Endlich werden in der Steiermark Maßnahmen gegen die extrem gesundheitsgefährdenden Feinstaubemissionen gesetzt. An der Wirksamkeit der nun beschlossenen Umweltzone herrschen aber berechtigte Zweifel: Sie bewirken hauptsächlich eine Erneuerung der Fahrzeugflotte und kaum die nötige Reduktion der in der Stadt gefahrenen KFZ-Kilometer.
Fast acht Jahre sind ins Land gezogen, seit KORSO als erstes steirisches Medium im September 2002 mit einer Titelstory auf die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen der Feinstaubbelastung in den verkehrsreichen Ballungsräumen unseres Landes aufmerksam gemacht hat. Ein gutes Jahr später (KORSO Okt./Nov. 2003) musste in einem ersten Resümee unserer Berichterstattung eine äußerst ernüchternde Bilanz über die Bereitschaft der Politik zu wirksamen Gegenmaßnahmen im Großraum Graz gezogen werden. Heute – viele Feinstaubwinter später – sorgt die hitzige Diskussion um die Einführung einer Umweltzone mit vorgesehenen Fahrverboten für ältere Dieselfahrzeuge und alte Benziner ohne Kat noch immer für kontroverse Positionen in Politik, Wirtschaft und Interessensverbänden. Bis jetzt gab es wenig wirksame Maßnahmen.
2400 Tote. Seit Anfang 2002 wird die Konzentration von PM10-Feinstaub (Partikel kleiner als ein Hundertstel Millimeter) in der Steiermark einigermaßen flächendeckend erfasst. Die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO lagen zu diesem Zeitpunkt längst auf dem Tisch: Rund 2.400 Todesfälle sowie Zehntausende Atemwegserkrankungen in Österreich wurden laut einer Dreiländer-Studie aus dem Jahr 1999 auf die Auswirkungen von Feinstaub zurückgeführt. Die physiologischen Auswirkungen der unsichtbaren Gefahr Feinstaub sind verheerend: Winzige Schwebestaubpartikel mit weniger als etwa 10 Mikrometer, also die Feinstaubfraktion, gelangen in die Luftröhre und die Atemwege, diejenigen unter etwa 2 Mikrometer (Ultra-Feinstaub) sogar bis in die kleinsten Bronchiolen und die Lungenbläschen. Als unmittelbare Folge längerfristiger Belastung drohen nach Aussage von Medizinern, wie Dr. Manfred Neuberger vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien, chronische Bronchitis, Lungenentzündung, Asthma, Bronchialkrebs, Krebs in den oberen Luftwegen, Schlaganfälle, Infarkte – insbesondere bei Kindern, älteren Menschen und Risikogruppen. Bisher noch nicht gesondert von den Messstationen erfasst und als wahrscheinlich bedenklichster Faktor gelten inzwischen Partikel, die kleiner als 0,1 Mikrometer sind und vor allem bei Verbrennungsvorgängen entstehen. Wer ist wirklich verantwortlich für den Feinstaub? Über die einzelnen Faktoren zur Feinstaubbildung besteht weitgehend Einigkeit, weniger jedoch über den konkreten Anteil der einzelnen Verursacher. Als wesentliche Quellen für Feinstaub gelten Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Hausbrand und Transittransporte. Die größten Zuwachsraten verbuchte lange Zeit der Straßenverkehr durch Rußpartikel aus Dieselfahrzeugen, die sich seit Mitte der neunziger Jahre zunehmender Beliebtheit auch unter Pkw-Käufern erfreuen, den auch Benzinfahrzeuge betreffenden Abrieb an Reifen und Bremsen sowie das Aufwirbeln von abgelagertem Straßenstaub. Während die Grünen für ihre Argumentation mit Bezug auf den Bericht der Feinstaub-Projektgruppe des Landes Steiermark von einem Anteil des Verkehrs von 50% an der Feinstaubbelastung ausgehen, zeigen wissenschaftliche Studien für den Wiener Raum ein etwas anderes Bild: Im einer Analyse der Feinstaubzusammensetzung von Dr. Bruna Illina (TU Wien) werden den Faktoren Raumheizung, Verkehr und Industrie/Gewerbe in etwa gleich hohe Anteile von jeweils rund einem Drittel zugeschrieben. Fast die Hälfte der verkehrsbedingten Emissionen von Feinstaub soll laut Illina auf die Abriebpartikel von Bremsen und Reifen zurückzuführen sein. Sie weist jedoch auch auf den hohen Prozentsatz mineralischer Quarzstäube mit besonders hoher Toxizität bzw. krebserregender Wirkung aus Rollssplitt und Bremssand aus dem Schienenverkehr hin.
Sorge um Strafzahlung bringt Bewegung. Die in den vergangenen fünf Jahren statistisch nachweisbare rückläufige Tendenz der Feinstaubbelastung in Graz führt Umwelt-Landesrat Wegscheider u.a. auf Geschwindigkeitslimits auf den Autobahnen, den geförderten Einbau von Partikelfiltern sowie das Verbot von Brauchtumsfeuern zurück. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes, wonach die Lebenserwartung der GrazerInnen durch die Feinstaubbelastung um 17 Monate unter jener der BewohnerInnen vergleichbarer Städte lag, konnte dieser Unterschied auf 11 Monate gedrückt werden. Diese Werte sollen weiter verbessert werden, drohen doch in EU-Verfahren gegen das Land Steiermark Strafzahlungen in Millionenhöhe, wenn die Anzahl der Überschreitungstage (50 µg) nicht unter 35 pro Jahr bleibt. Für die Überschreitungen aus dem Jahr 2009 hätten beispielsweise rund zwölf Millionen Euro Strafe bezahlt werden müssen; der heurige lange Winter bis in den April hinein lässt für 2010 eine noch höhere Strafe erwarten, die jedoch ausgesetzt wird, solange die Bemühungen in die richtige Richtung weisen. Wegscheider, Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl und Vizebürgermeisterin Lisa Rücker wollen gemeinsam durch ein Maßnahmenbündel mit großflächigem Ausbau der Fernwärmenetze mit Anschlussverpflichtungen, den Austausch alter Heizsysteme, die Förderung für Firmen bei der Anschaffung neuer Lkws sowie den Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine möglichst rasche Verbesserung der Feinstaubsituation herbeiführen. Während Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in den vergangenen Wintern aus den verschiedensten Bedenken nicht ausgesprochen wurden, wurde nun im April eine Umweltzone festgelegt, die ganz Graz südlich der Kalvarienbergbrücke sowie einige südliche Umlandgemeinden umfasst. Eine ursprünglich von Wegscheider vorgeschlagene kleinere, lediglich auf die südlichen Kernbezirke von Graz beschränkte, Umweltzone wurde u.a. von der Grazer Stadtpolitik als wenig zielführend abgelehnt.
Schielen nach Deutschland: 3% Reduktion sind nahe an der statistischen Unschärfe. Als Vorbild für eine mögliche Umsetzung dienen hierzulande Umweltzonen mit Fahrverboten, die in den vergangenen Jahren in Berlin und vielen west- und süddeutschen Städten mittlerer Größe stufenweise eingeführt worden sind. Grüne (Euro 4 und besser), gelbe (Euro 3) und rote (Euro 2) Plaketten machen die Emissionsklasse für Kontrollorgane kenntlich. Aussagen über die Wirksamkeit dieser Modelle sind zurzeit noch von einer Reihe von Unsicherheiten begleitet, da in den meisten Fällen zahlreiche Ausnahmeregelungen für die Besitzer von Altfahrzeugen und Unternehmen sowie Übergangsfristen insbesondere für Anrainer eingeräumt wurden. So dürfen in den meisten betroffenen Städten auch 2010 noch Autos mit roter Plakette fahren, sodass derzeit im Prinzip nur vor 1996 gebaute Dieselfahrzeuge von einem Fahrverbot betroffen sind. Allein in Berlin und Hannover dürfen seit Jahresbeginn ausschließlich Fahrzeuge mit grünen Plaketten unterwegs sein, wobei in Berlin nur die Kernzone innerhalb des inneren S-Bahnringes als Umweltzone festgelegt ist. Messbare Abgasreduktionen (etwa 20%) bis Ende 2009 gehen mit nicht gerade beeindruckenden Absenkungen der Gesamt-Feinstaubwerte einher (rund 3%), Kritiker meinen, dass durch die Umweltzonen vor allem die Belastung mit Ultra-Feinstaub nur mangelhaft reduziert wurde und die bestehende Reduktion nahe an der statistischen Unschärfe liege. Ein weiteres, in der medialen Diskussion weitgehend ausgespartes Problemfeld ist die hohe Stickoxid-Belastung (NOx), die vielerorts über den gültigen EU-Normen liegt, was zusätzliche Schritte erforderlich macht.
Südtiroler Erfolgsrezept: Reduktion der Belastungsspitzen. Einen alternativen Weg zur Umweltzone beschreiten seit rund acht Jahren zahlreiche Südtiroler Kommunen, die bis vor kurzem ebenfalls unter starker Feinstaubproblematik litten. In den engen Gebirgstälern Südtirols ist der Einfluss des Straßenverkehrs durch den Lkw-Transit als besonders hoch einzuschätzen, betont Dr. Luigi Minach vom Umweltamt Bozen, der die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen dokumentiert hat. Neben der Förderung der Nachrüstung mit Partikelfiltern und die Einführung von Bussen mit Gasbetrieb wurde in den Südtiroler Städten der Schwerpunkt auf Winterfahrverbote (von 1. November bis 31. März) gelegt, die allerdings nur an Werktagen zu den Stoßzeiten des Pendlerverkehrs am Vormittag (7–10 Uhr) und Nachmittag (16–19 Uhr) gelten. Im Unterschied zum deutschen Modell sind auch Euro-4-Fahrzeuge ohne Partikelfilter und alle Zweitaktmotorräder in das Fahrverbot hineingenommen, betont Massimo Guariento vom Landesamt für Luft und Lärm in Bozen. Er sieht viele Vorteile im Südtiroler Modell: Es sind zwar mehr Fahrzeuge beroffen, aber nur temporär. „Gelegenheitsfahrer oder ältere Menschen, die sich kein neues Auto leisten können, werden nicht ganz von der individuellen Mobilität ausgeschlossen, da es uns vor allem auf eine Reduktion der Belastungsspitzen gegangen ist.“ Seit 2007 liegen die Messwerte in der Region an allen Messstationen deutlich unter den vorgegebenen EU-Normen, wobei hier jedoch auch meteorologische Faktoren keine geringe Rolle spielen, räumt Guariento ein: „Die relativ milden Winter der letzten Jahre haben neben weniger Hausbrand auch eine bessere Durchmischung der Luftströme bewirkt, die zu den guten Werten beigetragen haben, wie Vergleiche mit dem süddeutschen Raum belegen.“
Skepsis bei Wirtschaft und Arbeitnehmervertretung. Vor allem von Seiten der Wirtschaft und der Arbeitnehmervertreter stoßen die Pläne der Politik für eine Umweltzone auf nur wenig Gegenliebe. Der Verkehr sei nicht das eigentliche Problem, lautet der Tenor: Als Hauptverursacher ortet Dr. Marc E. Wittmann, Energiereferent der Wirtschaftskammer Steiermark, insbesondere den Hausbrand, wie „der kalte und lange Winter 2009/2010 mit seinen deutlich erhöhten Feinstaubwerten“ gezeigt habe. Der Anteil des Verkehrs werde deutlich zu hoch veranschlagt und betrage im Mittel inklusive Lkw-Verkehr nur rund 13% der Gesamtbelastung. In dieser Sicht bleiben jedoch Aufwirbelung und Sekundärfeinstaub ausgeschlossen. Als weiteres Argument führt er ins Treffen, dass bei den meisten Kfz der Abrieb bzw. die Aufwirbelung den Motor-Ausstoß inzwischen deutlich übersteige, wie eine Studie der TU Graz belegt (siehe Grafik), was ein Fahrverbot, das sich auf ältere Fahrzeuge beschränke, fragwürdig erscheinen lasse. Ähnlich die Position der Arbeiterkammer: Der Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung, Mag. Karl Snieder, hält es für falsch, „ein Problem, das nur während des Winterhalbjahres auftritt, mit einer ganzjährig geltenden Umweltzone zu bekämpfen.“ Priorität sei die Umstellung alter, besonders viel Feinstaub emittierender Heizsysteme, Mittel der Wohnbauförderung müssten dafür in die besonders betroffenen Gebiete im Grazer Süden gelenkt werden, in besonders belasteten Bereichen sei auch eine verordnete, aber eben entsprechend geförderte Heizungsumstellung denkbar. „Wenn die Feinstaubwerte in gesundheitsgeförderte Höhen klettern, dann sind natürlich auch allgemeine temporäre Fahrverbote gerechtfertigt, wie sie auch der Smogalarmplan vorsieht“, sagt Snieder. Die nicht zu unterschätzende Wirkung: „Wenn Fahrverbote dazu führen, dass weniger Fahrzeuge auf der Straße sind, dann werden natürlich auch die nicht abgasbezogenen Emissionen – der Abrieb von Reifen und Bremsen – reduziert“, sagt Dr. Jürgen Schneider vom Umweltbundesamt, der prinzipiell allerdings das Konzept der Umweltzone vorzieht, weil „Umweltzonen eine schnellere Erneuerung der Fahrzeugflotten bringen.“
Gutes Gewissen für alle durch Fahrverbote für wenige? Die Ausgrenzung von sozial ohnehin benachteiligten Schichten durch die Umweltzone wirft einen Schatten auf die geplanten Maßnahmen. Ältere Menschen oder TeilzeitarbeitnehmerInnen können sich in vielen Fällen kein neueres Fahrzeug leisten. Sie legen außerdem jährlich meist wesentlich geringere Strecken zurück als berufsbedingte Kfz-Nutzer und fallen in der Feinstaub-Bilanz wesentlich geringer ins Gewicht. Umso weniger scheint es verständlich, dass – zwar oft angekündigt – auch zu Zeiten höchster Belastung niemals generelle Fahrverbote verhängt wurden. Die Pauschalabsolution für Neufahrzeuge gegenüber „alten Stinkern“ legt die Annahme nahe, dass Interessen der Autoindustrie bei der Entscheidung für Umweltzonen eine gewisse Rolle gespielt haben könnten – erzwingen sie doch die Neubeschaffung von Kraftfahrzeugen statt der auch aus anderen Umwelt- und Gesundheitsgründen (Klimawandel!) dringend nötigen Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. In Deutschland jedenfalls „gab es schnell einen Verbündeten für die Einrichtung von Umweltzonen“, erzählt Schneider – „das war der Autohandel.“ Aber: Weder der Besitz noch gelegentliche Fahrten mit dem Pkw sind bestimmende Faktoren für die Höhe der Schadstoffemissionen, sondern dessen habituelle und unüberlegte Nutzung, ohne Alternativen in Betracht zu ziehen. Und: Je moderner die Fahrzeugflotte wird, desto weniger weitere Feinstaubreduktionen sind zu erwarten, weil der durch Abrieb erzeugte Anteil konstant bleibt – auch dagegen hilft nur eine Reduktion der gefahrenen Kilometer. Rücker hält dem entgegen: „Für Maßnahmen der Gesundheitspolitik sind soziale Implikationen sekundär, zumal 60% der sozial Schwachen gar kein Kfz besitzen, aber dem Feinstaub ausgesetzt sind. Eines ist klar: Wenn nicht bald gehandelt wird, bringt die Umweltzone aufgrund der laufenden Fuhrparkerneuerungen nur mehr minimale Effekte.“ Der Wirtschaftsstandort Graz werde „unter der Feinstaubbelastung zunehmend Schaden nehmen, da eine Ansiedlung neuer Betriebe in Zukunft verhindert“ werde. Die Modernisierung der Fahrzeugflotten von Unternehmen solle mit finanziellen Zuschüssen gefördert werden, „da jede Minderung an Emissionen die Gesundheitsgefährdung der Bewohner messbar reduziert“. Für die Innenstadtzulieferungen sei eine Umstellung auf elektrisch betriebene Fahrzeuge sinnvoll, betont Rücker. Was allerdings von den AnhängerInnen der E-Mobility nicht übersehen werden sollte: Elektroautos emittieren zwar absolut keinen Feinstaub aus dem (nicht vorhandenen) Auspuff, ihre Feinstaubemissionen durch Abrieb und Aufwirbelung sind aber gleich hoch wie bei jedem anderen Fahrzeug.
| Josef Schiffer, Christian Stenner
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