „politisches Kleingeld gemacht wird“. Österreich sei politisch offenbar nicht in der Lage, zentrale Fragen wie Bildung, aber auch Gesundheit oder Sicherheit zu lösen. Dazu müsse man nämlich Systeme ändern. Sprachs und verwehrt sich gleichzeitig gegen eine eindeutige Pro- oder Contra-Positionierung. Er sieht vielmehr sowohl die Wissenschafts- als auch die Bildungsministerin allein auf verlorenem Posten gegenüber der Bundesregierung und will ihnen in den Verhandlungen „den Rücken stärken“, vor allem Kritik an Wissenschaftsministerin Karl könne man sich von ihm nicht erwarten, kommt sie doch „aus dem eigenen Haus“ (Anm.: Karl war vor ihrem Amtsantritt am Institut für Arbeits- , Sozial- und Europarecht der KFU beschäftigt).

Bereitschaft zu „schärferen Aktionen“.
Weniger zimperlich äußert sich da Günther Höfler. „Von Seiten der Unis kommt grundsätzlich zu wenig gegen diesen Wahnsinn.“ Er sieht in Beatrix Karl „einen kaum merklichen Qualitätsgewinn gegenüber ihren Vorgängern Gehrer oder Hahn“, obwohl man „mit der Rekrutierung einer Wissenschaftlerin Hoffnungen auf jemand geweckt“ habe, „der die Probleme von der Pieke auf kennt“. Die Aussagen der Ministerin in Bezug auf mögliche Massenkündigungen seien gerade von einer Arbeitsrechtlerin mehr als fragwürdig. Karl sei offenbar von der Wissenschaftlerin zur Parteisoldatin mutiert. Bauernbund und Wirtschaftskammer sind mit dem Budget-Entwurf zufrieden, „damit ist ohnehin klar, welche Kräfte innerhalb der ÖVP dominieren.“
Ausgeschöpft werden soll jedenfalls die gesamte Bandbreite der Protestmöglichkeiten. Alle Beteiligten sind entschlossen, dauerhaft präsent zu bleiben. Gutschelhofer erklärt, man würde „Hirnwaffen organisiert über sämtliche Kommunikationskanäle“ einsetzen und das Thema wenn nötig auch das gesamte Jahr 2011 am Kochen halten. Kämpferisch zeigt sich, mit Solidarität der Betriebsräte, auch die HochschülerInnenschaft. „Es ist kein Zufall, dass der endgültige Budgetbeschluss am 23.12. angesetzt ist. So hebelt man die Studierenden perfekt aus, erst Weihnachten, dann die Prüfungsphase im Jänner, danach Semesterferien. Im März wäre der Zug längst abgefahren“, so Kulac. Also muss man vorher aktiv werden und bleiben. Die ÖH ist bemüht, auch über bereits bestehende Bündnisse hinaus Solidarität herzustellen und zu intensivieren und nach dem Motto „Rede mit denen, mit denen du noch nicht geredet hast“ den dringend notwendigen Diskurs zu verbreitern. Mit dem ÖGB kooperiert man bereits, hofft man doch „den schlafenden Riesen zu wecken, ebenso wie das durchaus vorhandene kritische Potenzial.“ Die nächste Demonstration, die in Graz bereits am 9.11. stattfindet, wird von beiden Organisationen getragen, ÖGB-Vorsitzender Horst Schachner wird ebenfalls am Rednerpult stehen. Die Route wird vom Hauptplatz, wo man eine Suppenküche einrichtet – „schließlich sind wir es, die die Suppe auslöffeln müssen“ – zum Finanzamt führen. Gibt es dennoch keine entsprechende Reaktion der Bundesregierung, ortet der ÖH-Vorsitzende auch die Bereitschaft zu massiveren Protesten und schärferen Aktionen.


Die Einsparungen, die nicht nur Studierende auf die Barrikaden bringen:

•    Kürzung der Familienbeihilfe: Auszahlung nur mehr bis zum 24. statt wie bisher 26. Lebensjahr
•    Damit Wegfall sämtlicher an die FBH gekoppelten Vergünstigungen, wie z. B. im öffentlichen Verkehr.
•    Streichung der 13. Familienbeihilfe
•    Streichung des Kinderabsetzbetrages
•    Streichung des AlleinverdienerInnenabsetzbetrages
•    Streichung der Förderung studentischer Selbstversicherung
•    Einsparungen bei Studierendenheimen

Evelyn Schalk
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