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Steirische Landtagswahl: Rückkehr zur Normalität
Dienstag, 5. Oktober 2010
Der Grazer Soziologe Univ.-Prof. Christian Fleck hält das Wahlergebnis für wenig überraschend und rät der SPÖ, in der „Ausländerfrage“ nicht alles zu glauben, „was die Leute so erzählen“. Die Landtagswahl ist geschlagen; bekanntlich hat es nur Sieger gegeben. Mit einer Ausnahme: Der grüne Spitzenkandidat Werner Kogler bekannte öffentlich ein, sein persönliches Wahlziel – nämlich in die Landesregierung einzuziehen – nicht erreicht zu haben. Neben Franz Voves, dessen SPÖ immerhin stimmenstärkste Partei wurde, sah sich auch Hermann Schützenhöfer in der Position des Zweiten als Wahlgewinner, weil die ÖVP gegenüber 2005 weniger verloren hatte als die SPÖ, für Gerhard Kurzmann reichte der Wiedereinzug in die Landesregierung (mit deutlich weniger Stimmen als 2000) als Siegesbeweis. Claudia Klimt-Weithaler erklärte nach der Auszählung den Wiedereinzug der KPÖ in den Landtag als eigentliches Wahlziel und BZÖ-Grosz die Verdoppelung der Stimmen von 2005, die allerdings mangels Grundmandat nicht für den Wechsel in den Landtag reichte.

SPÖ: Noch immer besser als zu Schachners Zeiten.
Abseits der Selbstinterpretationen der politischen Akteure sprach KORSO mit dem Grazer Soziologen Univ.-Prof. Christian Fleck anhand der SORA-Wahltagsbefragung und Wählerstromanalyse über seine Sicht der Ergebnisse. „Sie bergen eigentlich wenig Überraschungen“, meint Fleck. Eher habe sich die Situation nach 2005 wieder der steirischen Normalität angenähert, auf keinen Fall sei ein Erdrutsch in irgendeine Richtung zu konstatieren. So seien die Verluste der Sozialdemokratie nur im Vergleich zu 2005 wirklich relevant – „abgesehen davon steht die SPÖ zumindest prozentuell noch immer deutlich besser da als zu Schachners Zeiten“. Die Verluste der SPÖ, aber auch der KPÖ in der Obersteiermark seien auch zu einem Teil mit der Abwanderung traditioneller Arbeiterschichten zu erklären. Und jene der ÖVP in Graz, die hier in ihren Bastionen am linken Murufer starke Einbußen erlitten hat? Hat die Wahlkampagne – von „Handschlagqualität“ bis „Zurück zur Steiermark“ zu wenig urbane Botschaften ausgesandt und war einfach zu „retro“ für ein städtisches Publikum? „Ja, die Zielgruppe hat damit sicher wenig anfangen können.“
Die Gewinne der FPÖ seien schließlich nach ihrem Einbruch 2005 „keineswegs überragend und halten sich eigentlich in Grenzen.“
 
Die Geschenke bleiben aus.
Ein relevanteres Phänomen sieht Fleck im Anstieg des NichtwählerInnenanteils. Dafür hat er eine Erklärung parat, die tiefer greift als die übliche Suada vom sinkenden politischen Interesse. „Die Landespolitik hat keine besonderen Befugnisse außer der Verteilung finanzieller Mittel; aber genau dieser Aufgabe kann sie nicht mehr wirklich nachkommen.“ Was Josef Krainer I. noch möglich war – seine WählerInnen in den Gemeinden mit dem Bau von Schulen und Straßen zufriedenzustellen – steht der heutigen Landespolitik nur in viel eingeschränkterem Ausmaß offen. „Die Parteibindung war immer auch eine klientelistische, und wenn die Geschenke ausbleiben, muss der Wähler sich auch nicht mehr dankbar zeigen.“

Das „Ausländerthema“ war wenig wahlrelevant.
Eine andere Motivation, zur Wahl zu gehen, sei natürlich auch der Protest gegen die herrschende Politik – aber auch der hielt sich in Grenzen. Dass das „Integrationsthema“ nun ganz oben auf der To-do-list der Politik zu stehen kommt, hält Fleck für eine Überbewertung. In der Tat nimmt das Thema „Zuwanderung“ in der SORA-Wahltagsbefragung erst die neunte  Stelle ein, weit hinter der Gesundheits- oder der Bildungspolitik.
Wie kommt es dann, dass vor allem SPÖ-Funktionäre immer wieder davon berichten, dass sie auf ihren Erkundungsgängen „in den Siedlungen“ fast nur mit diesem Thema konfrontiert seien? Dafür hat Fleck eine plausible Erklärung parat: „Die Leute haben Meinungen, und sie können sie auch mit Geschichten untermauern.“ Das Problem sei – und das kann er aus der Feldforschung mit einer Reihe von Beispielen untermauern – dass diese allzu oft einfach nicht stimmten. „Bei einem Forschungsprojekt zu Sozialschmarotzern haben wir im Gemeindebau genau diese Erfahrung gemacht: Viele wussten eine Geschichte über irgendeine Person zu erzählen, die es sich auf Kosten der Allgemeinheit gut gehen ließ, manche wussten sie auch namentlich zu nennen. Wenn wir der Sache nachgingen, stellte sich allerdings in den meisten Fällen heraus, dass davon nichts oder höchstens ein kleiner Teil wahr war. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten ,Ausländergeschichten‘, die die Leute berichten, eine ähnliche Struktur aufweisen – zumeist geht es darum, was man umgangssprachlich ,Neidhaltung‘ nennt.“
Sein Rat an die Politik: „Nicht einfach alles glauben, was die Leute so erzählen, sondern sich darum bemühen zu erfahren, was wirklich vor sich geht.“

Umfragen: Akzeptanz geht vor Wahrheit.
Darüber hinaus sollte die Politik sich selbst aktiv um Integration bemühen – z.B. im sozialen Wohnbau für eine bessere Durchmischung sorgen und mehr MigrantInnen in den Dienst der öffentlichen Hand stellen – „von der Polizei bis zum Unterrichtswesen“ – um damit zu zeigen, dass die Betroffenen auch respektable Positionen einnehmen können.
Fleck relativiert übrigens auch das Ergebnis der Wahltagsumfrage, wonach jedenfalls bei den FPÖ-WählerInnen das Thema „Zuwanderung“ entscheidend für ihre Stimmabgabe für die Kurzmann-Partei war: „Wenn ein FPÖ-Wähler gefragt wird, warum er diese Wahlentscheidung getroffen hat, dann liegt es nahe, dass er so antwortet. Nicht unbedingt, weil das wirklich seiner Motivlage entspricht, sondern weil es einfach allgemein akzeptiert ist, dass man ,wegen der Ausländer‘ FPÖ wählt – bei Telefoninterviews geben Menschen gerne Antworten, für die sie sich Zustimmung erwarten.“

| Christian Stenner
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