Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Franz Voves: „Habe mich bemüht, die Steiermark offener zu machen“
Montag, 13. September 2010
Für die letzte Folge unserer Spitzenkandidaten-Interviews traf KORSO-Herausgeber Christian Stenner Landeshauptmann Franz Voves. Herr Landeshauptmann, wenn man Ihre Bilanz der vergangenen fünf Jahre ansieht, fällt sie durchwachsen aus. Auf der Habenseite können Sie jedenfalls auf eine Reihe von Maßnahmen vor allem im Sozial- und Bildungsbereich verweisen – wie die Ausweitung der Wohnbeihilfe, die Abschaffung des Regresses bei der Sozialhilfe, die Einführung des Gratiskindergartens – der jetzt allerdings wieder von Ihnen in Frage gestellt wird –, die Umsetzung der Neuen Mittelschule …
Wir haben das Thema der sozialen Gerechtigkeit so gelebt, dass es für die Menschen spürbar geworden ist. Wir haben aber gleichzeitig auf die wirtschaftliche Stärke der Steiermark geschaut. Wir haben so viel Infrastruktur-Milliarden ins Land gebracht wie noch nie seit 30, 40 Jahren. Jetzt wird zum Beispiel Wirklichkeit, dass die Steiermark via Semmeringtunnel an ein transeuropäisches Eisenbahnnetz von Danzig nach Triest angebunden wird. Das wird einen großen Anreiz für Betriebsansiedelungen nicht nur im Ballungsraum Graz, sondern auch in der Weststeiermark darstellen. Aus dem Konkunkturpaket II der Bundesregierung sind von 700 Mio ca. 300 in die Steiermark gegangen. Ohne dieses Geld wären etwa die Bahnhofsausbauten und damit der Start der S-Bahn gar nicht möglich gewesen.

Für diese Vorhaben ist aber Landesrätin Edlinger-Ploder von der VP verantwortlich.
Ja, aber wer hat diese Millionen ins Land gebracht? Und wer hat das S-Bahn-Projekt über den seinerzeit belächelten Powerplan überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt? Das war die steirische SPÖ. Kollegin Edlinger-Ploder tut ihren Job, sie setzt diese Ziele, die wir ins Arbeitsübereinkommen mit der ÖVP eingebracht haben, entsprechend um und wird dabei von uns positiv begleitet.
Wir haben in der Wissenschaft gepunktet und von den drei größten Forschungszentren Österreichs zwei in die Steiermark geholt, MOBILITY in graz und MATERIAL in Leoben. Im Bildungsbereich sind wir bei der Neuen Mittelschule Vorreiter und gehen damit den richtigen Weg; es ist doch sinnlos, wenn Eltern und Kinder schon mit 10 Jahren entscheiden müssen, wo es hingeht. Eine intensive und individuelle pädagogische Betreuung zwischen 10 und 14 eröffnet allen Kindern bessere Chancen …

Sie plakatieren zwar „weiter so“, aber eine Reihe von Maßnahmen, die in den letzten fünf Jahren verwirklicht wurden, wird laut Ihren eigenen Aussagen aus Budgetgründen nicht mehr in der bisherigen Form aufrechtzuerhalten sein – etwa der schon erwähnte Gratiskindergarten; die Wiedereinführung des Regresses im Pflegebereich haben Sie auch schon angesprochen.
Zuerst muss man abwarten, wie im Bund die Entscheidung auf der Einnahmenseite aussehen wird, weil wir natürlich davon abhängig sind, wie der Finanzausgleich ausfällt. Dann werden wir sehen, wie groß der Fehlbetrag ist, den wir mit Sparmaßnahmen kompensieren müssen – aber mit sinnvollen, nicht bei den sozial Schwächsten und auch nicht in den zukunftsorientierten Bereichen.

Auf den Bund zu warten kann aber riskant werden: Schließlich will die Bundesregierung den Budgetentwurf erst am 9. Dezember in den Nationalrat einbringen.
Wir waren natürlich nicht untätig: Im Zuge des Projektes ,Aufgabenkritik‘ wurden von den leitenden Beamten jeweils fünf bis sieben Einsparungsprioritäten definiert und gleichzeitig deren Auswirkung auf die BürgerInnen dargestellt – unter Einschluss der Pflichtausgaben. Die neue Landesregierung wird sich in ihren politischen Entscheidungen auf diese Fakten stützen können. 300 bis 500 Mio an Einsparungen sind meiner Schätzung nach nötig. Deshalb müssen wir uns auch überlegen, ob Transferleistungen nicht sozial gestaffelt werden sollten, ob dabei das Einkommen der Familien nicht stärker berücksichtigt werden sollte, als das vielleicht bisher in wirtschaftlich hervorragenden Zeiten nötig war.

