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Die unglücklichen Diebe oder Arme Schweine / C’est la vie.
Dienstag, 13. April 2010
(romanprojekt. änderungen vorbehalten) von Alexander Micheuz

DIE FORSCHUNGSREISE; ein/gekürztes Kapitel

[DIE FORSCHUNGSREISE] Curt stand allein an Deck und schrie im fahlen Mondschein: Ich kann das Scheiß Meer nicht mehr sehn! Das Scheiß Meer macht mich traurig, unendlich traurig macht mich der Anblick des Meeres, das nicht unendlich ist, weil es einen Strand hat. Alles macht mich traurig, weil es endlich enden muss. Denn gar nichts ist so groß auf dieser Welt, dass es keine zwei gottverdammten Wurstenden hat. Unendlich unterwegs ist nur diese Traurigkeit, dieses Monster der Nacht, das einen auch tags anfallen kann, das es immer gibt auf dieser Welt, solange es diese Welt geben wird. Und diese Welt wird es nicht immer geben. Dich wird es nicht immer geben. Deswegen weine ich. Und das Meer ist eine Lügnerin, die uns das gut vorgaukelt, dass es etwas Beruhigendes gibt auf dieser schönen, traurigen Welt; die Wellen. Aber solche Wellen gibt es nicht, die das verwischen könnten, was ohnehin schon längst im Sandstrand verschwunden ist, dein Name und mein lächerliches Herz, das dich mit einem abgebrochenen Schilfrohr gezogen einkreist. Kitschig bist du! Kitschig bist du selbst, du Scheißwelt!

Das war ja klar, dass wir Schiffbruch erleiden würden, und das war selbstverständlich ebenso klar, dass wir stranden würden, irgendwo.
In einem Hubschrauber würde man sie davonfliegen, bergen würde man sie, retten, sagten manche, zurück zur Basis, würde man anweisen, und meinen würde man die unmögliche Sehnsucht nach Halt unter den Füßen, die man nicht abschrauben kann und austauschen, wenn sie einmal kalt geworden sind.

Muss es denn immer ein Schiff sein?

Die unglücklichen Diebe

Das Schiff

Curt griff sich erneut an die Brust, weil er fürchtete, es könnte ihn jederzeit überholen. Sein Herz.
Das hat es alles schon gegeben, Curt.
Das hat es alles schon gegeben.
Und das hat es auch schon gegeben.
    
Ein Geräusch, flüsterte er nervös, ein Geräusch in der Nacht, ein nächtliches Geräusch. Die Vorhut der endgültigen Nacht, ein Kommando!
Jetzt beruhig dich doch, Arne, ganz ruhig.
Nenenenenenene.
Alles lächerlich. Lächerlich und (tod)ernst. Zum Auslachen. Du Sinnlosigkeitsfanatiker.
Weiter im Text.

Wir wissen nicht, was wir hier tun.
Curt weiß es!
Curt, Curt! Curt gibt bloß immerzu vor, eine Ahnung zu haben!
Keiner weiß das, was es damit auf sich hat.
Alles muss man aber auch nicht wirklich verstehen.
Auf dieser Welt muss man nämlich eigentlich gar nichts verstehen, weil es eigentlich nur Nichts zu verstehen gibt, auf dieser Welt.
Weder wissen wir, wo wir da eigentlich hinsteuern, noch, was sich im Laderaum befinden soll.
Papier natürlich, Papier und eine Lupe.
Wofür denn eine Lupe, Arne?
Für das Auge.

Ein verirrter Krake erreichte das Schiff in der Nacht und stieg krakenähnlich an Bord und verschanzte sich in einem dunklen Winkel des Bootes. Irritiert, auflauernd und unbemerkt.

