Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Als Terrorismus noch gut war
Dienstag, 13. April 2010
Wimmlers Demontagen von Karl Wimmler Es ist erste wenige Monate her, als – an einem der letzten Tage des Jahres 2009 – ein sogenannter Selbstmordattentäter in einem Flugzeug der US-Gesellschaft Delta Airlines eine Bombe zünden wollte. Ein paar Tage oder Wochen lang herrschte wieder einmal Aufregung (Nacktscanner-Debatte!) und wurde dem angeblich Bösen hinterhergehechelt. In manchen  „Analysen“ wurden gar „die allergefährlichsten Al-Kaida-Terroristen“ entdeckt, die nämlich, die gar nicht durch Al Kaida organisiert sind, sondern als unabhängige Einzelkämpfer agieren; nach eigenem Wollen und Gutdünken und also praktisch nicht aufspürbar. Diabolisch eben. Aber das nur nebenbei. Wobei ich zugeben muss, dass bei mir selbst immer auch ein bisschen Flugangst mitfliegt, wenn ich dann und wann ein Flugzeug benütze. Allerdings eher weniger Angst vor bösen Terroristen, sondern vor menschlichen Unzulänglichkeiten, unausgeschlafenen, unterbezahlten Piloten oder Lotsen, technischen Fehlern, Konsequenzen von Sparmaßnahmen und ähnlichem. Sicherlich gibt es präzise Statistiken über die letzten Jahrzehnte, die das genaue Verhältnis der Flugzeugabstürze durch Terroristen gegenüber anderen Ursachen ausweisen. Sagt uns keiner. Wäre aber ohnehin nicht spannend: Terroristengefahr minimal.

Arzt, Dichter, … Im Unterschied zu mir überhaupt keine Flugangst hatte meines Wissens Fritz Jensen. Den heute leider kaum jemand kennt. Weswegen ich nun von ihm erzähle. Jensen war ein österreichischer Arzt, der vor fünfundfünfzig Jahren, am 11. April 1955 bei einem denkwürdigen Flugzeugabsturz im zweiundfünfzigsten Lebensjahr ums Leben kam. Eigentlich hieß er Friedrich Jerusalem, geboren als Sohn eines wohlhabenden Wien-Prager Ehepaares. Er scheint zunächst den Weg eines klassischen linken Intellektuellen der Zwischenkriegszeit zu gehen. Am Tag seiner Promotion zum Doktor der Medizin tritt er allerdings der damals noch ziemlich sektenhaft existierenden KPÖ bei und kommt im Februar 1931 als Arzt an das Krankenhaus Lainz in Wien. Dort behandelt er unter anderem auch mittellose und unversicherte Opfer nach dem erfolglosen Februar-
aufstand gegen das austrofaschistische Dollfußregime im Jahr 1934. Daneben war er immer auch literarisch und journalistisch tätig und schrieb unter anderem Gedichte und Lieder für revolutionäre Agitations- und Musikgruppen. Knapp nach seinem Tod wird ein noch von ihm selbst zusammengestellter Band mit Gedichten erscheinen, auch mit einer Reihe von Nachdichtungen, unter anderem mehreren von Nazim Hikmet. Zum Beispiel: „Nur die Hälfte meines Herzens ist hier, Doktor,/(...)Ich sehe in die Nacht durch die Gitterstäbe,/ und trotz der dicken Wände, die schwer auf meiner Brust lasten,/ schlägt mein Herz mit den entferntesten Sternen./ Deswegen – und nicht wegen Arteriosklerose –/ deswegen – und nicht wegen des Nikotins oder des Gefängnisses –/ deswegen habe ich diese Angina pectoris.“

… Interbrigadist und Journalist. Nach einem knappen Jahr Haft, zuletzt im austrofaschistischen Konzentrations- bzw. Anhaltelager Wöllersdorf, Berufsverbot in Lainz und einem Jahr Ordination als niedergelassener praktischer Arzt, geht Jensen 1936 als Freiwilliger zu den Internationalen Brigaden nach Spanien, die der rechtmäßigen republikanischen Volksfrontregierung gegen die Putschisten Francos zu Hilfe kamen. Nach einer ärztlichen Karriere bis zum Divisionschefarzt landet er nach dem republikanischen Zusammenbruch in Paris, dann in London, von wo ihn ein Hilfskomitee 1939 in das gegen die japanische Aggression kämpfende China schickt – gemeinsam unter anderem mit Egon Erwin Kischs Bruder Bedrich und Frantisek Kriegel, dreißig Jahre später eine der bedeutendsten Figuren des Prager Frühlings (und dafür bis in den Tod verfolgt).  Und China wurde in vielfacher Weise Jensens Schicksal. Zunächst als Arzt auf Seiten der mit den Kommunisten gegen Japan verbündeten Kuomintang-Armee, dann bei den Partisanen der Roten Armee Mao Tse-tungs. In der Wohnung des späteren jahrzehntelangen chinesischen Außenministers und Ministerpräsidenten Tschou En-lai heiratet er 1945 seine chinesische Frau und kehrt mit ihr 1948, ein Jahr vor der Gründung der Volksrepublik China, nach Wien zurück. Er schreibt eines der ersten deutschsprachigen Bücher über das neue China Mao Tse-tungs (China siegt, Wien 1949) und arbeitet als Redakteur der kommunistischen Tageszeitung „Volksstimme“. Dann bricht der „ruhelose Rebell und Freigeist“ (Harry Sichrovsky) wieder nach Asien auf. Wieder China. Und Vietnam. Dessen antikolonialen Krieg gegen Frankreich er als erster in Österreich fundiert bekannt macht (Erlebtes Vietnam, Wien 1955). Und zum Beispiel davon berichtet, dass siebzig Prozent der bei der für Frankreich vernichtenden Schlacht von Dien Bien Phu gefangen genommenen Fremdenlegionäre Deutsche und Österreicher waren. „Wenn Ihnen“, erzählt ihm ein von den Vietnamesen gefangen genommener Bauernsohn im Kärntner Dialekt, „der Offizier eine Schachtel Zündhölzer in die Hand gibt und sagt Ihnen: ,Zünd alles an‘, da denken Sie sich: Ja, um Gottes Willen, da sind ja noch Frauen und Kinder im Dorf ... und dann brennen die Häuser, und so ein Dorf kann brennen, Sie!“

Tod vor der Gründung der Blockfreienbewegung. Am 11. April 1955, kurz vor Abschluss des österreichischen Staatsvertrags, will Jensen mit der von der Volksrepublik China gecharterten „Kashmir Princess“ der Air India zur ersten afroasiatischen Konferenz von 29 afrikanischen und asiatischen Staaten nach Bandung (Indonesien) fliegen, um darüber zu berichten. Er sollte die dort erfolgte Gründung der Blockfreienbewegung nicht mehr erleben. Über dem südchinesischen Meer explodierte im Flugzeug eine Bombe, die alle elf Fluggäste und fünf von acht Besatzungsmitgliedern in den Tod riss. Bombenlieferant war der US-Geheimdienst CIA. Aber nicht den Verunglückten – acht chinesischen Delegierten, einem polnischen Journalisten, einem vietnamesischen Beamten und Fritz Jensen – galt dieser terroristische Anschlag, sondern Jensens Hochzeits-Gastgeber, dem chinesischen Außenminister Tschou En-lai. Der hatte allerdings ein anderes Flugzeug genommen.
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