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Elevate 2010: Kann „richtiger“ Konsum die Welt retten?
Sonntag, 14. November 2010
Am Nationalfeiertag ging das diesjährige Elevate Festival in die Schlussrunde und einmal mehr gelang es den Veranstaltern, alle bisherigen Rekorde zu brechen. An den fünf Tagen lockte das arrivierte Grazer Schlossbergfestival mit seinem bunten Programm-Mix mehr als 7.500 BesucherInnen an. Der eindringliche Aufruf „Get Active!“ lautete diesmal einer der Schwerpunkte des Diskursprogramms, der knapp 20 Initiativen und NGOs im Forum Stadtpark versammelte. Musikhighlights und Artist’s Workshops. Auch in diesem Herbst präsentierte Elevate eine breite Palette elektronischer Musik, die zum Nachdenken und bewussten Zuhören anregen sollte. Mit dem „Hörgerede“ wurde erstmals auch ein Literaturprogramm geboten. Das reichhaltige Musikprogramm war denn auch an allen Tagen bestens besucht: In den fünf Nächten strömten insgesamt mehr als 5.300 Musikbegeisterte in den Dom im Berg, die Uhrturmkasematte und das Parkhouse. Ausgebucht waren außerdem die Workshops der Elevate Lab-Reihe, in der die BesucherInnen von den Elevate Artists lernen konnten, professionell Tracks und Visuals zu gestalten. Mittels zahlreicher Musikmittschnitte und laufender Berichterstattung über FM4 sowie verschiedene Kabelsender erreichte das Ereignis auch ein bundesweites Publikum.

Diskurse zu Wirtschaftskrise und Ernährung.
Unter dem Motto Elevate Civil Society diskutierten im Dom im Berg prominente Gäste wie Iara Lee, Béatrice Achaleke und Mike Bonanno über wichtige Themen der Gegenwart. Insgesamt rund 2.200 Menschen verfolgten das Diskursprogramm vor Ort und ein Livestream über das Internet versorgte jene Fans, die nur virtuell teilhaben konnten. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie jede(r) einzelne dazu beitragen kann, den sozialen Ungleichheiten sowohl in unserer Gesellschaft ebenso wie global wirksam entgegenzusteuern. Im Themenblock „Gutes Essen für alle“ diskutierte die Buchautorin Kathrin Hartmann („Das Ende der Märchenstunde“) u.a. mit Irmi Salzer, Franziskus Forster und Micha Matzer über den Spielraum für sinnvolle Konsum- und Verhaltensänderungen in einem Wirtschaftssystem, das durch großflächige Agroindustrie, mächtige Handelskonzerne, Ausbeutung und Umweltzerstörung gekennzeichnet ist. Mit Kathrin Hartmann sprach Josef Schiffer für KORSO über den von ihr kritisierten LOHAS-Lifestyle und dessen dunkle Seiten.

Können Sie uns kurz erklären, um welche Gruppe es sich bei den „Lohas“ handelt?
Die Abkürzung steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“ und leitet sich aus dem Buch „Cultural Creatives“ des amerikanischen Autorenduos Paul Ray und Ruth Anderson ab, das 2001 zum Bestseller wurde. In Deutschland hat der neogrüne Shopping-Trend, der sich als selbsternannte „gesellschaftliche Veränderungsbewegung“ feiert, schnell Fuß gefasst und umfasst diffuse Kategorien wie „moralische Hedonisten“ und „pragmatische Idealisten“. Auch wenn ihr je nach Studie zwischen 10 und 30 Prozent der Bevölkerung zugerechnet werden, handelt es sich dabei um keine homogene, politisch agierende Gruppe, sondern im Mittelpunkt steht der Konsum bzw. ethische Etikettierungen. Im Gegensatz zu den früheren Bewegungen wird das Motiv des Verzichts verworfen und die Vereinbarkeit von Genuss und verantwortungsvollem Handeln postuliert.

Was hat Sie konkret bewogen, dieses Thema in Buchform aufzuarbeiten?
Auf den Stoff für dieses Buch bin ich gekommen, als ich im Sommer 2008 im Magazin „Neon“ einen Leitartikel zu diesem Thema geschrieben habe. Ich hatte mich davor schon längere Zeit mit den Themen Umweltschutz, Ökologie, biologische Landwirtschaft und Globalisierung beschäftigt. Dabei ist es mir bewusst geworden, dass auf einmal Menschen, die sich vorher dafür einen feuchten Schmutz interessiert haben, auf einmal die Wortführerschaft in diesem Bereich auf eine sehr ökonomisch argumentierende Weise an sich gerissen haben. Mir ist dann schnell aufgefallen, dass dieser neue Ökokonsum genau das Gegenteil seiner Ziele erreicht, nämlich das Weitermachen wie bisher mit einem ethisch-ökologischen Anstrich.

Was sind die Hintergründe dieser offensichtlich gekonnt vermarkteten Lifestyle-Ethik?
Ein erster Aufreger in dieser Hinsicht war für mich die Werbung der deutschen Brauerei Krombacher, wo mit dem Erwerb eines Kastens Bier ein Quadratmeter Regenwald geschützt werden sollte. Eine Täuschung in mehrerlei Hinsicht: Erstens ist der Spendeneffekt minimal, denn man müsste 142 Kästen Bier kaufen, um 10 Euro für Schutzgebiete zu spenden, und zweitens tritt das Unternehmen Krombacher zugleich als großer Sponsor der Formel 1 auf, was zeigt  wie wenig ernst es der Firma mit dem Umweltschutz ist. Nur das Image zählt. Weitere Firmen folgten dem Beispiel, wie Iglo, das den Verkauf von Fischstäbchen mit der Rettung der Weltmeere beworben hat, weil pro Packung ein paar Cents an den WWF gehen. Heute gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht seine „Verantwortung“ auf der Internetseite betont, selbst Nestlé und Coca Cola haben die Punkte „Nachhaltigkeit“ und „Verantwortung“ in ihre Selbstdarstellung aufgenommen. Dabei handelt es sich um um weitgehend inhaltsleere CSR-Versprechen, die dem „Greenwashing“ der Konzerne und ihrer Praktiken dienen sollen – nicht umsonst inzwischen ein milliardenschweres Marketinggeschäft.

Aber hinter der Fair Trade-Bewegung steht doch das ehrliche Bemühen, den bäuerlichen Produzenten vor Ort durch bessere Marktpreise zu helfen?
Der ursprüngliche Grundgedanke ist sicher richtig und löblich. Nur leider kommt es auch hier zu Pervertierungen, wenn Kaffeehausketten wie Starbucks nur knapp 10% ihrer Rohstoffe über Fair Trade beziehen, um die Zielgruppe der Lohas gezielt zu bedienen. Denn es ist klar, dass der Anteil von Fairtrade-Produkten weiterhin ein sehr kleiner bleiben wird, während die ganze Kette vom Imageschub mitprofitiert. Außerdem sind die Preisaufschläge für das Fairtrade-Segment ein Vielfaches von dem, was letztendlich bei den Bauern anlangt, sodass der Konzern zweifach verdient, indem er ein neues Luxus-Segment geschaffen hat, für das der Lohas-Kunde bereit ist, deutlich mehr zu bezahlen.

Glauben Sie nicht, dass mit dem gezielten Kauf von Fairtrade-Produkten doch etwas in die richtige Richtung bewegt werden kann?
Die Aufforderung an den Konsumenten, beim Einkaufen doch gefälligst die „richtigen“ Produkte zu wählen, halte ich deswegen für unsinnig und irreführend, weil ein „normaler“ Supermarkt ebenso wie die Nahrungsmittelkonzerne und Agrarbetriebe innerhalb jener Strukturen wirtschaftet, die für Armut und Ausbeutung in Übersee, aber auch hierzulande verantwortlich sind. Wenn die Supermärkte, um die neuen Lifestyle-Ökos zu beglücken und noch etwas mehr Geld an ihnen zu verdienen, neben dem normalen „Ausbeuter“-Kaffee den mit Siegeln geschmückten Fairtrade-Kaffee in ihre Regale stellen, dann finde ich persönlich das sehr zynisch, weil damit an den Handelsstrukturen absolut nichts verändert wird und die Konzerne nur noch höheren Gewinn aus dem schlechten Gewissen der Leute ziehen.

Worin sehen Sie dann noch Chancen zu einer tiefgreifenden Veränderung des Systems?
Meine kurzgefasste Formel zu diesem Thema lautet: Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Es bedarf einer Politisierung der Menschen für den Wandel hin zu einer gerechteren Welt. Die Idee, dass man mit „gutem“ Kapitalismus die Welt vor dem „schlechten“ Kapitalismus rettet, halte ich für vollkommen absurd. Die ganze Wachstumsidee, auf der unsere westliche Wohlstandsgesellschaft gründet, ist, wie sie derzeit praktiziert wird, nur durch Ausbeutung aufrecht zu erhalten. Man wird Phänomene wie Kinderarbeit und Armut in den Entwicklungsländern nicht abschaffen können, weil ein paar Leute ihre Einkaufsgewohnheiten ändern. In meinen Augen ist das eine romantische Vorstellung, die sich in unserer westlichen Sicht eingebürgert hat, nicht zuletzt zur Gewissensberuhigung, weil man ja über die Medien über viele unsägliche Bedingungen informiert ist. Was das Element der Politik betrifft: Es geht jetzt meiner Meinung nach viel eher darum, an der Veränderung der zugrunde liegenden Strukturen zu arbeiten als an sich selber. Es wäre zu wünschen, dass niemand mehr beim Einkaufen groß über seine Konsumentscheidungen nachdenken muss, weil es eine Wirtschaftsordnung und entsprechende Sanktionen gibt, die es verhindern, dass noch rücksichtslos ausbeuterisch und umweltzerstörend gehandelt und produziert wird.
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