Etwas später…
Arne hatte es sich mittlerweile unter der Spitze des Seemastes gemütlich gemacht mit einem fetten Holzbottich, aus dem er Rum schöpfte, um sich zu beruhigen, mit sehnsüchtig aufgerissenem Mund. Das ist keine Bowle, das ist eine Hyperbowle!, schrie er gleichermaßen hungrig und lebensmüde.
Wenn er aufs Deck hinunter sah, musste er leise schmunzeln, wie sie da so standen, Curt nachdenklich das Steuer in der Hand und eigentlich keine Idee davon, wohin es gehen sollte, Ivan, der eine Angel verkehrt ins Wasser hielt und Hermes, der ein Glas Rotwein schwenkend allem Anschein nach mit einer Möwe sprach.
Was für eine sonnige Nacht, schön, wie der Mond so leuchtet, strahlte Arne und blickte hoch über den Horizont hinaus, ehe er halsbrecherisch, aber beseelt mit dem Glück des Betrunkenen wieder zu den anderen hinunterkletterte, in der einen Hand den Bottich, in der anderen das Glück, das manchmal auch ein Seil sein konnte (=eine Art der Verstrickung).
Nimm doch auch einen Schluck, Hermes!
Curt stellte den Autopiloten ein, indem er einen Holzfuß irgendwie im Steuer verkeilte, worauf das Schiff wieder Rauch abgab und einmal kurz laut jubelte.
Wir sind hier auf dem Boot wie eine kleine Gemeinde, Leute, sagte Curt und erhob sein Glas zur rasch hereingebrochenen Mitternachtsstunde, der Hundestunde, und ließ es abrupt fallen, und eine kleine Gemeinde hat immer auch ein Geheimnis.
Das Glas klirrte, als es auf den Boden traf.
Was für ein Geheimnis denn, Curt?
Ein Geheimnis, tuschelten Ivan und Hermes und berieten sich mit der Möwe.
Es hatte mit der Fracht zu tun. Soviel meinten Hermes und Ivan der Möwe entlockt zu haben.
Arne spielte sich im Rausch.
Uhhhaaaaa!, ich glaube, ich falle um jetzt!
Jetzt!
Und im allernächsten Moment:
Und jetzt bin ich übergroß und mächtig, Curt, sieh her, Curt, sieh her und Arne machte eine sich Hals über Kopf verrenkende Figur im Licht des Mondes.
Bombastisch, Curt, schau dir das an! Arne schielte ungläubig durchs Fernglas.
So viel Meer und gar kein Fisch!
Hermes saß in seinem Seeschaukelstuhl und schubste die Angel von Ivan mit dem Fuß ins dunkle Meer. Ivan hatte bei all den Fragen, die ihn beschäftigten, ganz darauf vergessen, sie irgendwo festzumachen und bekam sie im allerletzten Moment doch noch irgendwie zu fassen.
Hermes! Ich warne dich!
Selber!
Nachdem der Rum einige Male die Runde gemacht hatte, herrschte beste Laune auf dem Schiff.
Ach, wie oft fühle ich doch mit diesem einsamen, unverstandenen Anglerfisch, irgendwo da unten, der aber ein gewaltiges Licht vor sich her trägt.
Sein eigenes bescheidenes Licht.
Was soll das heißen, Curt, was sollte das eben heißen jetzt, bescheidenes Licht?
Gar nichts, Ivan, nichts.
Hermes zupfte seiner Freundin, der Möwe, einzelne Federn aus wie einer orakelnden Blume.
Und das ist wirkungsvoll.
Und das ist wirkungslos.
Und das ist überhaupt wirkungslos.
Das ist absolut nichts.
Und das ist absolut gar nichts.
[Die Türen schlossen sich oder die Zeit verging.]
Der Rum war alle.
Das ist aber kein Spaß mehr, wie das hier schaukelt Curt, verdammt Curt, das ist die große Flut, die uns alle verschlingen wird!
Nein, Ivan, das ist bloß der Wind, der etwas stärker geht.
Sieh her! Uhuuu! Ich, ich, der Windmensch!, schrie Arne, wieder an die Spitze des Mastes geklettert, an dem sich eine lange Unterhose verzweifelt gegen den Wind stemmte.
Arne, du kannst nicht abheben. Komm wieder runter da, sagte der strenge Curt.
Und du Ivan, hör auf, den Mast zu schütteln!
Ein trauriges, verstörendes Schauspiel. Die Möwe flog genervt davon, als Hermes sie freundschaftlich in den Schwitzkasten nehmen wollte.
Der leere Rumbottich rollte über das schwankende Deck. Eine Maus rannte im Fass um ihr Leben. Hermes und Ivan sprangen immer wieder hoch, um die Möwe zu fassen zu kriegen, die in immer weiteren Kreisen unerreichbar um die Spitze des Mastes flog.
Curt schlich sich unbemerkt von den anderen davon, die an allzu schwärmerischen Erwartungen laborierten, in den Frachtraum. Arne aber täuschte Curt und verfolgte ihn.
Hermes stritt sich mit Ivan über den Unsinn als einzige Konstante in seinem Leben. Ivan konnte das Wort Konstante nicht richtig zuordnen. Er dachte an Constanze. Und Constanze war schließlich seine erste, große Jugendliebe gewesen. Bevor Hermes dieses außer Kontrolle geratene Missverständnis aufklären konnte, fingen sie auch schon an, sich an den Haaren zu ziehen. Ivan schlug mit der Angel nach Hermes. Dann schlug Hermes Ivan mit der Angel. Und die Möwe flatterte großräumig über dem Schiff umher, eine Schiedsrichterin über all ihren Köpfen, und zählte die Punkte.
Mit dem leeren Rumbottich über dem Kopf, in dem eine tote Maus lag, hielt Arne in einer Ecke einen Handstand, aber dann verließen ihn die Kräfte.
Arne, was machst du bloß hier unten?
Ich bin dir halt gefolgt, Curt, sagte er dumpf und nahm das Holzfass ab.
Curt trat mit dem Licht der Lampe in der Hand traurig zur Seite und überließ Arne schließlich den Zutritt in den Frachtraum.
Was ist da drin, Curt?, kann das sein? Arne spähte ungläubig in alle Ecken.
Curt nickte ausdruckslos. Das ist alles, Arne. Und dieser Fischkutter hier, der gehört jetzt uns.
Ein leerer Raum. Arne sagte, ein stilles Nichts.
Das ist doch wunderbar!, Curt, sieh her, siehst dus nicht?
Auf den finsteren Boden gestreut mit Leuchtsalz, Nada, Spuren, die in den Augen schimmern! Siehst du!
Was phantasierst du wieder, Arne. Es ist ein dunkler, leerer Raum -
Nein, Curt, ich kann es sehen, es ist alles hell erleuchtet!
Das ist doch lediglich eine alles verschleiernde Nebelfreude, die du hier simulierst, Arne, Wir haben Nichts! Curt stockte, Gar nichts.
Aber Curt, es war doch immer dein größter Wunsch, ein eigenes Boot!
Ich hätte niemals gedacht, dass dieser Kahn zu so einem Bild fähig sein könnte. Stille. Und Leere. Das ist Poesie, Curt!
Curt griff sich an die Brust. Sein Herz stand plötzlich still.
Der Krake, der sich anfangs ungesehen an Bord geschlichen hatte, sagte kein Wort und löschte das Licht. Aus

Alexander Micheuz,
geboren 1983 in Bad Eisenkappel/Železna Kapla. Diverse Veröffentlichungen, u.a. in Literaturzeitschriften und Anthologien. Masterstudium der Germanistik an der KFU Graz, Diplomarbeit zu Werner Schwab. Dramatikerstipendium des BMUKK 2009 für das Stück MACHT.

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