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Buchrezensionen
Dienstag, 13. April 2010

Unbekanntes Libyen | Geschichte machen und Geschichte kommentieren | Galizischer Bilderbogen | Die EU und ihre Eliten | Steirische Berichte – lebendig und bewegt | Vermutungen über das Schöne

Sach- und Fachbücher

Unbekanntes Libyen

Fritz Edlinger / Erwin M. Ruprechtsberger (Hg.):  LIBYEN – Geschichte – Landschaft – Gesellschaft – Politik. Wien: Promedia 2010, 264 S., Euro 17,90

Regelmäßig zieht Libyen die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf sich. Das Land selbst, seine Geschichte, seine Kultur und auch seine Gegenwart sind aber nur wenigen bekannt, obwohl Libyen zu den bedeutendsten Erdölproduzenten der Welt zählt. Es ist nicht nur einer der flächenmäßig größten Staaten Afrikas, sondern auch eine der bestimmenden politischen Kräfte des Kontinents. Der Wille, einen eigenständigen politischen Weg zu gehen, strahlt auch auf andere afrikanische und arabische Staaten aus.
Historisch wird der Bogen von den frühesten Zeiten menschlicher Besiedlung über das punische Karthago-Reich und die römische Herrschaft bis zur italienischen Kolonisierung gespannt. Eigene Beiträge widmen sich Minderheiten wie den Tuareg oder dem Projekt, Wasser aus den Tiefen der Wüste an die fruchtbarere nördliche Küste zu pumpen. Politisch und ökonomisch setzt sich eine Reihe von AutorInnen mit dem Libyen von heute auseinander, der den Feudalismus sprengenden Revolution von 1969, dem als „grün“ titulierten dritten Weg mit seinem Partnerschaftsmodell anstelle von kapitalistischer Verwertungslogik und kommunistischer Kollektivierung, den Außenbeziehungen des Landes seit dem Handschlag zwischen Muammar Gaddafi und Österreichs Kanzler Bruno Kreisky im Jahre 1982 sowie dem Anschlag von Lockerbie 1988 und seinen Auswirkungen. \ gm

KORSO verlost in Zusammenarbeit mit dem Promedia-Verlag 5 Exemplare des Buches beim Kulturquiz unter www.korso.at!


Geschichte machen und Geschichte kommentieren

CAMERA AUSTRIA International Nr. 109/2010, 95 S., Euro 15,--

Texte und Interviews sind für die Arbeiten von Sarah Pierce charakteristisch – in ihrem Gespräch mit Rike Frank erläutert sie ihre Arbeitsweise exzessiver Recherche. Über Workshops und geschaffene Archive ist es der Prozess selbst, der ihr Interesse gefangen nimmt: wie und mit welchen Mitteln das angehäufte Material schließlich zu Geschichten zusammenfindet.
Bei den Arbeiten von Anna Artaker geht es um Wahrnehmungen und nicht zuletzt um Erkennbarkeiten und neue Zusammenhänge. Sie versucht eine künstlerische Annäherung und Analyse des Geschichtsbilds. Und damit geht es auch um bildnerische Machtmechanismen: z.B. wenn beinahe zeitgleich entstandene Bilder aus dem romantischen „Sissi“-Streifen mit dem Ungarn-Aufstand in Zusammenhang gebracht werden.
Carole Condé und Karl Beveridge gehen noch weiter – in Richtung einer politischen Fotografie, wenn sie sich mit sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten auseinander setzen. In ihren Inszenierungen und Montagen verstehen sie das Medium als direktes Mittel, um Betroffene wie Aktivisten zu unterstützen. Allan Sekula, den eine lange Freundschaft mit dem kanadischen Künstlerpaar verbindet, hat den begleitenden Essay zur umfangreichen Werkauswahl beigesteuert. \ ep


Galizischer Bilderbogen

Paolo Caneppele: Die Republik der Träume. Bruno Schulz und seine Bilderwelt. Graz: Clio 2010, 184 S., Euro 18,--