Also doch das Ende des Gratiskindergartens für alle.
Ich will nur eines zur Diskussion stellen: Benötigt der Bankdirektor mit seinem Einkommen den Gratiskindergarten ebenso wie die allein erziehende Billa-Verkäuferin?

Keine Frage, aber wäre es nicht sinnvoller, sich das Geld vom Bankdirektor über eine erhöhte Besteuerung seiner Boni zurückzuholen, als die Transferleistungen auf die Ärmsten zu beschränken und sie damit zu Opfern einer Neiddebatte à la Transparenzdatenbank-Diskussion zu machen?
Genau das ist es ja, was ich seit eineinhalb Jahren vorschlage: Bitten wir jetzt doch jene zur Kasse, denen wir die aktuelle Wirtschaftskrise zu verdanken haben, die Milliarden an Volksvermögen vernichtet und Millionen von Menschen arbeitslos gemacht haben. Und schauen wir einmal, wie wenig gerecht zum Beispiel unser Steuersystem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist. Auch die OECD hat kürzlich festgestellt, dass der Faktor Arbeit – ob jene der Selbstständigen oder der Nicht-Selbstständigen – zu stark belastet ist, während der Faktor Gewinn zu gering besteuert ist, weil über 20, 30 Jahre die Lobbys der Wirtschaftsmächte bei der Politik immer wieder Steuererleichterungen für die großen Kapitalgesellschaften erreicht haben – ich nenne jetzt nur die Gruppenbesteuerung und die Stiftungsbesteuerung.
In ganz Europa müssten die Regierungen zu einem von der Mehrheit in der Gesellschaft getragenen, gescheiten Mix von einnahmen- und ausgabenseitigen Maßnahmen kommen. Das schließt für mich eine Erhöhung von Massensteuern wie der Umsatzsteuer oder der Mineralölsteuer aus, weil das bedeuten würde, dass wir noch einmal jene zur Kasse bitten, die ohnehin von der Krise am schwersten betroffen sind. Durch ein faires Steuersystem würden sich Kürzungen auf der Ausgabenseite – jedenfalls bei den sozial Schwachen – erübrigen.

Aber die Chancen dafür stehen schlecht. Die ÖVP-Spitze will ja nicht einmal völlig leistungsfreie Einkommen aus Erbschaften und Schenkungen auch nur minimal besteuern, geschweige denn die Steuerprivilegien der Stiftungen oder der internationalen Konzerne – die Gruppenbesteuerung – angreifen.
Die entscheidende Frage in Österreich und ganz Europa lautet, welcher Kompromiss jetzt für die Sozialdemokratie  im Interesse ihrer Wählerschaft noch möglich ist. Der Bundeskanzler und unser Bundesregierungsteam stehen jetzt vor einer unglaublich großen Aufgabe, bei der es um die Glaubwürdigkeit der SPÖ geht. Die würde sehr darunter leiden, wenn wir jetzt nicht klar Flagge zeigen und dass wir auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Leistungswilligen stehen. In Deutschland hat z.B. eine CDU-CSU-geführte Regierung die Erbschafts- und Schenkungssteuer wieder eingeführt. Wir haben ja auch klargestellt, dass es einen Freibetrag von 500.000 Euro geben soll, wir wollen weder den Mittelstand noch den klassischen Häuslbauer belasten. Es geht darum, dass 10% der Österreicher 60 bis 70% des Finanzvermögens und der Immobilien besitzen, das spiegelt die Schere wider, die in den letzten 20, 30 Jahre bei den Einkommen aufgegangen ist – die wollen wir jetzt stärker zur Kasse bitten. Unter ihnen sind ja auch jene, die sich am stärksten an der Spekulation an den Kapitalmärkten beteiligt haben. Da geht’s nicht um Ideologie, sondern schlicht um das Thema Gerechtigkeit – und diese Gerechtigkeit erwarten nicht nur sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler, sondern auch christlich-soziale.

Hermann Schützenhöfer hat vor einigen Wochen im Gespräch mit KORSO betont, er setze wieder auf die Zusammenarbeit mit der SPÖ, weil nur die beiden Großen gemeinsam die Sparmaßnahmen beschließen könnten, die jetzt nötig würden.
Im Kern hat er natürlich Recht, die großen Probleme der Wirtschaftskrise verlangen eine Zusammenarbeit der beiden großen politischen Kräfte. Die Frage ist, wie glaubwürdig er selbst diesen Anspruch vertreten kann, nachdem sein Credo der letzten fünf Jahre eher war, aus parteipolitischen Gründen den Streit in den Mittelpunkt zu stellen und dem Landeshauptmann nur ja keinen Erfolg zu gönnen.

