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„Den Griechen“ auf die Finger klopfen?
Sonntag, 16. Mai 2010
ImageMit seinem Sager: „Wir werden den Griechen auf die Finger klopfen, wenn sie ihre Sparpläne nicht einhalten“, hat Finanzstaatssekretär Andreas Schieder ein Vorurteil bedient, das derzeit europaweit verbreitet wird: Das von den „fleißigen“ Mitteleuropäern, die wenig arbeits-, aber dafür aber umso genussfreudigere Hellenen zur Budgetdisziplin zwingen – ein Klischee fernab der Realität.

Georg Monogioudis, geboren auf der griechischen Insel Chios, lebt seit 1958 in Graz. Der ehemalige Finanzreferent der Grünen Bildungswerkstatt, der Parteiakademie der Grünen, verfolgt das Geschehen in seinem Herkunftsland aus politischem und persönlichem Interesse sehr genau. „Die Behauptung, dass die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt hätten, ist eine schlichte Lüge.“ Die überwiegende Mehrheit der GriechInnen – es sind jene, die jetzt von den Sparmaßnahmen besonders getroffen werden – hätten überhaupt nicht von der galoppierenden Staatsverschuldung profitiert; „das waren Großunternehmen und jene Gruppe, die man „die Wenigen“ nennt – die Supperreichen, die schlichtweg keine Steuern zahlen.“ Die griechische Schuldenlast sei nur zum geringen Teil auf zu hohe Staatsausgaben – hier spiele die exorbitante Rüstung allerdings durchaus eine Rolle – sondern vor allem auf zu geringe Steuereinnahmen zurückzuführen. Als Beispiel nennt Monogioudis den Reeder Spiros Latsis: „Er hält pikanterweise – wie auch die österreichischen Medien berichteten – griechische Staatsanleihen im Ausmaß von mehreren Milliarden Euro, aber er zahlt kaum Steuern.“ Große Unternehmen leisteten „wie auch in Österreich Magna oder die Bank Austria“ prinzipiell keinen nennenswerten Beitrag mehr zum Staatswesen: „Coca Cola hat in Griechenland das Abfüllmonopol für Softdrinks – und zahlt wegen der Gruppenbesteuerung auch keinen Cent an den Fiskus.“ Das Ergebnis: Die auf griechischen Banken deponierten Geldvermögen stiegen zwischen 2004 und 2009 um 304 Milliarden Euro. „Das ist um ein Drittel mehr als die griechische Staatsschuld“. Dass es in einigen Bereichen sozialere Regelungen als in anderen europäischen Ländern gegeben hat, bestreitet Monogioudis nicht: „Es stimmt, dass Frauen bis jetzt günstige Pensionsregelungen hatten, mit denen sie Kindererziehungszeiten kompensieren konnten. Aber, abgesehen davon, dass es sich da natürlich im Verhältnis zum Gesamtschuldenstand um unwesentliche Größen handelt: Ist das etwa eine Sünde?“ Auch die vielen – schlecht bezahlten – Jobs im öffentlichen Dienst, die so genannten 500-Euro-Beamten, seien in Wirklichkeit eine Maßnahme gegen die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit, die auch nicht teurer käme als Arbeitslosenunterstützung. Die Behauptungen Monogioudis‘ finden in der Tat ihre Entsprechung in den Daten der EU-Statistiken: Die effektive Belastung für Gewinne und Vermögen beträgt im Durchschnitt in der Gesamt-EU 23,4%, in Griechenland ca. die Hälfte (12,6%) (vgl. Eurostat, „Taxation trends in the European Union, 2009, S. 327). Die Spitzenbesteuerer unter den europäischen Ländern bringen es auf 29,1% (Dänemark) oder 29,4% (Spanien). Zu hohe Löhne? „Während in Deutschland Inflation und Steuererhöhungen kaum etwas vom Lohn-Plus übrig lassen, stiegen die griechischen Löhne unaufhaltsam“, hetzt die deutsche „BILD“. Mit dem ersten Teil dieser Bemerkung hat sie Recht – dazu später. Das Lohnniveau in Griechenland ist allerdings gemessen am europäischen Standard mehr als bescheiden: „Ein Bankangestellter verdient ca. 700 Euro netto“, sagt Monogioudis. Jeder zweite Angestellte in der Privatwirtschaft verdient weniger als 1090 Euro brutto, der Mindestlohn beträgt laut SPIEGEL-Online vom 24.01. gerade mal 3,80 Euro pro Stunde. Das schlägt sich auch in den Ruhebezügen nieder: „850.000 PensionistInnen beziehen eine Pension von weniger als 700 Euro.“ Die BILD-Redaktion kann allerdings ruhig schlafen: durch die nun beschlossenen Einsparungen – etwa die Streichung der 13. und 14. Pension – und zusätzliche Belastungen wie die Mehrwertsteuererhöhung wird der „Wert“ einer Pension von derzeit 720 Euro monatlich auf 540 Euro sinken, rechnet Monogioudis vor. „Das wird die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben – derzeit ca. zwei Millionen – weiter in die Höhe treiben.“ Von „unaufhaltsam gestiegenen Löhnen“ kann jedenfalls keine Rede sein, das beweisen auch die völlig unverdächtigen Statistiken der Wirtschaftskammer Österreich: Die Lohnstückkosten stiegen im EU-Schnitt zwischen 2000 und 2010 nominell (also nicht inflationsbereinigt) um 2,1%, Griechenland liegt mit 2,7% etwas darüber, Dänemark liegt bei 3,1%, die Slowakei bei 3,5% und Rumänien bei ... 15%. (http://www.wko.at/statistik/eu/europa-lohnstueckkosten.pdf). Berücksichtigt man den Ausreißer Deutschland nicht, wo die Lohnstückkosten durch forciertes Lohndumping via Hartz IV, Ein-Euro-Jobs und dergleichen Maßnahmen nominell gerade mal um 0,5% gestiegen sind, so liegt Griechenland mit seiner Lohnentwicklung im guten EU-Schnitt.

„Ein verschärfter neoliberaler Kurs für ganz Europa.“ Die zunehmende Spreizung der Lohnstückkosten in Europa ist in der Tat ein Problem – schuld daran sind allerdings nicht jene Staaten, wo die Löhne parallel zur Zunahme der Produktivität steigen, wie es einer sich gelichmäßig entwickelnden Volkswirtschaft entspräche, sondern jene, wo sie im Verhältnis dazu sinken. Sie untergraben damit die Kaufkraft im eigenen Land und müssen daher zunehmend auf Exporte setzen. Hauptsünder ist ohne Zweifel Deutschland: Sein Exportwunder ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Löhne in den letzten Jahren sogar absolut gesunken sind, nämlich zwischen 2000 und 2008 um 0,8%. Das Land mit der zweitniedrigsten Lohnsteigerung war übrigens Österreich mit einer durchschnittlichen Reallohnsteigerung von gerade mal 2,9% – was natürlich ebenfalls deutlich unter der Produktivitätssteigerung liegt (http://www.eu-info.de/arbeiten-europa/jobsuche-arbeiten-europa/realloehne/). Aus diesem Missverhältnis ergibt sich ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit: Laut Welt-Online vom 1. Mai exportierte Deutschland 2009 Waren im Wert von rund 6,7 Mrd Euro nach Griechenland, der Güterstrom in die umgekehrte Richtung erreichte gerade mal einen Wert von 1,9 Mrd. Dieses Missverhältnis führt zwangsläufig zur Verschuldung – entweder der privaten Haushalte oder des Staates. „Das Handelsbilanzdefizit muss jedenfalls durch Kapitalimporte ausgeglichen werden“, sagt der Ökonom Joachim Becker von der Wirtschaftsuniversität Wien – im Falle Griechenlands eben durch Kreditaufnahme des Staates. „Man könnte es so formulieren: Der Staat hat die Nachfrage nach den Importgütern aufrecht erhalten, indem er durch eine relativ expansive Budgetpolitik nicht zugelassen hat, dass die Kaufkraft fällt wie in Deutschland.“ Wobei man aber klarstellen müsse, dass die Schuldenprobleme anderer Länder mindestens ebenso gravierend seien: „Ich halte die Situation Irlands für viel labiler als jene Griechenlands, weil die Staatsschuld Irlands in den letzten zwei, drei Jahren noch viel stärker gestiegen ist als jene Griechenlands und Irland das höchste Budgetdefizit der EU aufweist. Zudem sollen allein für die Rettung einer Bank, der New Irish, 13% des BIP aufgewendet werden; der Banken- und Finanzsektor in Irland in einer wesentlich schlechteren Verfassung ist als in Griechenland.“ Ähnliches gelte, wenn man den Vergleich zwischen dem ebenfalls ins Visier der Ratingagenturen geratenen Spanien und Großbritannien ziehe: „In Großbritannien ist die Staatsschuld in den letzten Jahren ebenfalls sehr schnell gestiegen, beide Länder haben das Problem, dass der Industriesektor nicht besonders stark ist, in Großbritannien ist er im Lauf des letzten Jahrzehnts sogar besonders schnell geschrumpft. Der Finanzsektor ist in einer deutlich schlechteren Verfassung als jener Spaniens – über Großbritannien wird aber im Zusammenhang mit der aktuellen Krise kaum gesprochen.“ Warum das so ist? Becker: „Es fällt auf, dass alle drei Länder – Griechenland, Spanien und Portugal – die jetzt offen attackiert werden, sozialdemokratisch regiert sind, vor allem aber keine so rigide Lohnsenkungspolitik betreiben wie etwa Irland.“ Es gehe letztendlich wohl darum, auf dem Umweg über die Peripherie einen „verschärften neoliberalen Kurs für ganz Europa“ durchzusetzen – mit weiteren Privatisierungen, Pensionskürzungen, einer weiteren Liberalisierung des Arbeitsmarktes, „der ganzen klassischen Politik des Internationalen Währungsfonds“ – bis hin zu Lohnsenkungen, wie sie IWF-Chef Strauss-Kahn jüngst begrüßt hat. Der Hebel dafür ist schnell gefunden – denn auch in den vermeintlich stabilen Zentren der Union wachsen die Schulden. Der Gesamtschuldenstand Österreichs wird zum Beispiel von 69,1% des BIP im vergangenen Jahr auf 73,9% im heurigen und 77% im nächsten Jahr ansteigen, in Deutschland von 73,1% auf 76,7% bzw. auf 79,7% im nächsten Jahr.