Dem Leben und Werk des Polyartisten Bruno Schulz, geb.1892 im polnisch-galizischen Drohobycz,  widmet Paolo Caneppele, Leiter der Sammlungen im Österreichischen Filmmuseum, einen kleinen bei Clio in Graz erschienenen Band. Schulz, der Verfasser der „Zimtläden“ und anderer phantasievoller Erzählungen, setzte in seinen Werken der bunten Welt des jüdischen Galizien ein Denkmal. Da wimmelt es nur so von Kometen, Schneiderpuppen, Haarwuchsmitteln, Kinematographen-Vorführungen am Dorf, Jahren, welchen ein dreizehnter Monat wächst ... und am Ende steht der sinnlose Tod im Ghetto von Drohobycz am 19. November 1942, ob durch die Hand eines Wiener Gestapobeamten, eines SS-Mannes oder eines anderen Nationalsozialisten, ist bis heute nicht geklärt. \ cs


Die EU und ihre Eliten

Max Haller: Die Europäische Integration als Elitenprozess. Das Ende eines Traums? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, 545 S., Euro 34,90

Am 29. Mai 2005 lehnten die französischen StimmbürgerInnen zu nahezu 55% den Verfassungsentwurf für die EU ab. Damals kursierten in Österreich, wo das Wissen über die Verhältnisse in den romanischen Ländern traditionell gering ist, Verschwörungstheorien, die u.a. auch vom Politikwissenschafter Anton Pelinka oder vom grünen Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber verbreitet wurden: Eine unheilige Allianz aus linksextremen Parteien (die allerdings zusammen maximal 12% des WählerInnenpotenzials mobilisieren können) und rechtsextremem Front National (der in der einschlägigen Kampagne aber kaum in Erscheinung trat) habe das „antieuropäische“ Ergebnis zu verantworten. In Wirklichkeit war in keinem Land Europas eine so demokratische Debatte geführt worden wie in Frankreich: Jedem Haushalt war das Dokument per Post zugegangen, sogar in 500-Seelen-Gemeinden waren öffentliche Diskussionsveranstaltungen abgehalten worden. Die Abstimmungsniederlagen in den Niederlanden und später in Irland folgten.
Diese Referenden, so die These des Grazer Soziologen Max Haller, brachten die Diskrepanz zwischen den Wünschen der europäischen Eliten und jenen der Bevölkerung an den Tag; sie stellen den Anlassfall einer ausführlichen, auch für den politisch interessierten Laien interessanten Studie Hallers über die Europäische Integration dar, die er in ihrer aktuellen Form als Projekt der wirtschaftlichen, politischen und bürokratischen Eliten (der „Eurokratie“) sieht; vor allem letztere ist einem rasanten Wachstum unterworfen und umfasst inzwischen 40.000 Personen, die sich aus Gründen des persönlichen Fortkommens mehr mit der „Institution der Europäischen Union“ als mit dem hehren Ideal Europa identifizieren.
Die Studie bringt viele Details zur Intentionalität der Handlungsweisen von Eliten ans Licht (etwa das weithin in Vergessenheit geratene Faktum, dass es nicht die deutschen StimmbürgerInnen waren, die Hitler via Zustimmung zu seinem Ermächtigungsgesetz zur absoluten Herrschaft verhalfen – die NSDAP hatte bei den Wahlen 44% der Stimmen erhalten –, sondern 441 von 535 Bundestagsabgeordneten unter vorherigem Ausschluss von SPD und KPD).
Als wenig stichhaltig erweist sich im Übrigen die Meinung der Eliten, sie seien im Gegensatz zum Volk deswegen besonders befugt, über den Integrationsprozess zu entscheiden, weil sie über wesentlich profundere Informationen verfügten: In einer deutschen Befragung von fünf Abgeordneten aller Parlamentsparteien, die am Morgen zuvor über den Lissabon-Vertrag abgestimmt hatten, wussten nur einer der Mandatare auf eine einzige der vier (einfachen) Fragen eine richtige Antwort zu geben.
Hallers Fazit: Die europäischen Eliten träumen den alten Traum einer Union, die sich auf dem Weg zu einer neuen politischen und militärischen Weltmacht sieht; ein Europa, das sich als demokratisch und sozial ausgeglichene Gemeinschaft von Nationen entwickelt und das an friedvollen Außenbeziehungen interessiert ist, wird nur dann Wirklichkeit werden, wenn „die Völker und Bürger der EU mehr Einfluss auf die Ziele und Form des Integrationsprozesses gewinnen.“  \ cs


Steirische Berichte – lebendig und bewegt

steirische berichte 1/2010, lebendig.bewegt.land.steiermark. Steirisches Volksbildungswerk: Graz 2010, 46 S., Euro 5,--

Die „steirischen berichte“, seit mehr als einem Jahr in neuem Design, begrüßen in der aktuellen Ausgabe den Frühling in allen Facetten die unser Bundesland zu bieten hat. Auf insgesamt 50 Seiten geben Chefredakteur Mag. Gerald Gölles und Team Einblicke in unterschiedliche Lebensbereiche – von Hochwasserschutz und Dorfbrunnen über Energiesparen mit Thermografie bis hin zu einem Projekt zur Forderung der Kompetenz der BürgerInnen. Und es werden kulturelle Highlights besprochen und gezeigt: Tracht im Wandel der Zeit, Museen (Österreichisches Freilichtmuseum Stübing, Landwirtschaftsmuseum Stainz, Museen im Vulkanland) und Veranstaltungen (Diagonale, regionale), für die die Steiermark berühmt ist. Der Blick ins Literaturhaus Graz und in die Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein rundet das informative und für viele Zielgruppen lesenswerte Werk ab. Gratulation! \ dw

KORSO verlost in Kooperation mit dem Steirischen Volksbildungswerk 3 Exemplare der steirischen berichte 1/2010 unter www.korso.at



Belletristik

Vermutungen über das Schöne

Helwig Brunner: Schuberts Katze. Musikgedichte. Horn: Edition Thurnhof 2010, 40 S., Euro 24,--

Die Feststellung, dass Lyrik und Musik nicht nur wegen ihrer Grundstrukturen Metrum und Rhythmus viel gemein haben, ist trivial. Dass die Vertonung meisterlicher Lyrik durch meisterliche Tonsetzer herausragende musikalische Werke hervorgebracht hat – siehe Eichendorff und Schumann – beweist die Musikgeschichte hinlänglich. Dass Lyrik sich nicht nur in allgemeiner Form mit Musik, sondern mit spezifischen Musikstücken auseinandersetzt, ist auch nicht ganz neu (man denke etwa an Brentanos „Nachklänge Beethovenscher Musik“). Interessant wird’s, wenn ein naturwissenschaftlich, musikalisch und lyrisch geschulter Künstler wie der Grazer Helwig Brunner sich unterschiedlichsten musikalischen Werken schreibend nähert: Da geraten Schuberts Violinsonaten, auf der Autofahrt von Graz nach Wien gehört, zum Anstoß, über die eigene Entfremdung nachzudenken (über „den Preis, den wir bezahlen/für eine Biografie“), Eugène Ysayes Sonate op 27/3 zum Anlass, darüber zu meditieren, was vom Barock bleibt … an anderer Stelle fließt die Struktur der Musik selbst in das Gedicht ein, so etwa Philip Glass’ Minimal Music in die Iterationen des Textes „Vermutungen über das Schöne“. An jeder Stelle wird spürbar, dass der Autor Musik mit Herz und Kopf begreift – das macht die detailreichen Gedichte ganz besonders lesenswert. Die ästhetisch ansprechende Ausstattung des in limitierter Erstauflage erschienenen schmalen Bandes – er ist mit Originalfarblithographien von Regina Hadraba illustriert – macht daraus eine kleine bibliophile Kostbarkeit.  \ cs

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