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Der eigentliche Kampf der Stiere
Montag, 13. September 2010
Der Stierkampf polarisiert. Kein Zweifel: Nur Sadisten können beim Anblick von Bullen im Todeskampf, aufgespießten Toreros in Lebensgefahr und niedergetrampelten ZuschauerInnen Vergnügen empfinden. Auf der anderen Seite sind unter den GegnerInnen der Corrida nicht nur TierschützerInnen mit reinen Absichten, sondern auch die internationale Immobilienbranche zu finden, die sich nicht um das Wohl der Toros sorgt, sondern  deren Weidegründe für profitträchtige Projekte verwerten will. Im August sorgte Stier Quesero mit seiner enormen Sprungkraft für Aufjubeln unter Tierfreunden: Einem Steinbock gleich schnellte er über die Absperrung, „überflog“ mit Leichtigkeit in der Arena von Tafalla (Navarra) zwei Banden mit Graben und landete in den Zuschauerrängen, wo er noch mehrere Stufen hochsprang und bei seinem steilen Rundlauf über 40 Menschen hinwegtrampelte und sie schwer verletzte – darunter auch einen zehnjährigen Buben, der in die Intensivstation eingeliefert werden musste. Menschenfreunde waren schockiert, Tierfreunde sprachen von „der Rache der gequälten Bestie“.

Stierkampfverbot verfassungswidrig?
Global wird das am 28. Juli in Katalonien beschlossene Verbot des Stierkampfes begrüßt. In Spanien wird es jedoch politisiert und entzweit die Nation. Der katalonische Parlamentsbeschluss wird von rechtskonservativen Kreisen als separatistischer Alleingang und als Abspaltung von spanischen Traditionen interpretiert, während die Linke Folklore und nationale Eigenheiten (auch harmlos-unblutige) verachtet, nichts von einer spanischen Einheit hält und am liebsten alle Autonomien aus dem Joch des altväterlichen Zusammenhalts befreien möchte – Stierkampf als parteipolitisches Mittel.
Den Beschluss schreiben sich die Tierschutzorganisationen als Errungenschaft zu, doch reine Tierliebe hat die katalonische Autonomie sicher nicht dazu bewogen. Tatsächlich ist sie die wirtschaftlich stärkste Region des Landes und die Grundstücksentwicklung soll weiter in die industrialisierende Richtung gehen. Naturweiden sind da eher ein Dorn im Auge.
Bereits am 29. Juli, also einen Tag später, kündigten jedoch die Taurinos (Anhänger der „Volkskunst Tauromaquia“) und ihre politischen Alliierten (Nationalisten, Naturschützer und Traditionalisten) das Vorhaben an, diesen Beschluss rückgängig zu machen. Katalonien habe verfassungswidrig gehandelt, es dürfe gar keine Corridas abschaffen, es dürfe sie nur regulieren. Und man würde sich vor dem Verfassungsgerichtshof auf den Paragraphen des „Kulturgutes“ berufen und die Tauromaquia dazu erheben. Eine blutrünstige Metzelei als Kulturgut? Das scheidet die Geister ... viel mehr, als wenn man sich auf den Arten- und Landschaftsschutz oder gesamtökologische Faktoren beruft und nach alternativen Lösungen sucht.

