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„Die Klimakrise ist unter den herrschenden Bedingungen nicht lösbar“
Montag, 19. Juli 2010
Nnimmo Bassey war ursprünglich ein angesehener Architekt in seinem Heimatland Nigeria. Aufgrund der Massaker an BewohnerInnen des Nigerdeltas, die sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch den Ölmulti Shell gewandt hatten, wurde er zum Kämpfer für Menschenrechte und Umwelt. Er ist Leiter der nigerianischen NGO Environmental Rights Action und Vorsitzender des weltweit größten Umweltschutzverbandes „Friends of the Earth International“, dem Sektionen in 77 Ländern angehören, unter anderem „Global 2000“ in Österreich. Mit Bassey, der zudem einer der bekanntesten Protagonisten der globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit ist und beim Klimakongress des FORUM Stadtpark ein Referat hielt sowie an mehreren Diskussionsrunden teilnahm, sprach Christian Stenner. Eine Ihrer Forderungen lautet: „Leave the oil in the soil“ – ist das eine Forderung, die wirklich von vielen NigerianerInnen geteilt wird? Fürchten sich die Öl-ArbeiterInnen im Nigerdelta nicht davor, ihre Arbeit zu verlieren?
Die Ölindustrie hat nicht wirklich positive Auswirkungen auf die lokale Ökonomie, vor allem was die Beschäftigung betrifft. Mehr als 90% der Investitionen für die Ölförderung werden auswärts getätigt, nicht in Nigeria. Die technische Ausrüstung dafür wird ja woanders entworfen und konstruiert, dann wird sie hier aufgebaut, und das geförderte Öl wird sowieso exportiert. Natürlich gibt es auch nigerianische Arbeiter auf verschiedenen Ebenen, das dient ja auch der Legitimation.
Der Beschäftigungslevel ist aber nicht besonders hoch – das ist kein Industriezweig, der besonders viele Menschen beschäftigt.
Dem gegenüber steht die Tatsache, dass die lokale Bevölkerung ihren Lebensunterhalt vorwiegend als Fischer und Farmer bestreitet – und genau diese Lebensgrundlagen wurden durch die Verschmutzung zerstört, die von der Ölindustrie verursacht wird.
Nun versuchen diese Leute bei der Ölindustrie unterzukommen, aber es gibt nicht genug Jobs für sie.

Sie fordern Konversionsprojekte für die Ölindustrie, sie soll auf die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern umgestellt werden. Wie reagieren die Ölarbeiter auf diese Vorschläge?
Wir müssen mehr mit der Arbeiterbewegung zusammenarbeiten, auch mit den Gewerkschaften in der Ölindustrie. Je mehr wir mit ihnen kooperieren, desto besser verstehen sie, dass die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, auch die der Gesellschaft sind; sie arbeiten ja auch unter schlechtesten Bedingungen. Ich war bei Gewerkschafts-Meetings eingeladen, wo über Umweltfragen diskutiert wurde, und ich fand heraus, dass viele von ihnen – nicht alle, aber viele  – kaum über Informationen über die Industrie verfügen, in der sie arbeiten. Sie wissen zum Beispiel nichts über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die von der Ölindustrie eigentlich eingehalten werden müssten. Unsere Überlegung ist, dass die Ölarbeiter die Unternehmen dazu drängen könnten, sich mehr auf erneuerbare Energie zu orientieren; das würde bedeuten, dass sie ihren Job nicht verlieren, sondern neue Dinge produzieren.
Sie sind gegen marktförmige Instrumente wie den Clean Development Mechanism als Mittel des Kampfes gegen den Klimawandel. Dieser sieht bekanntlich vor, dass die Länder des Südens von den CO2-Emittenten in den Industrieländern dafür bezahlt werden, dass sie Projekte umsetzen, die CO2-Emissionen einsparen helfen – z.B. Wiederaufforstungsprojekte. Diese Einsparungen werden den Industriestaaten gutgeschrieben. Können Sie genauer erklären, warum Sie sich gegen diese Art der CO2-Reduktion wenden?
Ich bin aus einem ganz einfachen Grund dagegen: Die Konzerne können sich auf diese Art um die Verpflichtung drücken, ihren eigenen CO2-Ausstoß zu senken, sie können ungehindert weiter Treibhausgase emittieren. In Nigeria gibt es zwei solcher Projekte, es geht dabei um die Verwertung von Gas, das bei der Ölförderung anfällt und sonst abgefackelt wurde, für die Elektrizitätsgewinnung und für den Export. Dafür sollen Kredite aus dem Clean Development Mechanism angerechnet werden. Wir finden, dass dies ein sehr schlechtes Beispiel für den Einsatz von Marktmechanismen ist – denn das Abfackeln von Gas ist eine illegale Aktivität. Es ist illegal seit 1984. Man kann doch nicht Kredite dafür in Anspruch nehmen, dass man einer kriminellen Aktivität ein Ende setzt! Das zeigt, wie heuchlerisch dieses System ist. Wir brauchen aber eine fundamentale Systemänderung, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen.

Glauben Sie persönlich, dass der Kapitalismus seine aktuelle Krise überwinden kann, indem er einen neuen Akkumulationszyklus in Gang setzt, der auf erneuerbaren Energien und nicht auf fossilen Energieträgern beruht? Oder ist die ökologische Krise Ihrer Meinung nach unter kapitalistischen Bedingungen gar nicht lösbar?
Nein, sie ist unter den herrschenden Bedingungen nicht lösbar, weil das herrschende System ein Wettbewerbssystem ist, ein System der Zerstörung und Ausbeutung; ein System des Kriegs, weil es ein System der Herrschaft und nicht der Solidarität ist. Und nicht zuletzt: Kapitalismus bedeutet Entwicklung ohne Grenzen – in einer begrenzten Welt ist das nicht möglich.
Unsere Kampagnen für erneuerbare Energie sind ja nur ein kleiner Schritt nach vorne, es muss einen fundamentalen Wechsel geben, einen Wechsel, der eine Änderung des Wirtschaftssystems beinhaltet. Wie schwierig das selbst in fortschrittlich regierten Ländern wie Bolivien ist, lässt sich vielleicht daran ablesen, dass wir beim People‘s Climate Summit im bolivianischen Cochabamba im April * jene Arbeitsgruppe, die sich mit der Öl- und Gasförderung in Bolivien selbst auseinandersetzte und die einen Stopp dieser Förderungen forderte, selbst und außerhalb des offiziellen Programms organisieren mussten.


* Zu diesem Gipfel, bei dem im Gegensatz zu jenem im Kopenhagen vor allem die vom Klimawandel vorrangig betroffenen Bevölkerungen des Südens zu Wort kamen, hatte Boliviens Präsident Evo Morales aufgerufen.
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