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„Wir müssen dieses Schulsystem ändern, um den Anforderungen gerecht
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Jugend
Freitag, 28. April 2006
Image 2003 beauftragte das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur eine neu eingerichtete „Zukunftskommission" unter dem Vorsitz des Salzburger Bildungsforschers und Leiters des österreichischen PISA-Zentrums, Univ.-Prof. DDr. Günter Haider, mit der Ausarbeitung eines Reformprogrammes für das österreichische Schulwesen. Vor genau einem Jahr, im April 2005, stellte die Kommission ihre Arbeit fertig.

Das Reformmodell wurde zwar von Regierung, Opposition und Sozialpartnern gelobt (Kritik kam bloß von der Gewerkschaft der AHS-Lehrer) – nur: Die Umsetzung lässt bis heute auf sich warten.
Mit Günter Haider sprach Christian Stenner für das KORSO SozialFORUM über die Eckpunkte der Reformvorschläge und die Möglichkeiten, die Reformblockade aufzulösen.

Ich darf Sie bitten, für unsere LeserInnen noch einmal die Vorschläge der Zukunftskommission zusammenzufassen …
Das wesentliche Reformziel ist die Verbesserung des Unterrichts – das größte Potenzial liegt in der Verbesserung aller Rahmenbedingungen, die den Unterricht bestimmen. Daraus leiten wir vier Reformprinzipien ab. Das erste ist die Einführung eines systematischen Qualitätsmanagements auf allen drei Ebenen – auf der Ebene der individuellen Lehrperson in Form von Lernzielorientierung und Selbstevaluation; auf der Ebene der Schule z.B. in Form von Schulprogrammen und Schulqualitätsberichten und auf der Ebene der Schulpolitik in Form eines Bildungsplanes und eines nationalen Bildungsberichtes. Das zweite Reformprinzip besteht darin, LehrerInnen und Schulen mehr zuzutrauen und ihnen mehr Handlungsspielräume bei transparenter Leistung und Rechenschaftspflicht zu gewähren. Nur so können aus Schulen lernende Organisationen werden.
Das dritte Prinzip betrifft die Professionalisierung der LehrerInnen, auch über eine kriterienbezogene Auswahl geeigneter Personen, z.B. durch frühe und verstärkte Konfrontation mit der Praxis. Die Ausbildung muss sich stärker an den Anforderungen der Praxis orientieren, das bedeutet, nicht vorrangig nur Fachwissen zu vermitteln, denn: zwei Drittel der Probleme, mit denen LehrerInnen konfrontiert sind, sind pädagogische und nicht fachliche. Und schließlich brauchen wir auch eine faire Lehrerkarriere mit politikunabhängigen Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten – kein Bezirksschulinspektor gelangt heute in diese Funktion, ohne sich nicht zuvor bei einem der parteipolitischen Lehrervereine engagiert zu haben – und einer leistungsgerechten Bezahlung; das bedeutet vor allem höhere Einstiegsgehälter.
Das vierte Prinzip besteht in der Forcierung von Forschung und Entwicklung und im Aufbau besserer Unterstützungssysteme für die Schulen, wobei die Schulaufsicht vom unterstützenden Bereich zu trennen ist. In einigen Ländern hat diese Trennung im Verein mit dem Aufbau einer gut funktionierenden inneren Schulevaluierung so gut funktioniert, dass sie die Schulaufsicht abschaffen konnten, weil die innere Evaluierung ausreichend war. Aus diesen vier Prinzipien leiten wir 33 definierte Maßnahmen ab.

In der ideologisch befrachteten Frage der Gesamtschule nimmt die Zukunftskommission keine eindeutige Haltung ein, obwohl etwa finnische Schulpolitiker betonen, dass die gemeinsame Schule ein wichtiger Faktor des guten Abschneidens finnischer SchülerInnen bei der PISA-Studie sei.
Wir sehen das als Wissenschafter differenzierter: Es gibt gewachsene Schulsysteme, wir müssen mit LehrerInnen arbeiten, die durch dieses Schulsystem gegangen sind – auch die Finnen haben betont, dass man einen Umbau mit langfristiger Perspektive angehen muss … Man soll vor allem nicht vergessen, dass die Reform, wenn sie Sinn machen soll, sich an den Anforderungen orientieren muss, die 2020, 2030 an SchulabgängerInnen gestellt werden. Der Ausgangspunkt wird dabei eine noch stärkere Individualisierung des Unterrichts sein, nach dem Motto: Jedem Schüler das Seine. Wenn man das berücksichtigt, ergibt sich von selbst eine moderne Schule, die weder etwas mit dem herkömmlichen Gesamtschul- noch mit dem gegliederten Modell zu tun hat; die sich nicht darauf konzentriert, SchülerInnen einzuteilen, sondern ihnen jenen Unterricht zu bieten, den sie individuell brauchen. Auch die Finnen wollen übrigens ihr Schulsystem in diese Richtung umbauen – bei dieser Form der Individualisierung werden die neuen Medien eine entscheidende Rolle spielen.

Auch die sozialen Gegebenheiten, auf die Schule Rücksicht nehmen muss, werden 2030 anders sein als heute …
Ja, wir haben ja schon heute die Diskrepanz, dass das jetzige Schulsystem seine Ursprünge in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat und mit vielen der heutigen Bedingungen nicht fertig wird – z.B. mit der Tatsache, dass es im urbanen Bereich nur mehr 40% Kernfamilien, aber bereits 30% AlleinerzieherInnen gibt. Darauf muss die Pädagogik ebenso Antworten geben wie auf sprachliche Probleme, die durch Migration entstehen, oder auf Gewalt in der Schule. Die Zukunftskommission ist der Ansicht, dass in verstärkter Schulautonomie und flexibleren Bedingungen ein Teil der Lösung dieser Probleme liegt – z.B. auch in der Anpassung der Unterrichtszeiten an die lokalen Gegebenheiten. Eine Schule in Hermagor wird anders funktionieren als eine in einem Wiener Innenstadtbezirk. Um das auszuprobieren, müssen vermehrt gut begleitete und evaluierte Schulversuche gestartet und neue Schulmodelle erprobt werden, aber nicht im Sinne vereinzelter Initiativen wie bisher – da muss das ganze Kollegium motiviert werden und an einem Strang ziehen. Best-Practice-Modelle werden eine wichtige Rolle spielen.

Sie wirken noch immer sehr optimistisch, obwohl bis heute nur ganz wenige von den Reformvorschlägen überhaupt angegangen wurden und Sie selbst kritisiert haben, dass das Wenige, was von Bundesministerin Gehrer in Angriff genommen wurde, teilweise den Intentionen der Kommission widerspricht.
Ich bin Optimist, weil uns keine andere Wahl bleibt; wir müssen dieses Schulsystem auf Gedeih und Verderb ändern, um den Anforderungen gerecht zu werden, die auf die nächsten Generationen zukommen. Darum gibt es ja auch so breite Zustimmung für das Reformmodell aus allen Parteien und den Sozialpartnern. Meine Kritik an der jetzt eingeschlagenen Vorgangsweise geht auch dahin, dass eine Reform so angegangen werden muss, dass sie erkennbar ist, dass LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern genau wissen, woran sie sind – das war bis jetzt nicht der Fall.

Den Abschlussbericht der Zukunftskommission finden Sie unter
http://www.bmbwk.gv.at/medienpool/12421/zk_endbericht_neu.pdf


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