Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
sarah g. foetschl, arbeitstitel
Freitag, 11. Juni 2010
(auszug der ersten 2 kapitel des im entstehen befindlichen prosadebuts mit dem titel: arbeitstitel)

vorworte.
worte, die ganz vorne stehen.

ich hab geträumt: ich esse fleisch. von einem schmutzigen teller. ich reanimier ein kleinkind, das ich aus nem fluss gezogen hab. und es kotzt immer und immer wieder. ich legs auf die seite und räume ihm den mund aus, fasse mir an den mund mit den schmutzigen händen und zieh mir selber einen riesen brocken ekel heraus, werfe ihn in den fluss. und ich hab geträumt: ich reisse meinem vater das gesicht herunter. er ist jung. und flatterhaft. während ich verhindere, dass er abhaut. damit ich ihn weiter ins kreuzverhör nehmen kann. ich mache ihm vorwürfe. versuche ihn zu schlagen. wie immer bin ich zu schwach. das ertrunkene kind ist ihm egal. und ich bin wütend, dass ich die verantwortung tragen muss. und ich hab geträumt: ich bin mit meiner mutter in einem raum und bekomme platzangst, beginne zu schreien. ziemlich viele mobiltelefone und penetrantes klingeln, das ich nicht abstellen kann.

ich setze mich an den schreibtisch, eine mail, die ich heute früh noch über die mailingliste verschickte.
Am 28.12.2009 um 00:31 schrieb das mädchen, das in seine mama verliebt war:
hi kunstschule,
bräuchte eine neonröhre.
hat jemand eine rumliegen ungebrauchter, überflüssiger weise?
grüzz, das mädchen
eine einzige antwort bis jetzt.  
On Dec 29, 2009, at 8:34 PM, xxx.at wrote:
i have a „neonröhre“ right here in my pants :) so long, xxx.

danke, kunstschule.
 
I.

“when love is gone, there is still justice. when justice is gone, there’s still force. and when force is gone, there’s always mum – hi mum. so hold me mum. in your long arms. in your automatic arms. your petrochemical arms. your military arms. your electronic arms.” laurie anderson.

ach emil. gräme dich nicht. ich lauf grad wieder weinend durch die städte. aus maszloser entäuschung über alle zustände und mich selber. darum die kargworthyde. was nichts mit dir zu tun hat. sondern. mit der infragestellung
der daseinsberechtigung schlechthin. und der vertrübten hoffnung auf einen kometen, der es schafft die atmosphärenglut zu überstehn und mir den unseligen schädel zu spalten. emil, deine anwesenheit tröstert über vieles hinweg, das im schweigen ertrinkt versinkt und verstinkt. heil, tito.
emil spricht nicht. er schiebt sein fahrrad. meine gedanken sprechen sich ebenfalls nicht alle aus, so wäre das. und so ist das nun mal.
ich denke krater unser, brr, du biest im kümmel, geseidigt werde der lahme, dein teich bommle, deine rille vernähe, wie im kümmel, so auch in gebärden. unser tägliches lot hieb uns euter und vergrab uns unseren kult, wie auch wir vergraben unsere huldiger. und führe uns nicht in verbuchung, sondern verdöse oder fixiere die losen, denn dein ist der teich und der saft und die verzerrlichkeit in dämlichkeit. im namen des kraters, des mohnes und des heiligen dreisten. erbarmen.

ciao emil, bis später.

i remember. trying to do my homework, while watching out of the window 4th floor, there were the woods and a meadow, sheeps were running over, asking my sister: am i fat? tell me. crawling out of the crib. over into my parents bed, where my mother held me each night ‘til i was five. the huge bodies produced heat.
i almost couldn‘t sleep. those dreams where the floor of the elevator cabin had a hole and things and people were coming out of it. my first try to cook: it was about rice and corn out of the can with a sauce of milk and flour. my father forcing me to wash my hands, taking my palms, putting them unter hot water. accidently. pissing in to the bed. trying to get a fresh trouser out of the cupboard in my parents sleeping room. mother woke up, asking if something’s wrong. i said no and went back to bed.
burning the living room chair with a candle. sucessfully covering it up for 9 years with a handkerchief i put on the hole. writing an annual diary under, into the living room table. starting with 1991 - ending 1998. including a list of people who annoyed me, when and in which magnitude in form of a tally chart. when i was fifteen, i had my first kiss. he was 28. my sister saw it, and started to cry the day after, being afraid i fell in love with that fool. i said don‘t worry, i just needed to kiss someone. the girl from the appartment above, she was my only friend for years. white trash, always heard a lot of screaming up there. she was not a very bright person, always a step behind me. annoying. wonder where and who she is now. i forgot her familys name. that guy in school, who used to beat me up, i didn‘t even know his name. it suddenly started. my first crush on someone 1998. he died when he was twenty in 2001. i loughed when i heard that. i couldn‘t believe.

eine vierjährige im park hat mir erzählt, ihre mama sei gerade in amerika. dass sie dort häuser baut und eine wohnung sucht. und sie vermisst ihre mama. ihre mama macht immer alles so frisch und sauber und lebendig für sie, sagt sie. der papa tut das nicht. sie will, dass ihre mama wiederkommt, sagt sie.   
II. neon, when you come home.

ich bin mal erschrocken des nachts. du ziehst deine brille ab. streichst durch dein haar. captain arschloch, save me from this reality. ich strecke dir meine kräftige männerhand entgegen, du springst auf meinen bizeps wie auf eine hollywoodschaukel, noch kurz durch den drive in, milchshakes bzw kaltschalen besorgen und dann zwitschernd auf die vogelhochzeit. die, die ich einst bekannte nannte, kenne ich nicht mehr, die, die ich freunde nannte, sind bekannte. diese träume enden immer mit einer atombombe. nein, wir alle waren die einzigen ohne plan und doppelten boden, irgendwann bleibt dir das herz stehn, gut zerlegt, zerfeiert, zerseucht. ich kann dich zittern sehn. das gibt mir das gefühl, dass ich keine maschine bin. und in der hitze des gefechts meinte er: siehst du was du aus mir gemacht hast. ich hab dich? hab ich dich? ich bin nur ein nackter irrer. und dann hab ich beschlossen, dass ich ab jetzt meine eigene familie bin. testament: nach meinem ableben trennt mir arme und beine ab, lackiert den rest und verwendet den konservierten korpus als geranientopf im hinterhof.
ich bin mal erschrocken des nachts. diese träume enden immer mit einer atombombe.

im cafe war emil heute nicht da, die blonde mit den kurzen haaren war da. sie sagt, dass sie ihren vater noch umbringen wird, weil er ihr zu dumm geworden ist. ihr bildungsideal stimmt nicht mehr mit dem seinen überein und er sei ausserdem ein schlechter geschäftsmann. ihre mama sei besser dran ohne ihn. allerdings müsste man auch den grossvater beseitigen. der erledigt sich zwar von selbst, aber es könnte auch ein bisschen schneller gehen. ein glas und sie verschwindet hinter rauchschwaden im cafe. was mache ich? ich brauche diese verdammte neonröhre. ein nerd setzt sich neben mich und packt seinen laptop aus. würde er rauchen, würde er mich um eine zigarette fragen, aber niemand raucht hier mehr. wir sind alle offiziell gesund und totally clean. der nerd ist so proper, dass er mir gleich etwas über sein projekt erzählt. das projekt ist ein artikel in der wikipedia über das formale paradoxon, das sich ergibt, wenn man null grad celsius in kelvin darstellte. ich sage ihm, dass ich mich nicht für scheinprobleme des mittelschullehrstoffes interessiere und frage ihn, ob er nicht zeit hätte, das UPC kabel, das sich in meinem wohnhaus befindet, zu kappen und in meine küche zu verlegen. er hat zeit. als wir mein appartment betreten, ist die blonde mit den kurzen haaren wieder da. sie besucht meine mitbewohnerin. die beiden turteln in der küche und während meine freundin tee macht, dreht die blonde zigaretten und starrt meiner freundin auf den arsch. der nerd untersucht die leitungen am gang, sagt aber, dass da ohne messgerät jetzt nichts ginge und ich gebe ihm den müllsack in die hand, als er die wohnung wieder verlässt. was mache ich? meine freundin und die blonde verschwinden im wohnzimmer, niemand fragt mich. ich hab von der blonden geträumt. sie rauchen blonden tabak. meine freundin ist auch blond. sie greifen sich an. bin ich fett?

ich setze mich an den schreibtisch, eine mail an meine mutter, die ich nur an mich selbst sende.
 
Am 30.12.2009 um 14:07 schrieb das mädchen, das in seine mama verliebt war:

i am really tired
in very many ways

frau dr. monika ziehhaar rettet mich über den moment
und schon heisst es wieder

weiter

in very many ways

manchmal weiss ich eben leider nicht
wohin
in very many ways

ich versteh weder mich noch alle andern
in very many ways

(pfeiffend eine melodai)

und verirr mich andauernd
all der vielen wege wegen

and i am walking along
to virtual clocks of this song

und wie eine defekte cessna
hoffe ich am ende des tages
nach der bruchlandung
dort wo ich aufschlag
mich wie eine nasse katze
zusammen rollen zu können
und weitere 8h meines lebens verschlafen zu dürfen
gnädigerweise

ich werde auf das loch in meiner wand starren
vielleicht einäugig mit teerendem mund
und mir abermals denken

„aber dieses loch versteh ich“

ist ja schliesslich auch kein weg
sondern bloss ne sackgasse
halbmondförmig
und stumm

wie das hörnchen am frühstücksteller
irgendeiner kaffeehausnische

heiliger bimbam
warum bin ich ein stern geworden
die feen liegen halb verkohlt auf dem scheiterhaufen

wer verjagt den teufel, wenn er die pferde verführen will?

weil der mond mir wie ein spiegel gegenüberhängt,
schmerzt mich der engel im auge. die vögel sind aus holz.

den städten sind die füsse abgesägt.
ihre herzen sind voll widerhall.

 

sarah g. foetschl
1982 geboren in oberzeiring, aufgewachsen in österreich, deutschland und frankreich. mitherausgeberin und mitredakteurin des jugendmagazines UNZINE, gefördert von der kulturhauptstadt graz 2003. studium der philosophie, geschichte, genderstudies und ökonomie in graz und wien. seit 2007 im programmbeirat des FORUM STADTPARK GRAZ für die sparte erweiterter theaterbegriff und performance, schreibt prosaisches, drehbücher, dramatisches. arbeitet freischaffend als dramaturgin, regisseurin, filmemacherin.
zuletzt erschienen: pioneerTM_die soldatin und das schöne (arthouse- und animationsfilm, 90min.)
 

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