2011: „Die Stunde der Wahrheit“. „In ganz Europa steigen Budgetdefizite und Staatsschuldenquoten“, sagt auch der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister im KORSO-Gespräch. Die mediale Aufmerksamkeit richte sich nur auf Griechenland, Spanien und Portugal; indem man aber geflissentlich übersehe, dass Länder wie Deutschland und Österreich vor dem gleichen Problem stehen, „begibt man sich selbst der Chance, das Problem bei der Wurzel zu packen und eine grundlegende Therapie zu versuchen.“ Die jetzt angewandte müsse jedenfalls versagen: Um die akkumulierten Staatsschulden zurückzahlen zu können, brauche es ein stabiles nominelles Wirtschaftswachstum von 6 oder 7%. Schulmeister: „Die Stunde der Wahrheit wird nächstes Jahr schlagen, wenn die Regierungen in Europa versuchen, ihre Budgets durch Einsparungen zu konsolidieren. Daraus wird sich eine neue Wirtschaftskrise ergeben.“ Das Griechenland verordnete Zinsniveau von 5% für die Rückzahlung der Hilfskredite sei „völlig willkürlich“ – bei einem prognostizierten Schwund des griechischen BIP von 4% real, nominell von ca. 1% könne sich das ja „vorn und hinten nicht ausgehen.“

Noch mehr Exporte? Mainstream-Ökonomen wie etwa IHS-Chef Bernhard Felderermeinen zu wissen, wie man aus dieser Falle rauskommt: Durch noch mehr Exporte, soll heißen, durch noch schärferen Wettbewerb, weitere Lohnverzichte und Kaufkrafteinbußen. Und dann gilt es ja auch noch, Abnehmer zu finden, nach Möglichkeit außerhalb der EU, wo ja alle Staaten dieser Spirale nach unten folgen. Schulmeister wie auch Becker halten diese Lösung jedenfalls für unrealistisch. „Exporte nach Ostasien können nicht die Wachstumsraten in ganz Europa über den Zinssatz treiben“, sagt Schulmeister, und Becker ergänzt: „Vor allem Österreich ist in seinen Exporten im Wesentlichen auf die Union beschränkt, das kann man nicht einfach so mal rasch ändern.“ Welche Möglichkeiten gibt es dann, dem Kreislauf aus steigenden Schulden, damit steigenden Zinsen für Staatsanleihen und durch Einsparungen sinkender Wirtschaftsleistung zu entgehen? Für Schulmeister wäre eine „stabile, etwas höhere Inflation“ die Möglichkeit der Wahl. „Ich bin mir aber nicht sicher, wie leicht sich das überhaupt machen lässt – in einer schweren Krise funktioniert der Trick mit der Geldpresse nicht.“ Wenn eine Inflationslösung aber ausscheide, bleibe nur die Lösung, über die Europäische Zentralbank Geld zu sehr niedrigen Zinssätzen an Staaten wie Griechenland zu verleihen; wegen des restriktiven Statuts der EZB müsste allerdings eine staatlich kontrollierte Bank dazwischengeschaltet werden.

Austritt, Entschuldung, Abwertung? Becker wiederum hält für Länder wie Österreich eine Wiedereinführung von Vermögenssteuern und die Erhöhung der Einkommensteuerprogression für zentrale Maßnahmen zur Schuldenreduktion: „Damit würden die Staatseinnahmen wieder steigen und gleichzeitig die Summe,die in spekulative Geldanlagen fließt, reduziert; das würde auch den Druck auf Griechenland, Spanien, Portugal und die osteuropäischen Länder reduzieren.“ Ein zweiter Schritt müsste in einer „deutlich anderen EU-Politik bestehen, die verhindert, dass die Löhne weniger rasch steigen als die Produktivität, um die Unterbietungskonkurrenz, wie sie jetzt über längere Zeit von Deutschland betrieben wurde, zu unterbinden.“ Für Griechenland könnte es durchaus Sinn machen, der Währungsunion den Rücken und zur Drachme zurückzukehren, weil es dann wieder möglich wäre, die Währung zur Verhinderung von Exportattacken abzuwerten. Eine solcher Schritt müsste allerdings mit einer partiellen Entschuldung verbunden werden, weil die Schulden ja in Euro bestehen. Becker zieht Vergleiche mit dem Schwellenland Brasilien, das vor ca. 10 Jahren seine Währung ebenfalls abwertete: „Diese Maßnahme hat damals eine Restabilisierung des Industriesektors und auch eine Konsolidierung der Binnenwirtschaft ermöglicht.“ Im Augenblick haben allerdings die europäischen Chikago-Boys wieder Oberwasser.

l Christian Stenner

» 1 Kommentar
1"Ing."
am Sonntag, 30. Mai 2010 14:37von Otto A. Wagner
Endlich einmal eine alternative Darstellung und Interpretation der Fakten! Ich lebe seit 1973 in Deutschland und vermisse hier seit langem schon Stimmen, die im Widerspruch zur offiziellen Meinungsmanipulation stehen. Viel Erfolg! 
 
Mit freundlichen Grüßen 
 
Otto A. Wagner
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