Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
John C. Torpey: Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft werden in den USA als natürlich gegeb
Montag, 19. Juli 2010
Mit dem Soziologen Prof. Dr. John C. Torpey (City University of New York), der im Sommersemester eine Gastprofessur am Institut für Amerikanistik der Karl-Franzens-Universität Graz innehatte, sprach Josef Schiffer für KORSO über die Wechselwirkungen zwischen Politik und wirtschaftlichen Interessen sowie über die Zukunft der Demokratie. Wie beurteilen Sie den Einfluss der Finanz- und anderer Wirtschaftslobbys auf die US-Politik?
Wirtschaftliche Interessensvertretungen haben in den USA traditionell eine wichtige Rolle gespielt, aber im Jahr 2002 wurde durch das Kampagnen-Finanzierungsgesetz von McCain und Feingold der Einfluss von Firmen und Lobbys auf die Politiker deutlich beschränkt. Trotz der Reformen in der Wahlfinanzierung haben wir jedoch grundsätzlich bei vielen der Kandidaten das Prinzip „The best politicians money can buy“. Allein aus diesem Grund müssen die meisten Bewerber für ein politisches Amt, so sie nicht über eigene bedeutende Mittel verfügen, eine große Geschicklichkeit darin entwickeln, Gelder aus der Wirtschaft für ihre Kampagnen zu lukrieren. Vor kurzem wurde die gesetzliche Beschränkung der Wahlfinanzierung durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugunsten von großen Unternehmen wieder stark aufgeweicht, die von Präsident Obama in einem ungewöhnlichen Schritt mit scharfen Worten verurteilt wurde. Er hat daraufhin dem Repräsentantenhaus empfohlen, ein neues Gesetz zu dieser Frage zu verabschieden.

Inwiefern unterscheiden sich Demokraten und Republikaner überhaupt noch in diesen Fragen?
Bei den Republikanern war der Einfluss der Industrie zweifellos immer etwas größer als bei den Demokraten. Durch die zunehmende Dominanz der Finanzwirtschaft und unter dem Einfluss der radikalen Marktideologie wurden zweifellos auch auf die Demokraten stärker von den Einflüssen der Lobbys erfasst. Andererseits sind die Parteien nicht so professionalisiert und auch ideologisch nicht so geschlossen wie in Europa, was immer wieder zu Alleingängen wie jenem des Präsidentschaftskandidaten John McCain führt, der für seinen Wahlkampf die kontroverse Sarah Palin als Mitkandidatin erkoren hat. Andererseits hat er sich etwa in religiösen Fragen relativ neutral gezeigt, dennoch wäre ein Kandidat für ein politisches Amt in den USA ohne ein Bekenntnis zum christlichen Glauben ziemlich chancenlos.

Kritik äußert sich in den USA am hergebrachten Politsystem vor allem durch die Teaparty-Bewegung, wie schätzen Sie diese ein?
Diese relativ neue politische Bewegung kritisiert in erster Linie zunächst eine „Übermacht des Staates“ und fokussiert insbesondere auf die steigenden Ausgaben in vielen Bereichen – im Grunde handelt es sich dabei um einer Steuerrevolte der Besserverdiener. Ihr Aufstieg korreliert bis zu einem gewissen Grad damit, dass die Republikaner zunehmend ihre liberalen Prinzipien aufgegeben haben. Durch das Mehrheitswahlrecht wird der Kampf meist um eine relative schmale Wechselwählerschicht in der Mitte geführt, die man von der jeweils eigenen Position überzeugen möchte. Die Zahl der Independents, die sich nicht mehr in einer der beiden großen Parteien vertreten sehen, hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen, KOMMT aber mit eigenen Kandidaten bei den Wahlen kaum durch. Auf der anderen Seite gibt es zwischen Republikanern und Demokraten keinen ehrlichen Diskurs mehr um inhaltliche politische Themen; in den entsprechenden Internet-Foren und Kabelkanälen werden sozusagen nur die vorgefassten Meinungen der eigenen Anhänger bedient und Propaganda verbreitet.

Noch häufiger als in Europa wechseln in den USA Politiker in die Wirtschaft, was den Verdacht gekaufter Begünstigungen nährt.
Das ist ein verbreitetes Phänomen, dem mit einem Gesetz begegnet wurde, dass eine Wartefrist von mindestens einem Jahr festsetzt, bevor ein ehemaliger Politiker in einer Firma tätig werden darf, für deren Lobbyinteressen er Gefälligkeiten erbracht hat, etwa im Entwurf oder Einbringen von Gesetzen oder bei Abstimmungen. Das Wort ‚Korruption‘ wird in den USA allerdings in diesem Zusammenhang nicht sehr gerne verwendet, um derartige fragwürdige Beziehungen zu charakterisieren. Die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft werden von vielen Leuten als natürlich gegeben angenommen und nicht weiter hinterfragt.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >