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Hungerkriege – Das Schicksal unserer Kinder? |
Sonntag, 14. November 2010 | |
Die mediale Wahrnehmung verzerrt die Wirklichkeit, so lautet die einfache und doch problematische Diagnose von Hans Putzer, der in seinem neusten Buch „Hungerkriege“ der wohl größten globalen Herausforderung des 21. Jahrhundert nachspürt: Wie kann die Menschheit ausreichend und nachhaltig ernährt werden? Während die breite Öffentlichkeit über Probleme und Lösungen der Energie-, Klima- und Wirtschaftskrise diskutiert, und die Europäische Union den Herausforderungen von Migration und demografischer Entwicklung immer hilfloser gegenübersteht, wird das Problem der Welternährung scheinbar nur mehr marginal wahrgenommen, während der Welthunger in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in aller Munde war.
Ernährung hinterlässt großen Fußabdruck. Der liebgewonnene Fortschrittsglaube an Pestizide, genmanipulierte Saaten und modernste Agrartechnologien kann die Niederlage im Kampf gegen den Hunger nicht länger übertünchen. „Die Zeichen der Zeit sind unmissverständlich“, erklärt Putzer: „Erstmals in der Geschichte hungert auf diesem Planeten rund eine Milliarde Menschen.“ Der Leiter des Bildungshauses Mariatrost, der in seinem Buch „Essen Macht Politik“ bereits die massiven Auswirkungen der industriellen Lebensmittelproduktion in brisanter Analyse thematisiert hat, konstatiert in ernüchternder Offenheit, dass die ökologischen Belastungen der Nahrungsmittelproduktion bei weitem jene der viel gescholtenen Mobilität übertreffen. Die Auswirkungen sind aufgrund der begrenzten Ressourcen der Erde absehbar: Als eine Folge davon ist der ökonomische – und zum Teil auch schon militärisch geführte – globale Kampf um bioproduktive Flächen ist längst im Gange. Der Nord-Süd-Konflikt nimmt zu. Die Konsumgewohnheiten der westlichen Welt hinterlassen ihre Spuren in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Nachfrage nach immer mehr Fleisch und Agro-Treibstoffen im reichen „Norden“ hat dazu geführt, dass im „Süden“ mit dem Export von Getreide, Soja und Ölfrüchten viel mehr Geld zu verdienen ist als mit der Ernährung der eigenen Bevölkerung, analysiert Putzer: „Findige Agrarlobbyisten und multinationale Lebensmittelkonzerne wissen diese Ungleichheit sowie die Verführbarkeit der Regierungen zur Maximierung ihrer Macht und ihrer Einkünfte zu nutzen.“ Mit ihrer (Agrar-)Subventionspolitik spielen die USA ebenso wie die EU als willige Partner in diesem Unrechtssystem eine höchst fragwürdige Rolle. Die Wohlstandsversprechen sind trügerisch, denn es liegt entgegen allen Milchmädchenrechnungen auf der Hand: „Die Bioressourcen unserer Erde sind nicht ausreichend, um alle Menschen mit demselben Luxus zu ernähren, wie er heute im ‚Norden‘ der Standard ist.“ Kriegsstrategien und Kolonialismus. Die angeblich so wohlstandschaffenden Kräfte des Liberalismus und Freihandels haben zu extremen wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen geführt, die gerade in der Nahrungsmittelproduktion und -handel wenigen Konzernen monopolartige Positionen sichern. Die aktuelle Schwäche der Politik korreliert dabei mit der Stärke der „Marktkräfte“ – weniger den je scheint die Politik gewillt, in das krasse Missverhältnis der beteiligten Player regulierend und korrigierend einzugreifen. Putzer benennt die Bereiche Gentechnik, Spritzmittel und Futtermittel als Cash-Cows von internationalen Multis wie Monsanto. Diese Technologien lindern nicht die Not der Hungernden und Armen, wie oft versprochen, sondern füllen die Kassen der Konzerne, die sich immer größere Landstriche unter den Nagel reißen. Als Perversion schlechthin kritisiert Putzer die Gewinnung von Agrartreibstoffen, der zunehmend sowohl fruchtbares Ackerland als auch ökologisch wertvolle Waldflächen in den Ländern des Südens zum Opfer fallen: „Ein offensichtlicher Irrweg, der schnellstmöglich verlassen werden muss.“ Endet der Tanz ums Goldene Kalb? Putzer versinkt aber nicht in den Weltuntergang beklagenden Pessimismus und will den Leser nicht ohne optimistischen Ausblick in seiner Verzweiflung über die Fehlentwicklungen in der Nahrungsmittelerzeugung zurücklassen. Dazu, so mahnt Putzer, müssen die Menschen allerdings den schönen Schein des Wachstums und die stete Gier nach mehr überwinden. Die Antwort liegt in einer nachhaltigen Agrarwirtschaft, der Wiederherstellung von biologischen Kreisläufen und dem Verzicht auf die Massentierhaltung. Auch wenn es schwerfällt, scheint die Antwort im Verzicht auf den alltäglich gewordenen Fleischkonsum zu liegen, der die ökologisch höchsten Kosten verursacht. Die Rückkehr zu kleinen Strukturen und die Wertschätzung von naturnahen Anbaumethoden ohne Spritzmittel und Kunstdünger sind für die Gesundung der Landwirtschaft unverzichtbar, argumentiert Putzer. Ob die Umkehr aus einem verfehlten System gelingen kann, hängt nicht zuletzt von uns selbst ab, erklärt der Autor, unserer Bereitschaft, in weniger ein Mehr an Lebensqualität zu sehen. Die dunkel über uns schwebende Drohung von globalen Hungerkriegen sollte Mahnung genug sein. Josef Schiffer Hans Putzer, Hungerkriege. Das Schicksal unserer Kinder? Graz: Leykam 2010. 128 S., Euro 16,90
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