Artgerechte Haltung ist teuer.
Tatsächlich ist Tauromaquia nicht nur die „Kunst“ des Stierkampfes. Viel weitläufiger geht es dabei um alles, was die spanische Wildkuh und den Wildstier betrifft. Von der Haltung als freies, wahrhaft wildes Tier über die Zucht bis zu einer Lebensphilosophie aller Taurinos, in der Natur und Ehre hochgeschrieben sind. „Ehre“ in diesem Kontext treibt Tierliebenden den Schweiß auf die Stirn.
Die Stierzucht ist ein Metier für sich. Entgegen der gängigen Meinung, die Züchter würden das große Geschäft machen, indem sie ihre Tiere ans Schwert liefern, profitieren jedoch vor allem die Veranstalter, die sämtliche Preise dumpen. Die Zucht im Sinne der Tauromaquia ist dagegen kostspielige Liebhaberei: Nur wer einmal eine wilde Herde der stolzen Tiere auf unberührter Weide galoppieren gesehen hat, weiß, warum es sich lohnt. Unter Einbezug der Grundsteuern und Personalkosten müssen durchschnittlich 4.000 bis 5.000 € aufgewendet werden, um einen vierjährigen Toro großzuziehen. Spitzenzüchter geben erst 5- bis 6-jährige Stiere ab. Die EU-Förderung von jährlich 230 € pro säugender Wildkuh trägt somit nicht wirklich zur Artenvielfalt bei. Geschweige denn zum Stierkampf, denn dafür werden nur wenige Exemplare aus der Herde geopfert. Eduardo Miura, ein Veteran auf dem Gebiet der Zucht spanischer Spitzenstiere, dazu: „Dieses Geschäft ist keine Investition, sondern Privatangelegenheit oder Familientradition. Von den 700 Tieren, die ich züchten kann, gebe ich knapp 30 für den Stierkampf ab.“ Je nach Kategorie der Corrida bekommt ein Züchter für einen Stier zwischen 18.000 und 90.000 €. Aber für 9.000 € gibt es auch rasselose und schlecht gehaltene Stiere. „In den 90ern sind viele Amateure in die Zucht eingestiegen, die nicht mehr nach traditionellen Kriterien der Tauromaquia züchten, sondern Pellets füttern und zu kleine Flächen haben. Unter solchen Bedingungen wachsen keine 700 Kilo schweren Krafttiere mehr heran, die haben weder Feuer noch Temperament“, so Miura, dessen Familie seit 1849 Traditionsrassen züchtet.

„Echte Stiere“.
Der spanische Toro ist ein direkter Nachfolger des Urs, des Wildrinds. In Altamira malte man noch Bisons und Toros zusammen. Wie es den Bisons erging, ist bekannt. Der Toro ist ein Wildstier, der nicht in Gefangenschaft und auch nicht außerhalb einer Herde leben kann. Ein aktiver Muskelprotz, der lebendig über die Weide saust, ebenso lebendigen Wildkühen nachstellt und mit seinen Konkurrenten kämpft. Kein Vergleich mit den trübsinnigen, kastrierten Ochsen oder eierstockentledigten Kühen auf unseren Almen, die regelmäßig zusätzlich noch ein amtlich verordnetes Hormon- und Antibiotikacocktail verpasst bekommen; sechs Monate im Stall angekettet bleiben müssen und ihre Kälber nicht säugen dürfen, weil Pulvermilch billiger ist als die eigene. Die Toros sind energiegeladene Aktivkapseln, die nur existieren können, solange es unberührte, saftige Kräuterwiesen gibt, die die nötigen Nährstoffe liefern. Ist die Weide abgegrast, was je nach Größe alle 2-5 Jahre passiert, muss berittenes Personal die Herde zu einem anderen Grundstücksabschnitt treiben. Zugefüttert wird nur im Winter, und zwar Getreide, Bohnen, Gerste und Mais, ein vollwertig-natürlicher Energiecocktail. Die Fütterung findet meist an Trögen statt, die vor einer Mauer stehen. Von hinten wird durch eine Luke das Futter eingefüllt – der Stier darf nämlich nicht in Kontakt mit Zweibeinern geraten, sonst würde er auch die Silhouette des Toreros kennen lernen und sich nicht mehr vom roten Tuch irreführen lassen, sondern direkt zustechen. Toreroanwärter üben deshalb immer nur mit staffierten Schubkarren und später mit Kälbern, die von den Schulen nur für diese Zwecke gehalten werden, aber schnell zu zahmen Hündchen mutieren. In der Vergangenheit war es deswegen fast eine zwingende Mutprobe, in der Nacht einer Herde aufzulauern und die Lidia, die Tuchführung des Toro, im Mondschein auf der Wiese zu üben. Ein „toro lidiado“, ein tucherfahrener Stier, konnte zur Todesmaschine werden. Das Personal zog daraus drastische Konsequenzen und nicht selten wurden die jungen Männer nicht vom Stier aufgespießt, sondern von den Bewachern der Herde erschossen.
 
