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Wohnst du noch oder lebst du schon? |
Dienstag, 5. Oktober 2010 | |
Am 29. September 2010 ging es beim 24. Club Zukunft, einer Veranstaltungsreihe der Wirtschaftsabteilung der Stadt Graz, um Architekturqualität in Graz. Es diskutierten Prof.in Karin Wilhelm (TU Braunschweig, Geschichte der Architektur und Stadt), Univ.-Prof. Hans Gangoly (TU Graz, Institut für Gebäudelehre), Univ.-Prof. Peter Kautsch (TU Graz, Institut für Hochbau und Bauphysik), DI Bernhard Schönherr (Love Architects, Graz), DI Walther Wessiak jun. (Dipl.-Ing. Franz Robier Baugesellschaft, Graz).
Auf die Frage „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ attestiert Karin Wilhelm Graz im Vergleich mit Ostdeutschland sehr gute Lebensqualität. Es kommt aber auch immer darauf an, für wen ein Lebensgefühl produziert werden soll. In einer Stadt leben viele verschiedene soziale Gruppen, die andere Ansprüche an Lebensqualität und Architektur stellen, deshalb könne man das nicht verallgemeinern, erläutert Hans Gangoly. Ein positives Lebensgefühl wird durch Architektur und Städtebau beeinflusst. Für Walther Wessiak bedeutet Lebensgefühl, alles Lebensnotwendige in fünf Minuten erreichen zu können. Die Frage nach Schönheit bzw Ästhetik von Architektur ist an sich eine heikle und wurde von den Diskutanten auch nur vorsichtig umkreist. Die Frage nach der Schönheit und Existenzberechtigung des Elisabeth- hochhauses ließ auch im Publikum die Wogen hochgehen. Wilhelm wies auf die historische Bedeutung von Bauten, die nach 1945 enstanden, hin und deren Zugehörigkeit in die Schichtung einer Stadt wie Graz. Lange Zeit gab es dieses Verständnis nicht und so entledigte man sich gerne der Architektur der 60er und 70er Jahre in Europa. Ansprüche an Architektur verändern sich mit Gesellschaft. Der immer höher werdende Anteil an Singles in der Gesellschaft erfordert ein Umdenken bei der Planung, kleine Wohnheiten werden immer interessanter. „Neue Bedingungen der Arbeitswelt und die Globalisierung lassen Tendenzen neuer Gesellschaftsformen erkennen“, meint Wilhelm. So entstünden großfamiliäre Zusammenhänge von Jung und Alt und auch die mobile Gesellschaft, die unter der Woche an einem anderen Ort arbeitet, als dort, wo sie das Wochenende verbringt, dürfe man nicht vergessen: „Vor 30 Jahren waren die Grundrisse extrem flexibel, das ist etwas, was der heutige Wohnungsbau vermissen lässt.“ Die Grazer Gründerzeitbauten weisen zwar sehr hohe Flexibilität auf, da sie sehr groß geplant wurden, doch das große Volumen steht unverhältnismäßig wenigen Leuten, die es nutzen, gegenüber. Energie – State of the Art. Bauphysiker Peter Kautsch erklärt: „Viele denken das Passivhaus wäre das Beste. Aber inzwischen ist das Plushaus auch schon umsetzbar. Die Verwendung von Photovoltaik und Warmwasserkollektoren wird beinahe zur Selbstverständlichkeit. Der nächste Schritt wäre das Niedrigstenergiehaus.“ Dies gilt jedoch nur für Neubauten; der Versuch, ein Gründerzeithaus zu einem Niedrigst- energiehaus zu machen, wäre für das Gebäude definitiv nicht förderlich. Bernhard Schönherr ergänzt, dass es nicht immer das Beste für ein Gebäude sei, jeden Bauteil optimieren zu wollen. Es gelte stets, die Gesamtheit zu betrachten. Und Wessiak weist auf den ökologischen Aspekt hin: Bei der Dämmung dürften nur Baustoffe verwendet werden, von denen man wisse, wie man sie wieder entsorgen kann. „Das Umweltbewusstsein ist ein kulturelles Bewusstsein. Es ist an der Zeit, dass wir die Konsumgesellschaft auf den Prüfstand erheben“, pflichtet ihm Wilhelm bei. Nachhaltigkeit durch Dichte. Gangoly erachtet die Materialfrage angesichts der Nachhaltigkeitsdiskussion als der Raumordnung untergeordnet. Er prognostiziert eine Entwicklung in Richtung Kompaktheit. Eng damit verbunden ist die Problematik des Verkehrs, auf den 28 Prozent der Produktion von Treibhausgasen entfallen. In Graz geht man bekannterweise recht ängstlich an das Thema „Dichte“ heran, nicht zuletzt weil man es sofort mit Hochhäusern assoziiert – „wobei ein Bauwerk ab acht Stockwerken in Graz bereits als Hochhaus angesehen wird“, seufzt Schönherr und Gangoly fordert einen Gestaltungsrat für die Stadt, um sich von bisherigen Stadtplanungsschemata, die sich an Dichtekennzahlen klammern, loslösen zu können, und größeres Augenmerk auf die Gestaltung der Stadtgebiete, die außerhalb des Altstadtkerns liegen, zu richten. „Qualität passiert in Graz durch Zufall und nicht als strategischer, von der Stadt gesteuerter Prozess“, pflichtet ihm Schönherr bei. „Österreich ist ein offenes Land, wenn es darum geht, über Architektur zu diskutieren, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Es geht darum zuzuhören, da es leicht zu dogmatischen Haltungen von Bewahrern und Veränderern kommt“, gibt Wilhelm Hoffnung für die Zukunft. | Yvonne Bormes
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