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Integration: „Oft werden nur Bilder weitergetragen“
Sonntag, 14. November 2010
Mit neuen Vorgehensweisen sollen die zunehmenden Konflikte im Gemeindebau zwischen Alteingesessenen und ZuzüglerInnen wieder entspannt werden. Dabei zeigt sich: Hinter dem „AusländerInnenproblem“ verbergen sich oft Generationskonflikte und soziale Verwerfungen, die nur mittelbar mit der Integrationsfrage zu tun haben.

Im Siedlungsbereich Starhemberggasse 13-15 und Laudongasse 12-14, an der Grenze zwischen den Bezirken Lend und Eggenberg, wohnen an die 500 Menschen aus 15 unterschiedlichen Ländern, davon sind 150 Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre und ca. 60 Jugendliche. Der Großteil davon lebt in Wohnungen, die im Eigentum der „Neuen Heimat“ stehen, für die die Stadt aber das Einweisungsrecht hat, ein kleiner Teil wohnt in einem „echten“ Gemeindebau. „Knapp die Hälfte der BewohnerInnen ist außerhalb Österreichs geboren, aber über zwei Drittel haben die österreichische Staatsbürgerschaft“, sagt Dr. Peter Stoppacher vom Institut für Arbeitsmarktforschung (IFA), der das Projekt „HASIF“ (siehe Kasten) wissenschaftlich begleitet. „Seit der Öffnung der Gemeindewohnungen für Personen mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft im Jahr 2006 hat sich die Zusammensetzung der Mieterschaft deutlich verändert.“

Zufriedene und Unzufriedene.
Nun gärt es in der Siedlung: Vor allem ältere BewohnerInnen fühlen sich durch Kinderlärm, falsche Mülltrennung, wilde Müllentsorgung und auf den Treppenabsätzen sitzende Frauen mit Kopftuch terrorisiert, es gab Vandalenakte wie mutwilliges Zerkratzen von Autos. Außerdem seien, sagt Wohnungsstadträtin Elke Kahr, die das Projekt initiiert hat, eingesessene BewohnerInnen von Kindern unflätig beschimpft worden.
HASIF will nun „mit Mitteln der Gemeinwesenarbeit das Miteinander der Menschen begleiten und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität setzen“, sagt HASIF-Mitarbeiterin Petra Lex. Gestartet wurde im Mai mit einer Befragung von 100 BewohnerInnen und MultiplikatorInnen zum Thema „Lebensqualität und soziale Sicherheit“. Die Ergebnisse: Ein Drittel ist mit der Lebensqualität sehr unzufrieden – vor allem ältere BewohnerInnen. Ein Viertel (vor allem die jungen und neuen BewohnerInnen) beurteilt die Lebensqualität als „sehr gut“; der Rest ist „eher zufrieden“. Dieses breite Spektrum verwundere nicht, meint Lex: „Die tschetschenische Flüchtlingsfamilie verfügt über andere Bewertungskriterien bezüglich Lebensqualität als ein alt eingesessenes Grazer Pensionistenehepaar.“
Erschreckend ist die Feststellung des in unmittelbarer Nachbarschaft tätigen Kinderarztes, dass die Sprachbarrieren eher größer denn kleiner werden: „Die dritte Generation kann weder in ihrer Muttersprache noch auf Deutsch einen komplexen Satz bilden; die Mütter können teilweise ihren Kindern nicht mehr erklären, was der Arzt will“, sagt Lex.

Generationswechsel.
Das zentrale Problem, darin sind sich Stoppacher, Lex und auch Vizebürgermeisterin Lisa Rücker einig, liegt allerdings im Generationswechsel: Österreichische MieterInnen, die seit drei oder mehr Jahrzehnten hier wohnen, deren eigene Kinder bereits ausgezogen sind und die nun gehofft hatten, in der oft auf eigene Kosten auf höheren Standard gebrachten Gemeindewohnung einen ruhigen und vergleichsweise günstigen Lebensabend verbringen zu können, sind nun mit ausländischen Jungfamilien mit großer Kinderschar konfrontiert. „Wir wollten eigentlich die weitere Zuweisung von Migrantenfamilien in diese Siedlung stoppen“, sagt Kahr, „aber es gibt einfach zu wenig ausreichend große Gemeindewohnungen“. Dazu kommt, dass viel zu wenig Spielflächen vorhanden sind und sich die Kinder daher auch in Stiegenhäusern und anderen gemeinsam genutzten Räumen aufhalten. Aber: „Es gibt auch unter den MigrantInnen viele, die die Probleme erkennen und dazu beitragen wollen, dass sie gelöst werden.“ Kahr hofft, dass eine zusätzliche Freifläche als Kinderspielplatz adaptiert werden kann.

An erster Stelle: Die Hausordnung.
Im Rahmen der Befragung konnten die BewohnerInnen auch Vorschläge für ein besseres  Zusammenleben äußern. An erster Stelle stand dabei die Einhaltung der Hausordnung, vor allem in Bezug auf das Lärmproblem. Die neuen Mieter sollten anfänglich begleitet und in die Regeln eingewiesen werden, die Hausverwaltung und die HausbersorgerInnen sollten eine aktivere, betreuendere Rolle spielen. Überhaupt sollten auch Kinder und Jugendliche mehr beaufsichtigt und betreut werden.
Das HASIF-Team wird – das ist zumindest die Hoffnung der MitarbeiterInnen und von Stadträtin Elke Kahr – in Hinkunft als Ansprechpartner vor Ort tätig sein können; eine frei werdende Wohnung soll nach Möglichkeit für das Projektteam adaptiert werden. Auch Lisa Rücker hofft, dass „das eine ständige Einrichtung wird.“ Ähnliche Vorgangsweisen wie z.B. Mediation hätten sich schon in anderen „Hot Spots“ als hilfreich erwiesen; zu Brennpunkten, wo die Polizei früher nahezu täglich Gast war, müsse sie nach einer solchen Intervention so gut wie nicht mehr ausrücken.

Bilder und Vorurteile.
Bei einem von HASIF organisierten Siedlungsfest Mitte Oktober, das dem Thema „Sicherheit“ gewidmet war, gab’s alle möglichen Attraktionen: Experten der Polizei hielten Vorträge über Einbruchsvorsorge, die Höhenrettung der Feuerwehr seilte Interessierte von den Dächern der Siedlungsbauten ab, es gab Einweisungen durchs Umweltamt in fachgerechte Mülltrennung, Musik und Spiele; Kinder verkauften Selbstgebasteltes und die verschiedenen hier vertretenen Nationalitäten spiegelten sich im (selbst mitgebrachten) Angebot an Speisen und Getränken wider. Natürlich war einer der „Hintergedanken“, eine Möglichkeit für Begegnungen zwischen den BewohnerInnen zu ermöglichen. Immerhin, das scheint geglückt, erzählt Rücker, „gerade bin ich drei älteren Damen begegnet, die eigentlich nicht zum Fest herunterkommen wollten – aber letztendlich hat dann doch die Neugier gesiegt.“ Stoppacher berichtet, dass „immerhin einige der schärfsten Kritiker auf Seiten der ,Alteingesessenen‘ und ein paar MigrantInnen am Rande des Fests miteinander ins Gespräch gekommen sind.“
Ob das reicht, um festgefahrene Vorurteile zu überwinden? Stoppacher: „Natürlich werden oft nur Bilder weitergereicht; ÖsterreicherInnen erzählen zum Beispiel von ein- und derselben Situation, die sie oft genug nicht selbst erlebt haben, sondern nur vom Hörensagen kennen; und umgekehrt beklagen sich MigrantInnen, dass sie, obwohl sie lange versucht hätten, ihre österreichischen Nachbarn zu grüßen, einfach ignoriert wurden.“

| Christian Stenner

„HASIF“ …
… steht für „handlungsorientierte Sicherheitsforschung im Wohnungs- und Lebensraum“; Ziel ist die Stärkung des Sicherheitsgefühls und der objektiven Sicherheit im Wohnumfeld. Getragen wird das Projekt vom Grazer Büro für Frieden und Entwicklung, Kooperationspartner sind GEFAS (Akademie für Generationen) und IFA (Institut für Arbeitsmarktfoschung), finanziert wird das Vorhaben vom Innenministerium – aus einem Fonds, der im weitesten Rahmen für die Terrorbekämpfung zuständig ist. Das Projekt wurde im Mai 2010 gestartet und soll zumindest bis April 2012 dauern.

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