Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Sloterdijk und die Schönheit des Gebens
Donnerstag, 10. Juni 2010
Wimmlers Demontagen von Karl Wimmler Heute ist es an der Zeit einzuräumen, dass ich mehr als nur einen Anflug von Größenwahn mit mir herumtrage. Was könnte das besser beweisen als der Versuch,  jetzt auch noch einen Philosophen zu verunglimpfen, der wie kaum ein anderer im deutschen Sprachraum die philosophischen Debatten der letzten drei Jahrzehnte zwar nicht wirklich geprägt, sie aber vom Zaun gebrochen und mit seinem Namen verbunden hat. Und der immer wieder neu den Nachweis erbringt, wie sehr diese Gesellschaft nach Erklärung und Kritik lechzt, die nichts erklärt und nichts verändert. Die Rede ist von jenem großen deutschen Denker, der 1983 seine Karriere als Autor einer vielbejubelten zweibändigen Schrift mit dem Titel „Kritik der zynischen Vernunft“ gestartet hatte.

Scheinbar in Opposition zu allem.
Peter Sloterdijk verstand es seither immer wieder – blendend im wahrsten Sinn des Wortes –, die Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit auf sich und seine Schriften zu ziehen. So auch am Höhepunkt der Finanzkrisendebatte im Vorjahr. Das Rezept dafür ist seit Jahrzehnten dasselbe. Erstens plappere man nicht die gängigen Phrasen der Rechtfertiger herrschender Zustände stereotyp nach, sondern kommentiere sie etwas distanziert und ein bisschen pikiert. Zweitens ziehe man verächtlich über die gängigen Argumente von Kritikern – in diesem Fall des imperialen Kapitalismus – her. Drittens gebe man einige verstümmelte Gedanken bekannter Denker der Vergangenheit zum besten, mixe sie nach Bedarf und präsentiere das Kuddelmuddel als überholt. Viertens inszeniere man sich selbst als Phönix aus der Asche mit einem überraschend einfach klingenden Rezept, das scheinbar in Opposition zu allem steht. Fünftens garniere man den ganzen Brei mit allerlei weisem Tand aus dem Fundus der akademischen Bildung. Und sechstens schließlich praktiziere man, was im Kunstbereich heutzutage bereits weithin als ausgelutscht und abgeschmackt gilt: ein bisserl Provokation – es fällt eh niemandem auf, dass sie vom Katheder des beamteten Lehrers herab erfolgt.

Der psychische Reflex des Zinsenstresses.
Nun also die Wirtschaft. Wäre ihre Krise nicht in aller Munde, käme Sloterdijk kein Wort davon über die Lippen. So aber ist er auch auf diesem Gebiet in seinem Element. Unter dem windigen Titel „Die Revolution der gebenden Hand“ startete er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit einem angeblichen „Rousseauschen Mythos“, wanderte über einen „Marx’schen Verdacht“ zu „einer „allgemeinen Theorie des Diebstahls“, um dann die „moralisierende Stilisierung“ des Kapitalismus zu bedauern, der schlimmerweise „zu einem politischen Kampfwort und systemischen Schimpfwort“ geworden sei. Denn das Geheimnis „der modernen Wirtschaftsweise“ sei nicht etwa das dem Kapitalismus immanente Profitprinzip des Kapitals gegen die Arbeit, sondern „verbirgt sich vielmehr in der antagonistischen Liaison von Gläubigern und Schuldnern“. Daher sei „die faustische Unruhe des ewig getriebenen Unternehmers der psychische Reflex des Zinsenstresses“. Und diesen bedauernswert faustisch Unruhigen, den „Leistungsträgerkern der deutschen Population“ bzw. „das obere Zwanzigstel der Leistungsträger“, die „gut 40 Prozent des Gesamtaufkommens an Einkommensteuern erbringen“ („gebende Hand“), die ruft Sloterdijk zur „Revolution“. Man müsse weg von der „hässlichen Zwangsabgabe“ Steuer, hin zur „Schönheit des Gebens“. Weg insbesondere mit „der progressiven Einkommensteuer, die in der Sache nicht weniger bedeutet als ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung“. Damit „die Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven“ ein Ende habe (produktiv seien die Zahler von Steuer auf ihr Einkommen, unproduktiv die armen Schlucker). Und so weiter.

Das magische Weltbild des Geschehenlassens.
Da war aber wieder Feuer am Dach des deutschen Feuilletons und Hinz und Kunz gaben ihren Senf dazu. Wie zehn Jahre davor, als Sloterdijk – die Genderbatten hatten grade ihren ersten Hype – „Regeln für den Menschenpark“ aufstellen wollte und nur Nietzsches Herrenmenschen als Farce wiederauferstehen ließ. Kein Hahn kräht heute danach. Seinen Wirtschaftsunfug ereilt dieses Schicksal rascher. Dass sich Sloterdijk durch seine „schlampige Art zu denken und zu formulieren“, wie ein Kritiker schrieb, mittlerweile in Fachkreisen weithin disqualifiziert hat, ändert aber nach wie vor wenig an der medialen Wirkung und ideologischen Nützlichkeit für das herrschende Denken. Hat sein auch via TV verbreiteter Wortschwall einmal mit viel Getöse die Köpfe umnebelt, dauert es elendslang, bis die Sicht wieder klarer wird. Und Kollateralschäden bleiben. Vielleicht heute weniger als vor knapp dreißig Jahren. Obwohl auch damals für manche der Fall dieses großmäuligen Philosophendarstellers bereits ziemlich klar war. Zum Beispiel für den inzwischen als philosophischer Forscher und Lehrer der Grazer Universität in den Ruhestand entschwundenen Werner Sauer. „Eben ist wieder so ein Sensationsbuch auf den Markt gekommen“, begann er Im Herbst 1983 seine Abrechnung mit Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ in der Grazer Zeitschrift „Sterz“, die damals auch wegen solcher Texte interessant war. Und führte den Beweis, dass mit diesem Werk das ideologische Unterfutter geliefert wurde für den Kurswechsel der im Kampf gegen die herrschende Ordnung gescheiterten Intellektuellen der Jahre 1968ff. Hin zur „Gefühlslogik und der Mystik, der Meditation und der Selbstbesinnung, des Mythos und des magischen Weltbildes“ und jener „Phasen und Zustände des Seins … wie Ebbe und Flut … Freude und Trauer …. Im Verhältnis zu diesen Rhythmen gibt es für den Menschen nur eine gültige Haltung: Hingabe. Verstehen heißt einverstanden sein. Wer sieht, dass die Welt Harmonie in der Zerrissenheit ist, wird dagegen nicht kämpfen.“(Sloterdijk). Und Sauer fasste zitierend zusammen: „Das einzig Greifbare an Sloterdijks Hinweisen in Richtung auf das ‚ganz Andere‘ ist ohnehin nur die stets wiederkehrende Phraseologie der Hingabe und des Nicht-Kämpfens, das ‚Unterlassungshandeln‘, ‚Geschehenlassen‘, die ‚Nicht-Praxis‘ usw. als mögliche Quellen ‚höhere(r) Einsichtsqualitäten‘“.
Wer „Einsichtsqualitäten“ vorgaukelt, wo nur Rechtfertigung herrschenden Leids und Unrechts bleibt, muss mit Abfuhr und Hohn rechnen. Und damit, dass seine Schriften als das bezeichnet werden, was die politisch unkorrekte Verballhornung seines Namens aufdrängt: Schlotterteig.
» 1 Kommentar
1Kommentar
am Donnerstag, 8. Juli 2010 14:48von Dörte Graul
Passend zum Thema: Gerade erschienen \\\"Angriff der Leistungsträger? Das Buch zur Sloterdijk-Debatte\\\" Herausgegeben von Jan Rehmann und Thomas Wagner, Argument Sonderband 307, Argument Verlag.  
Dieses Buch dokumentiert die Beiträge zur Sloterdijk-Debatte und liefert darüber hinaus gründliche Analysen zum gesellschaftspolitischen Hintergrund. Hier ist ein ungewöhnlich breites Spektrum von Positionen und Denkkulturen versammelt: Die Medienpräsenz reicht vom Argument bis zur Zeit, von Cicero, FAZ und Spiegel bis zu Freitag und Junge Welt. Die Vielfalt der Texte variiert vom Zeitungskommentar über die philosophische Hintergrundstudie bis zur Satire.
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