Schützenhöfer hat auch eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht ausgeschlossen – Sie auch nicht. Das heißt, Sie können sich eine Zusammenarbeit mit Herrn Kurzmann vorstellen, der immerhin Mitglied einer Vereinigung von Waffen-SS-Nostalgikern ist.
Das Problem liegt darin, dass die ÖVP zwar ein Arbeitsübereinkommen mit uns unterschrieben hat, das eine Abschaffung des Proporzes in der Landesregierung und die freie Koalitionsbildung vorsieht, dann aber aus diesem Übereinkommen wieder ausgestiegen ist. Wenn wir das beschlossen hätten, würde sich die Frage anders stellen. Wenn die FPÖ das für einen Regierungssitz nötige Wahlergebnis erreichen sollte und es in der Landesregierung 4-4-1 steht, dann ist es natürlich nötig, miteinander zu sprechen. Aber auch für den Fall, dass es Übereinstimmungen gibt, münden diese nicht in eine Koalition, sondern nur in ein Arbeitsübereinkommen. Wir werden sicher in Fragen der Integrationspolitik keine Kompromisse mit der FPÖ eingehen – wenn es aber in sozialpolitischen Fragen eine Übereinstimmung gibt, warum sollte man da nicht gemeinsam Dinge beschließen, die für einen großen Teil der SteirerInnen wichtig sind? Noch einmal: Es geht um keine Koalition.

Aber um die Wahl des Landeshauptmannes.
Warum sollte ich mich nicht von der FPÖ wählen lassen, wenn wir in bestimmten Fragen übereinkommen, die auch den Intentionen der SPÖ entsprechen? Ich muss gegenüber allen Parteien gsprächsbereit sein, die durch eine Wahl demokratisch legitimiert sind.

Zurück zur Budget-Frage: Nicht nur das Land hat Probleme – die Hälfte der Gemeinden wird in den nächsten Jahren nicht mehr ausgeglichen bilanzieren können. Es wird schwierig werden, unter solchen Umständen Politik zu machen.
Darum steht für mich das Thema Regionext für die nächsten fünf Jahre ganz oben auf der Tagesordnung. Wir müssen von Landesseite den Gemeinden noch viel klarer machen, dass sie unbedingt kooperieren müssen, wenn es für ihre Projekte Landesförderungen geben soll. Und wir müssen in der Folge auch über interkommunalen Finanzausgleich sprechen: Die Gemeinden sollen gemeinsam investieren, aber auch nach einem gemeinsam vereinbarten Schlüssel an den Kommunalsteuereinnahmen partizipieren.
Die regionale Zusamenarbeit hat aber noch einen weiteren Aspekt: Wir haben ja die sieben Großregionen der Steiermark gegründet, und warum sollte ein entsprechend von 56 auf 38 Abgeordnete verkleinerter Landtag sich nicht nur aus diesen sieben Regionen ableiten? Damit würde auch das Argument wegfallen, dass eine Verkleinerung des Landtags automatisch eine Reduktion der regionalen Vertretung nach sich zieht. Natürlich müsste der Clubstatus der kleinen Parteien gewährleistet bleiben, damit sie ihrer Oppositionsrolle nachkommen können. Und ein Teil der Verwaltung müsste von Graz in die Regionen wandern und dort vor Ort die Funktion von echten Bügerservicestellen erfüllen. Nicht nur die Nationalratspräsidentin hat sich diesen Vorstellungen gegenüber offen gezeigt, auch ausgewiesene Verwaltungsexperten haben sich schon positiv zu diesen Vorschlägen geäußert.

Laut letzten Umfragen liegen Sie bei der Landeshauptmann-Frage deutlich vor Ihrem Herausforderer, aber SPÖ und ÖVP liefern sich dennoch ein Kopf-an-Kopf-Rennen – und zudem  sind 25% der WählerInnen unentschieden. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Das heißt, dass die letzten Wochen entscheidend sein werden; wir versuchen zum einen alle unsere WählerInnen, die bei der Gemeinderatswahl nicht zu den Urnen gegangen sind, zur Wahl zu motivieren. Darum bin ich auch heute wieder in der Obersteiermark unterwegs; ich habe den Eindruck, dass die Menschen meinen Einsatz für mehr Verteilungsgerechtigkeit positiv bewerten. Zum anderen hoffe ich natürlich, dass die Gesprächsbereitschaft, die ich in den vergangenen fünf Jahren gegenüber allen gesellschaftlichen und politischen Gruppen gezeigt habe, jetzt auch Früchte trägt. Nicht zuletzt deswegen, weil ich mich sehr bemüht habe, die Steiermark offener zu machen und nicht zum Eigentum einer Partei. Umgekehrt suggeriert ja der Slogan „Zurück zur Steiermark“, den die ÖVP plakatiert, die Steiermark sei nur dann sie selbst, wenn sie von der ÖVP geführt wird – das ist doch eine himmelschreiend arrogante Haltung, die Vereinnahmung eines ganzen Landes durch eine politische Partei.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >