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Links, Rechts, Mitte: Das Ende der Ideologien? |
Sonntag, 16. Mai 2010 | |
Seit Jahrzehnten drängeln sich die Großparteien mit ihren Programmen zunehmend in der „Mitte“ um die Gunst des steigenden Anteils der Wechselwähler, der sich einer eindeutigen Kategorisierung entzieht. Umso energischer erfolgt oft in der Hitze des Wahlkampfes die verbale Abgrenzung zum politischen Gegner, der entweder als Ausbund des Kollektivismus oder als Tummelplatz des Neoliberalismus gebrandmarkt wird.
Auf Einladung der VP Steiermark diskutierten im Rahmen der Reihe Modell:Zukunft:Steiermark der Spiegel-Redakteur und Autor Jan Fleischhauer, Ex-Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel und Günter Verheugen (SPD), ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission, über die Sinnhaftigkeit der althergebrachten Zuweisungen. Rote Jugend ohne Orangen. In seinem Impulsreferat schilderte Jan Fleischhauer, der in einem sozialdemokratischen Elternhaus aufgewachsen ist, seine Emanzipation zum Konservativen. Mit markigen Worten geißelt der Verfasser des Buches „Unter Linken“ die „linke Glaubensgemeinschaft“, die sich vor allem in politisch korrekter Ablehnung der USA, der Großkonzerne und der Atomkraft ausdrücke. Der Tugendterror, der für Fleischhauer damals in den siebziger Jahren seinen fast traumatischen Ausdruck im Boykott von Orangen aus „bösen“ Diktaturen fand, habe sich bis heute als „linkes Meinungsmonopol“ verfestigt. Die SPD habe sich unter dem Eindruck von 1968 zur „Heilsarmee im Kampf gegen die Reste des Faschismus“ gewandelt. Dies äußere sich darin, dass sich insbesondere Journalisten und Medienvertreter in dem Lebensgefühl sonnen wollen, „stets auf der richtigen, nämlich der linken Seite zu stehen“. Diese biografischen Erfahrungen hätten ihn bewogen, sich bewusst konservativen Positionen zuzuwenden. Dennoch spart er nicht mit Kritik an „bürgerlichen“ Regierungen, wie die aktuelle CDU-FDP-Koalition in Deutschland, die eine verantwortungslose Verschuldungspolitik nach sozialistischem Muster betreibe. Vernunft der Mitte und starker Staat. In der daran anschließenden Diskussion, die moderiert von Dr. Martina Salomon in der Aula der Alten Universität Graz stattfand, nahmen Schüssel und Verheugen zu den griffig formulierten und provokativen Thesen des Spiegel-Autors Stellung. Die Werte des „gesellschaftlichen Liberalismus, der Sozialpolitik sowie der Marktwirtschaft seien heute in allen Parteien anzutreffen“, relativierte Schüssel den ideologischen Rückgriff Fleischhauers auf die Nachkriegsjahrzehnte. Noch drastischer konstatiert Verheugen, da „beide Volksparteien ein überaus breites Spektrum abdecken“, heute eine weitgehende Deckungsgleichheit: „Die Korrektur eines übersteigerten Marktliberalismus ist keine Frage von links oder rechts. Es ist nicht sinnvoll, die Probleme von heute mit den Kategorien von gestern zu lösen.“ Auch Schüssel plädiert im nicht gerade neoliberalen Sinne für einen „starken Staat“, der einen Ordnungsrahmen setzen müsse. Den Herausforderungen der Globalisierung, in Gestalt von Steuerparadiesen, computergesteuertem Wertpapierhandel usw., müsse mit Regulierungen begegnet werden, die den „Wildwuchs der Wirtschaft bändigen“. Feuer der Ideale statt Asche der Ideologien. Den gemeinsamen Gegner orten die Europa-Politiker Schüssel und Verheugen einmütig in den radikalen Parteien, sei es von rechts oder von links, die im Grunde dieselben Ziele verfolgten: Verbreitung von Anti-EU-Stimmung, Ausländerfeindlichkeit und utopischen Sozialpopulismus. Im Gegenzug sieht Verheugen fast nichts Trennendes zwischen sich und Schüssel, da er sich „eher als Liberaler, denn als Sozialdemokrat fühle, schon gar nicht als Sozialist“. Das Zeitalter der Ideologien sei vorbei, für ihn würden eher Ideale zählen, ergänzt Verheugen. Während linke Parteien vorwiegend mit „moralischen Keulen“ agierten, setzten konservative Bewegungen eher auf Persönlichkeiten, macht Fleischhauer Unterschiede aus. Kategorien wie „gut“ oder „böse“ seien nicht mehr zeitgemäß, argumentiert Schüssel, die Parteien sollten schließlich „nicht die Asche der Überlieferung bewahren, sondern das Feuer weitertragen“. Die offensichtlich großflächige Übereinstimmung der Diskussionspartner ließ allerdings viele Fragen offen, wie etwa jene, ob die Gesellschaft wirklich ausschließlich von den linken Meinungseliten am moralischen Gängelband geführt wird oder ob es nicht auch so etwas wie „rechte Moralkeulen“ der fleißigen und ehrlichen Nettozahler gibt. | Josef Schiffer
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