Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Wissenschaft ist die wichtigste Waffe des Aktivismus“
Montag, 19. Juli 2010
Mit dem deutschen Umweltaktivisten Tadzio Müller sprach Josef Schiffer für KORSO während des Klimakongresses über die Wirksamkeit von Aktivismus und den unvermeidlichen Umbau der wirtschaftlichen Strukturen. Wie beurteilen Sie die gegenwärtig betriebene Klimapolitik der großen Industrienationen?
Es zeigt sich leider sehr deutlich, dass von Seiten der internationalen Politik keine strategischen Konzepte vorhanden sind, auch gut sichtbar bei den letzten Klimagipfeln in Kopenhagen und in Mexiko. Die derzeitige Situation könnte man unter dem Motto zusammenfassen: „Das Notwendige ist nicht machbar und das Machbare nicht ausreichend.“ Die Wissenschaft sollte auch in Form ihrer prominentesten Vertreter noch deutlicher als bisher Stellung in dieser Frage beziehen, um die Klimaaktivisten und ihre Ziele zu unterstützen.

Was kann man mit den aus der Klimaschutzbewegung kommenden Formen des Aktivismus bewegen?
Soziale Bewegungen schaffen dort, wo die Gesellschaft in einer Sackgasse zu stecken scheint, neue Möglichkeitsräume und zeigen damit auch gänzlich neue Handlungsoptionen auf. Es wird dann plötzlich sichtbar, dass es realistische Alternativen gibt, die weiter als alles Bisherige gehen. Ich halte z.B. die Idee radikaler Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitiger Reduktion eines überbordenden Konsums für wesentlich nachhaltiger als etwa das vorrangige Setzen auf Grüne Technologien, die wie jede produktionsorientierte Ökonomie eine hypertrophe Wachstumsdynamik inhärent in sich tragen. So ist es sinnvoller, ein kostenloses öffentliches Verkehrssystem auszubauen statt den Individualverkehr mit Alternativantrieben um jeden Preis zu forcieren.

Welche Maßnahmen für mehr Klimagerechtigkeit erscheinen Ihnen am wichtigsten?
Ein ganz wichtiger Punkt ist meiner Ansicht nach das Aufbrechen des globalen Patentsystems, d.h. grünere Technologien sollten für alle Beteiligten frei verfügbar sein. Eine weitere wichtige Frage ist die der Klimaschuld der Industrieländer: Durch einen Umverteilungsprozess, wie er auf der Cocha-
bamba-Konferenz gefordert wurde, in der Form, dass die wohlhabenden Staaten 6% ihres Bruttowirtschaftsprodukts als Reparation für ihre Emissionstätigkeit an ärmere Länder abgeben. Durch diese Investitionen könnten die langfristigen Folgen des Klimawandels in den betroffenen Regionen deutlich gemildert werden.

Wie wollen Sie diese Ziele konkret umsetzen?
Die praktische Durchsetzung dieser Ideen wird angesichts der Folgen der Wirtschaftskrise und der Sparpakete nicht einfach sein. In der strategischen Ausrichtung des Aktivismus laufen bei uns derzeit eine Reihe von Diskussionsprozessen, was davon vorrangig durchzusetzen ist. Für das langfristige Ziel eines ökologisch nachhaltigeren Lebens müssen wir uns zunächst aus den Zwängen des gegenwärtigen Wirtschaftssystems befreien, indem wir die Verbindung zwischen einem besseren Leben und der scheinbar unverzichtbaren Wachstumsdynamik brechen. Es ist jedenfalls keineswegs notwendig, dass eine schrumpfende Wirtschaft die Schwächsten und Ärmsten trifft. Durch eine ökonomische Konzentration auf die Bereiche Bildung und Pflege könnten Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, die nicht auf exzessivem Ressourcenverbrauch aufgebaut sind.
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