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Wer macht Stadt? |
Donnerstag, 10. Juni 2010 | |
Kreative Stadt Entwicklung (22) von Harald Saiko
Stadtteilentwicklung durch neue Arten von Urbanität und neue Lebensformen ist eine immer wieder auftauchende Erscheinung in europäischen Städten. Dies zeigt sich aktuell im Kiez in Hamburg, in Zürich-West oder Wien-Ottakring. Der Bezirk Lend in Graz ist genauso lebender Beweis dafür. Zu alteingesessenem und migrantischem Leben gesellen sich alternative In-Lokale sowie zahlreiche Künstler- und Kreativkollektive mit ihren Büros, Ateliers und Läden. Gemeinsam ist allen, dass sie im Bezirk, im Kiez, im Viertel wohnen und/oder arbeiten, also radikal anwesend sind und sich den urbanen Raum teilen. Im Unterschied zum künstlichen Creative-Industries-Hype und seinen Versprechungen à la Richard Florida steht authentische Partizipation am eigenen lokalen Umfeld im Vordergrund. So ging der Lendwirbel, das Fest der anwesenden kreativen Szene im Lend, im Mai ins dritte Jahr. Angenehmer und abwechslungsreicher, überzeugender und authentischer als je zuvor, trotz beharrlicher Ignoranz der Kleinformate dieser Stadt. Tja, bei so viel Eigensinn und Selbstwertgefühl lassen sich den Lendwirblern weder Medienpartnerschaften noch Marketinggeschäfte andrehen. Doch so eine werbefahnenfreie Zone hat Qualität, eben ein Fest statt Event. Beim Symposion, dem kritischen Diskurs zu Stadtteilentwicklung solcher Art, gab es dann auch Erhellendes aus aller Welt für unsere kleine Stadt. Theo Deutinger aus Rotterdam monierte, dass Stadt heute durch ihre globalen Gleichschaltungsmerkmale wahrgenommen wird, IKEA makes the city. Auf seine Gegenfrage, was in Graz als Problem wahrgenommen werde, wurde Kleingeist diagnostiziert. Provinzialität, sich mit kritischem Denken nicht auseinanderzusetzen, Unwissenheit, vorhandene Potenziale nicht zu erkennen und die Sucht nach individuellen (Architektur-)Ereignissen. Aber im Stadtraum spiegelt sich die Seele einer Stadt. Kurt Smetana, seit vielen Jahren der Leiter der Gebietsbetreuung Stadterneuerung in Wien-Ottakring, schilderte dieses Erfolgsmodell rund um Brunnenmarkt und Yppenplatz. Auf die Frage nach einer ähnlichen Gebietsbetreuung in Graz, die immerhin im Regierungsprogramm steht, wurde von heimischen Politikerinnen wieder einmal ausweichend geantwortet. So wird keine Stadt gemacht. Philipp Klaus aus Zürich berichtete vom dortigen Westen, wo es zwar nie eine Marketingmaschine wie die CIS gegeben habe, aber dafür städtische Freiräume und Produktionsmöglichkeiten, wo von öffentlicher wie privater Seite viel zugelassen wurde. Zwischennutzungen par excellence mit vielen kleinen und großen Erfolgsgeschichten bis hin zum Freitag-Taschen-Konzern. Das ist freilich das glatte Gegenteil zu Graz, wo Zwischennutzung als gewachsene Kultur möglichst nicht beachtet oder gar behindert wird. Hier wird Zwischennutzung nur gefördert, wenn es dem politischen Establishment als Marketing dient, wie jüngst in den Räumlichkeiten des „Wilden Mann“ in der Jakoministraße. Sehr schön ist es dort für die DesignerInnen, aber leider mit Ablaufdatum, ein absolutes NoGo für Zwischennutzungen, die Entwicklungspotenzial entfalten sollen. Wäre es nicht ganz im Gegenteil Aufgabe der öffentlichen Hand, die immer selteneren Räume mit Charme und Seele auf Dauer für kreative Produktion und Präsentation zu erhalten? Das wäre was für die Stadt. Elke Krasny zeigte ihre Beobachtungen aus Shanghai, wo sich Stadt in ungeahntem Tempo und Maßstab entwickelt. Ob angesichts dessen Annenviertel und Jakoministraße, wie uns so viele Plakate und Sprüche weismachen wollen, so neu, so anders, so groß sind? Aber da wie dort erobern die Bewohner ihr Umfeld selbst, samt Wäscheleine und Blumenkistl. Das macht Stadt individuell. Der Künstler Markus Wilfling schließlich, der von Leibnitz in die weite Welt der Städte Wien, Mexico-City und Graz auszog, verkündete für die Zukunft der Stadt eine Parole: Wenn schon sicher, dann überhaupt nicht. Wer in so einer Woche noch andere Städte besucht und das Glück des Verfassers hat, mit Alvis Hermanis über Riga und Lejla Hodzic in Sarajevo zu sprechen, dem wird schnell klar: Eine zunehmend wachsende Bewegung erkennt, dass alles Menschliche und Kulturelle sich nur in ihrer Lokalisation letztendlich verwirklicht. Globalisierung ist zwar eine wirkmächtige Einflusssphäre auf das Alltagsleben, generiert selbst aber keine Gemeinschaft zivilisatorisch und kulturell. Dies geschieht allein in der jeweiligen Lokalität: der Nachbarschaft und unmittelbaren Umgebung, in der Stadt oder Region und allenfalls als Gesellschaft in einem Heimatland, als Entität gedacht. Architekt DI Harald Saiko, geboren und aufgewachsen in Graz, Studium in Graz und Paris, führt ein Büro für Architektur.Stadt.Kultur in Graz, Wien und Timisoara.
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