Der Golfplatz ist der Feind des Toros.
Toros grasen auf unberührten Weiden unter naturbelassenen Bäumen. Den einzigen Dünger erzeugen sie selbst. Zehntausende von Hektar unberührter Landschaft beheimaten nicht nur die stolzen Stiere, sondern Insekten, Vögel und Kleintiere aller Art, die im Rest Spaniens teils ausgestorben sind. Coto de Doñana, das größte Vogelreservat Andalusiens, wurde von der Mine von Aznalcollar kontaminiert, Teile des Feuchtgebietes konnten noch immer nicht gesäubert werden. Viele Naturwälder lagen in einer für Immobilienspekulanten  interessanten Gegend. Dann kam ein alles vernichtender Flächenbrand und prompt wurde die ersehnte Baugenehmigung erteilt ... es muss ein Zigarettenstummel gewesen sein. Es gibt nicht mehr viele naturbelassene Areale in Spanien und trotz Immobilienkrise rechnen vor allem internationale Bauunternehmen nach wie vor mit saftigen Einkünften aus osteuropäischen Schwarzgeldinvestitionen. Internationale Immobilienhaie lauern und obwohl schon jetzt 60% der neuen Siedlungsbauten  komplett leer stehen, lauern sie weiter. Man setzt auf reiche, dumme Touristen. Das sind für gewöhnlich jene, die sich damit zufrieden geben, Golfplätze der Welt miteinander zu vergleichen. Und Golfplätze sind die ärgsten Feinde der Toros.
Fast 1 Million Touristen besuchen Spanien und seine über 400 Golfplätze, Tendenz steigend. Massenhaft werden Weiden gefällt, Erdreich abgetragen, gefiltert und woanders wieder aufgeschüttet, um die charakteristischen sanften Hügelchen zu formen. Dann werden hektarweise feinste Gräschen angepflanzt, die regelmäßig so kurz gemäht werden, dass Insekten verlässlich pulverisiert werden. Was trotzdem noch kreucht und fleucht, wird dann endgültig mit Unkrautvertilgungsmittel weggespritzt. Damit alles grün bleibt, muss ordentlich Wasser ins sterile Nichts gesprüht werden. Ein Golfplatz verbraucht im Jahr so viel Wasser wie eine Ortschaft mit 12.000 EinwohnerInnen.

Ohne Stierkampf keine Stiere?
Trauriges Fazit für Spaniens Stiere ist, dass ihr natürliches Weiterbestehen in jedem Fall schon jetzt gefährdet ist. Die Stierkampfpolemik scheint dies eher zu vertuschen, als dass sie auf das eigentliche Problem hinweist. Die Regierung steckt in der Krise und hat für Natur- und Artenschutz kein Geld. Die Gemeinden versuchen ihre Schulden zu bewältigen, indem sie ihre letzten Bodenanteile an internationale Baukonzerne verkaufen. Das Fleisch einer Wildkuh oder eines -bullen ist für den Normalkonsumenten zu zäh und viel zu teuer. Da es größtenteils aus harter Muskelfaser besteht, können nur einzelne Teile, wie Innereien oder der so genannte Ochsenschwanz verwertet werden. Die Haltung ist teuer und die Züchter verkaufen nach und nach ihre Grundstücke.
Die Vereinten Nationen fördern über die UNESCO die Kulturdiversität. Für Artenvielfalt ist es dagegen schwer Unterstützungen zu bekommen und einstweilen gibt es gerade noch so viele Stiere, dass man noch nicht von einer aussterbenden Art sprechen kann. Möglicherweise halten deswegen einige Kreise so emsig daran fest, die Tauromaquia, die auch die Stierzucht impliziert, als Kulturgut zu deklarieren.
Südspanische Züchter haben sich als neuen Wirtschaftszweig „Stiersafari“ ausgedacht. Tatsächlich sind alte Stierrassen mit ihrer Kraft und Bulligkeit derart imposant und respekteinflößend, dass auch nur ein Vorbeifahren im Jeep ein Erlebnis ist. Doch die Dumpingunternehmen schrecken nicht zurück, einfach große Kühe auf die Wiese zu stellen und diskreditieren damit eine gute Idee.
In Frankreich gibt es auch einen Stierkampf ohne Blut und Quälerei. „Kampf“ ist fast missverständlich, es geht eher um ein Austricksen des Stiers, um ihm die Quasten zu entwenden, die an seinen Hörnern angebunden sind. Doch auch der Cours à la Cocarde oder Cours libre wird von TierschützerInnen kritisiert – „unnötige Exhibition und Neckerei von Tieren“.
| Karina Liebe-Kreutzner
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