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Die Zeitung macht Krawall
Donnerstag, 10. Juni 2010
Kopfzeile von Martin Novak An welche Zeitung denken Sie, wenn Sie von einem „bunten Krawallblatt“  hören oder lesen? Sicher, da gibt es mehrere Möglichkeiten. Und daher können wir auch nicht wissen, an welche der Krone-Kolumnist gedacht haben mag, der jüngst einen Artikel in einem bunten Krawallblatt kritisierte. An die Kronenzeitung jedenfalls nicht. Das geht nicht nur aus dem Text sehr eindeutig hervor, das geht auch nicht, dass man über die eigene Zeitung in der eigenen Zeitung so etwas schreibt. Das gilt hierzulande nicht nur für die gemeinen Redakteurinnen und Redakteure, sondern weitgehend auch für jene, die als Leserombudsmänner oder Leseranwältinnen theoretisch unabhängig von Rücksichten auf das eigene Blatt mit dem selbigen zu Gericht gehen sollen. Das tun sie ja auch – irgendwie. Sie bekämpfen heroisch Schreibfehler ihrer Kolleginnen und Kollegen, werfen sich für den Genitiv in die Schlacht, der in der Hitze des täglichen Gefechts um die Einhaltung des Redaktionsschlusses ein besonders gefährdeter Fall zu sein scheint und belustigen sich gemeinsam mit ihren Leserinnen und Lesern über missglückte Metaphern und missverständliche Formulierungen.
Das ist grundsätzlich ja in Ordnung, obwohl die in früheren Jahren geübte Praxis, die Fehlersuche Korrektorinnen und Korrektoren zu überantworten und sie vor Drucklegung vorzunehmen, im Sinne des Qualitätsmanagements eigentlich zweckmäßiger war.
In den USA heißen diese Anwältinnen und Anwälte der Leserinnen und Leser „public editors“ und sind tatsächlich ein Korrektiv statt nur eine Koordinationsstelle für das freiwillige Korrektorat durch die Leserinnen und Leser. Man muss dafür gar nicht bis ins Jahr 1981 zurückgehen, als der damalige Ombudsmann der Washington Post, Bill Green, in einem berühmt gewordenen Artikel über die für zwei Tage mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Reportage – die sich dann als frei erfunden herausstellte – schrieb: „It was a complete systems failure, and there’s no excuse for it.“
Im Februar dieses Jahres erst diskutierte der „Public Editor“ der New York Times, Clark Hoyt, in seiner Kolumne („Too Close to Home“) die mögliche Befangenheit des blatteigenen Jerusalem-Bürochefs, verursacht durch den Dienst dessen Sohns beim israelischen Militär.  Hoyt kam zum Schluss, dass der Bürochef zumindest für die Zeit des Militärdienstes eine andere Aufgabe übernehmen sollte, nicht weil er etwas falsch gemacht habe, sondern schlicht wegen der schiefen Optik.
Chefredakteur Bill Keller folgte der Empfehlung seines Ombudsmanns übrigens nicht, begründete diese Entscheidung aber ebenfalls öffentlich in der eigenen Zeitung: „… our policies are designed to make us alert, not to preempt our professional judgment.“
Enden die Möglichkeiten, sagen wir ruhig die Macht, eines New-York-Times-Leseranwalts also auch sehr rasch, nur vielleicht auf etwas höherem Niveau als in Österreich? Das mag schon sein. Aber wenn derartige Probleme für die Leserinnen und Leser sichtbar sind, können sie damit umgehen. Und eine „vierte Macht“, die so handelt, kann auf ziemlich sicherer Grundlage den anderen Mächten die Verletzung ethischer Standards vorwerfen. Statt einfach nur Krawall zu schlagen.
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