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binnen küsten streifen |
Dienstag, 5. Oktober 2010 | |
von Evelyn Schalk
…es war dieses zwischengleiten, pole die keine sind oder nur in den augen einiger, im vergleich weniger, zwei städte1, die für reisende wahlweise eine abfolge oder ein gegensatzpaar bilden – oder ausschließlichkeit. für jemanden auf der flucht vor der flucht hingegen nur areale, die gefahrenzonen bergen. sie haben den krieg mitgebracht als sie hofften, ihn hinter sich zu lassen, ist man geneigt zu sagen, doch tatsächlich verhält es sich umgekehrt: man lässt sie nicht aus ihrem krieg entkommen, für den man selbst die verantwortung trägt, vermint die felder, die sie betreten, um sie nie vergessen zu lassen – als ob sie das je könnten – woher sie kommen und wohin sie niemals gehen werden, weil man sie hindert, mit allen mitteln. das hat nichts mit topographischen gegebenheiten zu tun, umso mehr mit gesellschaftsgeographien. e mio padre non c’è / è rimasto da solo a masticiare la strada / perché dice che tanto sarà guerra comunque / e dovunque si vada* […dass sie sich die kulturellen schätze von außen (sic!) kommender zwar immer höchst profitabel einverleibt haben, dabei jedoch kontinuierlich darauf beharrten, die menschen, ihre träger, im gegensatz mit glasperlen abzuspeisen – und diese scheinbar widerwillig und erzwungen herausrückten, gnade (ver)walten lassend, wobei: selbst die weiterverwendung jenes geschmeides, das in wirklichkeit nur tand ist, wollen sie sich nicht nehmen lassen. auf angebotene ware, die vorgibt zu sein was sie nicht ist, reagieren sie selbst jedoch mitunter recht heftig, wenn sie den verkäufer zu fassen bekommen, dann zählt das individuum. so rafft dieser die ausgelegten stücke bei gefahr, und wann droht die nicht, rasch im segeltuch zusammen und verschwindet in der permanenten unsichtbarkeit, inexistenz. für die produzenten besagter scheinwaren interessiert man sich weniger, an deren im dunkeln bleiben ist man interessiert. die stört auch das einheitliche straßenbild nicht, heiligtum hier wie dort, auch im austriakischen zugzielort zu dem re/tour ich unterwegs war, schlacht feld der bilder, die die strukturen bestimmen.2] er hatte keinen blick für das meer übrig, als er sich auf einen der beiden äußeren plätze der vierergruppe auf der gangseite gegenüber niederließ, viel eher schien er es überhaupt vermeiden zu wollen, die tatsächlich blaue fläche seine augen berühren zu lassen. als sich in einer kurzen bewegung beim ausziehen der jacke eine leichte seitendrehung richtung fenster doch nicht verhindern ließ, zuckte er kaum merklich zusammen und wandte den blick raschest möglich ab, fast schien es mir, als hätte er die augen kurz und reflexartig geschlossen, es konnte aber auch ein blinzeln gegen einen beinahe horizontal hereinstechenden sonnenstrahl gewesen sein. schweigend setzte er sich. ma non era così / che mi avevano detto il mare / no non era così / e poi tanto di notte / cosa vuoi mai vedere das meer, von dem ich den blick nie wenden kann, weil ich es so spät das erste mal sah, und weil es für mich eine freiheit vergegenwärtigt, die keine illusionäre ist, weil sie immer ihren preis fordert. aber eben doch vorhanden. und nicht ver/handelbar, wie es permanent der fall ist. als der zug in die biegung knapp nach der stadteinfahrt einfuhr, den Porto Vecchio umrundete, der immer noch die Guardia Costiera beherbergt, längst vergessen, und vor dem yachthafen von Barcola, deren jährliche regatta schon wochen vorher die zeitungsseiten mit klatsch über die antretenden teams und sich widersprechenden wetterprognosen füllt, gleitet der blick, meiner, der festzuhalten versucht, vorbei an Miramare, jenem schloss, dessen erbauer keinen raum haben wollte, von dem aus man nicht noch den kleinsten blick auf die see erhaschen könnte, kein fenster, das nicht diese möglichkeit bietet. das kochbuch, das ich einmal im museumsshop erstanden habe, ein unscheinbarer band, der bereits in der sechsten auflage (Da trent’anni il libro di cucina più amato dai giuliani) erscheint und laut herausgeber-information einen triestiner klassiker dieser gattung darstellt, bietet eine bilderlose seitenreise die küste und jahre entlang. die Ricette triestine, istriane e dalmate, die die blätter füllen, spiegeln wider, woraus die stadt wurde (antiche e moderne) was oder vielmehr wie sie ist, die ingredienzien der kulturen, die sie geprägt haben und die, mit österreichischer ausnahme, il mare mediterraneo verbindet und trennt. zumindest die abschottung in diese richtung braucht man dort und heute bei diversen wahlen nicht mehr zu plakatieren, dafür weiß man wässrige naturkatastrophen-metapher3 zu handhaben, damit zielsicher um sich zu schlagen. straßen und menschen, zugekleistert mit verachtung in reimen, mit schiessaufrufen per tastatur. Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich‘s grenzen. Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.** hinter der zugscheibe gleiten von oben die wellenkämme vorbei, tonlos rollen sie unter den schiffsbäuchen hindurch. kein ton, kein blick. für schiffe haben urlauber generell was übrig. auch und gerade für yachten, entsprechend den preisklassen ihrer besitzer. für boote schon weniger. hübsche hafenrundfahrten, fischerromantik, das ja, doch nicht die finger am öl schmutzig machen, das die sardine am teller erstickt hat. schiffe, die sie boote nennen und die nichtmal schinakeln sind (vom österreichischen sprach reich tum…). sie können, was wollen heißt, sie einfach nicht sehen, diese überfüllung, diese enge, und den gestank der angst. die angst die einem die kehle zuschnürt noch bevor es das wasser tut wenn es endlich die herrschaft gänzlich übernommen hat, perfekte instrumentalisierung von topographien. die herrschaft übernommen von denen, die sie über länder, boote, menschen hatten und haben und deren zäune und mauern diese routen mit ihren leichen so profitabel machen4 – weil jene, die sich auf solche wege begeben, da noch nicht ahnen, dass maschendrähte auch jenseits des wassers nicht überwunden sind. dieser glaube ans jenseits. binnenlandglaube. auf hoher see. strandgutreste irgendwann. im hier und jetzt hat die topographie doch noch bedeutung, auf welchem boden man glaubt. für leib und leben. hat die topographie doch noch eine bedeutung. wessen körper sich das wasser bemächtigt, das nur die waffe von menschen ist, die sie als naturgewalt verkaufen. den eigenen, den anderen – zur rechtfertigung ihres eigenprofitablen glaubens. an die naturgewalt von strukturen, nichts als kalkül, tabellarisch aufgelistest in sein und haben. dessen hier und dort. diese natürliche grenze festschreiben, sign and signal, ihr be_deutung geben. in den summentransfers ist sie längst inexistent. man ist so frei. menschenleben, boote und/oder schiffe, da nimmt man’s nicht so genau und noch viel genauer. erstickt wird hier wie dort, auch in flugzeugen in luftigen binnenlandhöhen. unfreiwilliges über grenzen gegangen werden. güterverschiebung. ab und zu packen. transportfragen für treibgut. in fondo al mare / canta una sirena / tutta la notte canta / e canta piano / per chi la vuol sentir sicherheit. ihm gibt diese blaue oder graue oder grüne oder was immer fläche keine sicherheit, die prospektkorrekt am fenster vorbeigleitet. eingezäunt und abgesteckt. sicherheit, die gibt ihm nichts mehr, und niemand, das schon gar nicht wie er wohl weiß. die die man den anderen, zu denen er nie gehören wird, einredet, ist um den preis der leben gekauft, seines wie es ist und vieler anderer, die die brutalität jener das ihre gekostet hat, die sie überhaupt in die situation brachten, es riskieren zu müssen, zu denen er immer gehören wird, und sie zu ihm. […die hinter einer tür, vor der zwei jahre später eine bombe explodieren kann,5 in der stadt auf dem rückweg in diese ich mich befand, ohne dass ein paar tage danach noch jene berichten würden, die sich sonst weiden an störungen öffentlicher ver/ordunungen, doch eine explosion wie diese verbuchen sie wohl eher unter versuche, diese zu festigen, im dienste solcher, die menschen als straßen bild störung enthumanisieren.6 …zu wem man gehört, topographien zählen nicht und immer. globalisierte bande der aus/geschlossenheit.] als der zug die kurve vollendete, das arrangement zu ende getanzt hatte und beinah auch das letzte bild hinter der linse der camera verschwunden war, packte er aus, was der körper zum überleben auf dauer nicht vermeiden kann, essbares. das tramezzino, in folie verschweißt, atmete mittelmeerflair. jenen der billigen supermercati