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„63 Jahre danach“ fällt Erinnerung noch immer schwer
Dienstag, 13. April 2010
Nach einem einstimmigen Landtagsbeschluss wurde der Künstler Jochen Gerz von der steirischen Landesregierung mit der Schaffung von Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum beauftragt, die sich mit dem Alltag in der NS-Zeit beschäftigen sollten. Dass nicht alle Akteure dabei mitspielten, erzeugt letztendlich ein realistisches Bild vom Erinnerungswillen der SteirerInnen. Als der damalige Kulturlandesrat Kurt Flecker das von Gerz geschaffene Erinnerungszeichen – die Inschrift „ICH SIEGFRIED UIBERREITHER LANDESHAUPTMANN“ – im Grazer Burgtor am 9. Dezember 2008 der Öffentlichkeit präsentierte, war dies gleichzeitig der Startschuss für eine Fortführung des Erinnerungsprojektes: An 24 Orten in der Steiermark – 12 davon in Graz – sollten Foto-/Text-Objekte installiert werden, die Fotos mit Alltagsszenen aus den Jahren 1938 bis 1945 wurden von LeserInnen der Kleinen Zeitung eingesandt, von WissenschafterInnen ausgewählt und von steirischen Landtagsabgeordneten kommentiert.
Vier der ausgewählten Gemeinden lehnten eine Aufstellung der Erinnerungszeichen im Vorfeld ab – Haus im Ennstal, Neumarkt, Untertal/Rohrmoos und Bad Mitterndorf; acht weitere akzeptierten sie: St. Ilgen, Gleisdorf, Köflach, Wagna, Leoben, Eisbach-Rein, Selzthal und Feldbach.

Aber auch in Graz konnten nicht alle Tafeln aufgestellt werden: Die Wirtschaftskammer ordnete am 12. März die Entfernung der bereits auf ihrem Grund aufgestellten Tafeln an, weil sie zwar mit der Erinnerungsaktion als solcher, aber weder mit dem auf der spezifischen Tafel dargestellten Foto noch mit dem von der kommunistischen Landtagsabgeordneten Renate Pacher verfassten Kommentar einverstanden sei, den sie als unternehmerfeindlich interpretierte. Der inkriminierte Text lautet: „Damals hieß die Losung: „Es gibt keine Klasse, nur ein deutsches Volk“. Und heute heißt es: „Wir sitzen alle im selben Boot. Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut ...“. Und ganz aktuell sagt man: „In der Krise müssen alle ihren Beitrag leisten“. Die alten Lügen in neuem Gewand. Nur, die einen zahlen den „Beitrag“ in Form von Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Verelendung und im schlimmsten Fall auf dem Schlachtfeld oder im Gefängnis. Den anderen winkt nicht selten Straflosigkeit und oft genug eine fette Dividende.“ Laut Pressestelle der Kammer sei ihr der Text nicht im Vorhinein bekannt gewesen, eine Aussage, die der Verantwortliche für die Umsetzung des Projektes dementiert: Werner Fenz, Leiter des Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, gibt an, dass Foto und Text der Kammer sehr wohl beim ersten Kontakt übermittelt worden seien.

„Ich habe die ganze Erinnerungsarbeit der Öffentlichkeit übergeben“

Ebenfalls am 12. März – noch vor dem Bekanntwerden der Reaktion der Wirtschaftskammer – führte Christian Stenner ein Interview mit Jochen Gerz.

Die Tatsache, dass von 24 Erinnerungszeichen immerhin ein Sechstel nicht aufgestellt werden konnte, zeigt, dass Erinnern ein schmerzhafter und schwieriger Prozess ist.
Zur Klarstellung: Ich wollte so lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg keine Arbeit machen, die in den Erinnerungsmodus verfällt. Das Ritual der Erinnerung funktioniert ja genauso wenig wie alle anderen Sonntagsreden. Auch die österreichische Öffentlichkeit hat es nicht mehr notwendig, so rundum beschützt zu werden vor der Realität, wie das dieser Kampf um die Erinnerung suggeriert. Das Problem der Österreicher ist weniger das Dritte Reich oder dass sie da Täter oder Opfer waren, sondern die Art, wie sie mit dieser Periode in der Nachkriegszeit umgegangen sind, in der Freiheit, in der Demokratie  – denn da musste ja niemand mehr Angst haben.

Sie haben in Deutschland eine ganze Reihe an ähnlichen Erinnerungsaktionen künstlerischer Art gesetzt, können sie da jetzt einen Unterschied zu Österreich feststellen, was die Reaktionen betrifft?
Einen sehr starken: In Deutschland ist das Zugeben, das Eingestehen eine Ressource geworden. Es wurde erkannt, dass die einzige Chance, sich international einzubringen, darin bestand, sich klar zu artikulieren und deutliche Aussagen zu machen.

Österreich hingegen hat den durch die Moskauer Erklärung geförderten Mythos gepflegt, es sei das erste Opfer der NS-Aggression gewesen.
Genau, Österreich hat diese Möglichkeit verschlafen. Meine Arbeit ist auf gewisse Weise auch eine Wette gegenüber jenen, die sich an diesen etwas frömmelnden Erinnerungston gewöhnt hatten. Ich habe die ganze Arbeit der Öffentlichkeit übergeben: In dieser Arbeit erscheint kein einziges Bild und kein Wort von mir. Ich glaub einfach, dass die Wirklichkeit bei der österreichischen Bevölkerung angekommen ist, dass die Leute sehr viel mehr  in der Lage sind zu diskutieren, zu debattieren, zu bezeugen, als gemeinhin angenommen wird.

Diese Vorgangsweise wälzt die Verantwortung vom Künstler auf die Öffentlichkeit über.
Das war auch immer meine Strategie: Die Kunst kann nichts für die Leute, was die Leute nicht auch für sich selbst können.

Wäre eine solche Reaktion, wie es sie jetzt in vier Gemeinden gegeben hat, in Deutschland denkbar?
Ich bin ehrlich gesagt nicht unglücklich darüber, dass es diese Ablehnung gegeben hat. Erstens gehört es ja zum Bild und zweitens wollte ich Adolf Hitler nicht in seinen Wahlergebnissen übertreffen.

Die „Gänse vom Feliferhof“ waren ein weiteres Erinnerungskunstwerk, das Sie für Graz geplant haben und dessen Realisierung dann abgelehnt wurde, weil es die Rolle des Soldatentums kritisch durchleuchtete. Es gibt Gerüchte, dass eine Umsetzung nun doch möglich sein könnte.
Wenn der Schuss nicht ins Tor geht, dann spielen wir nicht noch einmal. Ich sehe im Moment nicht die Notwendigkeit, dieses Joghurt von vor inzwischen fast 15 Jahren aus dem Eisschrank zu holen. Ich habe das Gefühl, dass es vielleicht nicht mehr so frisch ist.

Wie haben Sie die bisherigen Präsentationen in den Gemeinden erlebt, sind sie so abgelaufen, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Es waren sehr offene Veranstaltungen mit Rede und Widerrede, überhaupt nicht künstlich oder hysterisch. Die Ehrlichkeit der Leute und die Antworten, die sie auf die aufgeworfenen Fragen gegeben haben, haben mich darin bestätigt, dass die Öffentlichkeit chronisch unterschätzt wird.


Jochen Gerz, geb. 1940 in Berlin, ist einer der bekanntesten europäischen Konzeptkünstler. Er hat vor allem in Deutschland eine Reihe von Erinnerungs-Mahnmälern geschaffen, seine Themen sind u.a. Menschenrechte, das Gedenken an die NS-Zeit, der Kampf gegen Rassismus.
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