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„Wir müssen den jungen Menschen Beziehungsangebote machen“ |
Archiv - KORSO Sozial FORUM - Schwerpunkt: Jugend | |
Freitag, 28. April 2006 | |
Der „Turbokapitalismus" unterwirft alle Lebensäußerungen unter Konkurrenz und Wettbewerb, verlangt die totale Flexibilisierung der menschlichen Existenz und leistet extremer Individualisierung Vorschub – das haben Autoren wie Ulrich Beck, Richard Sennett und Zygmunt Baumann in ihren Werken bis ins Detail analysiert.
„Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlich-ökonomischen Drucks kommt es zu tiefen Krisen in der Entwicklung der Identität", sagt der Grazer Psychoanalytiker Dr. Gert Lyon, Leiter des Beratungszentrums für psychische und soziale Fragen. Im Zentrum steht dabei u.a. der Wandel von Arbeitslosigkeit – ein Zustand, der reparabel ist – in irreparable „Überzähligkeit": „Die Gesellschaft produziert Menschen, die in ihr keinen Platz mehr haben; das kann gerade bei jungen Menschen schreckliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeit haben." Beständige Identitätsarbeit. Natürlich gebe es manche, „die die Tsunami-Welle reiten können, die es schaffen, eine transversale Vernunft zu entwickeln, um in vielen Diskursen andocken zu können" – viele aber scheiterten an der „beständigen Identitätsarbeit". Und: auch jene, die es schafften sich anzupassen, lebten in der Angst den Anforderungen irgendwann doch nicht genügen zu können. Die Folge sei eine „schleichende Abnahme des Welt- und In-sich-selbst-Vertrauens und eine Zunahme der klassischen krankhaften Störungen" – von Essstörungen v.a. bei jungen Frauen über selbst verletzendes Verhalten (z.B. „Ritzen") bis hin zu Depressionen aller Art. Beziehungsangebote statt Antidepressiva. Auch der Umgang mit diesen psychischen Problemen sei, so Lyon, geprägt von den neoliberalen „Sach"Zwängen: Unter den Bedingungen gedeckelter Sozial- und Gesundheitsbudgets gehe der Trend in Richtung angeblich schnell wirksamer NLP-ähnlicher Lösungen oder gar medikamentöser Behandlungen – in Großbritannien und den USA wurde in Fachkreisen bereits darüber diskutiert, dem Trinkwasser Antidepressiva beizumengen. Dabei gebe es nichts wieder gut zu machen, sondern die Verletzungen der Psyche anzuerkennen. Und: „Die jungen Menschen, die zu uns kommen, sind hungrig nach Beziehung. Wir müssen ihnen Beziehungsangebote machen, dazu braucht es gut ausgebildete Fachleute mit ausreichend Zeit." Christian Stenner
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