im Borgo Teresiano, nicht der teil am Canal Grande – ja, immer noch Trieste – der gerade von der gentrification ins profitable kreuzfeuer genommen wird, rund um den Ponte Rosso, wo sich die caffés aneinanderreihen und sich nachts gegenüber der Chiesa di San Antonio Nuovo auf der einen Seite die haute jeunnée die klinke in die hand drückt und auf der anderen die rastazöpfe über biergläsern alternative fashionshows kommentieren. wohl eher richtung bahnhof ist eines jener no-go-areas verblieben, das die meisten besucher nur durchqueren, wenn sie unterwegs sind, weil sie entweder eins der bed and breakfast hotels gebucht haben, die versprachen, das reisekonto zu schonen und trotzdem originale zu funkeln oder sich bei den china shops auf schnäppchenjagd durchs system befinden. sicher aber wollen sie weiter, rasch weg vom grau dieser pulsierenden straßen, aus den häuserreihen in denen die abgase bis in den fünften stock stehen. verkehrsdurchflutete bänder, die touristen rasch hinter sich lassen, oder die einigen sich individuell zu nennen trachtenden areal für vermeintliche abseits-erkundungen bescheren. überfüllte no-living-areas die in den reiseportalen verrissen, oder, wie das industrieviertel hinter dem Campo Marzio, erst gar nicht erwähnt werden – und deren eingeschweißte tramezzini aus den staubwolken der täglichen fahrzeuglawinen manchmal als zugjausen jener wieder auftauchen, die nicht in sondern durch wellen, ströme, fluten kommen. wenn sie durchkommen. wellenkämme. wasser. binnenland. Zugrund – das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen wieder. ihm gegenüber saß ein mann im wurstanzug, gepresstes vertreterglück, kompakttrolley, auf den knien die city-hotel-broschüre, nochmal nachspürend den eindrücken die die sehens würdigkeiten der stadt an kurz fristigen hinterlassenschaften hergegeben haben. im zentrumsplan noch einmal mit dem fettigen zeigefinger (von den nüssen aus der snackpackung der hotelbar) die marschrouten nachfahrend, mit gelegentlichem blick übers wasser, das man zuvor nicht zeit hatte wahrzunehmen. er würde umsteigen und bis graz mitfahren, das ist seine route. der andere war nach einiger zeit irgendwo auf der strecke ausgestiegen, Monfalcone oder so, weg von der ewigen Strada Costiera, verschwunden dort, wo das meer nicht mehr hindringt. er wird es ohnehin nie vergessen. forse qualcuno domani / dimenticherà / alla porta di casa una luce / dimenticherà accesa alla notte / e accesa anche al giorno che arriva * Gianmaria Testa: da questa parte del mare. CD 2006. ** Ingeborg Bachmann: Böhmen liegt am Meer 1964 1 da Venezia a Trieste, konkurrenz, die keine mehr ist, beschlagwortet mit kunst goes tourismus, handel goes verlustnostalgie 2 straßenbildkampf, die kopie am segeltuch vorm versace (dg, prada, …) shop mitm original (sic) hinter scheibenglas auf historischer touri-meile, selber produktionsort, selbe produktionsbedingungen, selbe profiteure, und selbe preisschildabwesenheit. die verkäufer trennt die bruchsichere unsichtbarkeit des panzerglases. 3 aus menschen werden naturkatastrophen, fluten, ströme, wellen, massen. panikerzeugung mit schlag zeilen garant, einst wie heute. 4 „Menschlichkeit ist der wichtigste Eckstein modernen europäischen Grenzmanagements.“ Frontex General Report 2008, zit. nach: Le monde diplomatique, 12. 6. 2009 5 bombenexplosion vor dem flüchtlingsheim in der mitterstrasse in graz in der nacht von 11. auf 12. september 2001, keine zeile, kein wort mehr tage später, wie üblich, und ebenso wohl keine politische motivrecherche. 6 vgl. enterhaken nr. 18, sept. 10, s. 2, in: „Wir sind Heimat“ – für Rechtsextreme und Nazis? Oder: Gerhard Kurzmann, ein „kompromissloser Deutscher“. Foto: Rob, licensed under a Creative Commons Attribuzione 2.5 Italia License, www.riestedailyfoto.blogspot.com Evelyn Schalk, geboren 1981, Studium der Romanistik, Germanistik und Medienfächerkombination, journalistische, literarische, wissenschaftliche Tätigkeit, dzt. am Germanistik-Institut der Karl-Franzens-Universität Graz, Arbeit an der Dissertation, diverse Literaturkooperationen und -publikationen, Kolumnistin der perspektive – hefte für zeitgenössische literatur, Gründerin und Chefredakteurin des ausreißer – Die Wandzeitung.
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