Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Kleiner Kulturführer durch die Krise (II)
Dienstag, 13. April 2010
Die Devise an den Finanzmärkten heißt: Weitermachen wie bisher. Schließlich springen die SteuerzahlerInnen ein,
wenn’s brenzlig wird. Karl Wimmler, ständiger Feuilletonist des KORSO, hat in jenem Sektor seines überbordenden Archivs gegraben, der mit „Krise“ überschrieben ist – und dabei Fundstücke aus mehreren Jahrzehnten zu Tage gefördert, die wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen.

Dem deutschen Paradeökonomen Thomas Fischer verdanken wir offene Worte, auf die schon im Jahr 2000, als er sie gegenüber dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in einem Interview sprach, leider kaum jemand hören wollte (Spiegel Nr.32/2000). Schon zu Beginn bekannte er mutig: „Ein Crash, also ein nachhaltiger Kursverfall bei Wertpapieren auf breiter Front, ist nie völlig auszuschließen.“ Damals war Herr Fischer Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und ein eifriger Propagandist der „Eigenvorsorge“. Deshalb fragte ihn der „Spiegel“: „Wenn aber niemand wirklich weiß, wie stabil das Finanzmarktsystem ist, wie seriös ist da die weltweite Werbung der Finanzindustrie für Wertpapiersparen als Altersvorsorge?“  
Fischer: „Die ist so seriös wie die Langzeitberechnungen, nach denen bestimmte Formen der Anlage in Wertpapieren alle anderen Vorsorgeformen geschlagen haben.“
Spiegel: „Nur dass die individuellen Biographien der Sparer nicht immer in den richtigen statistischen Zeitraum fallen. Wer zwischen 1965 und 1990 auf die Aktien des Dow Jones Index gespart hatte, der hatte eine Null-Rendite, denn deren Wert war 1990 real genauso hoch wie 1965.“
Fischer: „Kein Mensch  sagt: Nur Aktiensparen und schon gar nicht nur in US-Werten. Alles, was wir sagen, ist: Stärkt diese Säule der Altersversorgung, vergesst die betriebliche Rente nicht und reduziert das Umlagensystem auf eine Art Grundsicherung.“
Spiegel: „Die Umstellung der Vorsorge auf Kapitaldeckung statt Umlage wird meist mit der kommenden Überalterung der Gesellschaft begründet (…) Wird dieses demografische Problem die Kapitalsparer nicht genauso treffen wie die Umlagerentner?“
Fischer: „Wer die Diskussion redlich führt, der kann nicht bestreiten: Kein Alterssicherungssystem ist immun gegen die demografische Entwicklung, auch das der Kapitaldeckung nicht.“
Spiegel: „(…)Das System, das sie skizziert haben, wurde in Großbritannien seit 1980 eingeführt. Heute lebt dort ein Drittel der Rentner mit Einkommen an der Armutsgrenze. (…) Das Umlagesystem wurde nach dem Krieg eingeführt, weil die kapitalgedeckten Vorkriegskassen nach der Katastrophe nichts mehr wert waren und Millionen Alte ohne ausreichende Rente dastanden. Warum sollten wir uns diesmal viel sicherer sein?“
Da stutzte Herr Fischer, hatte sich aber rasch im Griff: „Also gut, nehmen wir an, der Alptraum wird trotz allem noch einmal wahr, und das Realkapital ist vernichtet. Wissen Sie, was wir dann machen werden? Wir kehren sofort zum Umlagesystem zurück. Das können wir immer.“ Ende des Interviews. – Ist das nicht wahrhaft kühn? Am besten ist also, die Fischers weiter abcashen lassen! Und wenn dann unsere „Eigenvorsorge“ futsch ist, gehen wir zum bankrotten Staat betteln. Herr Fischer selbst übrigens hat seinen eigenen beruflichen Crash bereits bestens hingekriegt. Die West-Landesbank, deren Vorstandsvorsitzender er von 2004 bis 2007 war, ist ihn los und pleite, lese ich auf Wikipedia.
Und als wäre das nicht kabarettistische Pointe genug, kommt auch noch ein großer Österreicher ins Spiel: Wolfgang Schüssel. Dieser ist seit einigen Wochen Fischers Nachfolger – als Aufsichtsrat eines der größten europäischen Stromkonzerne und Atomkraftpropagandisten, der deutschen RWE. Aber das nur am Rande.

Vierzigmal das UNO-Budget. Warum lasse ich diesen Herrn Fischer so ausführlich zu Wort kommen? Mir scheint, Leute wie er bringen den ganzen Zynismus nicht nur der Branche, sondern des gesamten Wirtschaftssystems auf den Punkt. – Aber offenbar ist das alles in den Wind gesprochen. Die allermeisten Staaten pumpten bekanntlich seit Ende 2008 Milliarden um Milliarden in das Fass ohne Boden der bankrotten Banken und Großkonzerne – und lassen ansonsten alles beim Alten. Der Vogel wurde wieder einmal in den USA abgeschossen. Der Versicherungsriese AIG (die Fußballer von Manchester United rennen mit seinem Logo auf den Leiberln noch immer über die Fußballplätze dieser Welt) ist angeblich im Juli 2009 („Der Spiegel“) an der Börse noch ganze 1,3 Milliarden Dollar wert. Und wie viel hat der US-Staat mit den Mitteln seiner Steuerzahler bis Juli 2009 zu seiner Rettung investiert? – 182 Milliarden. Nachdem knapp zuvor seine Ex-Manager mit Unsummen (nein, ich will es wirklich nicht genauer wissen) „abgefunden“ worden waren. Das nenne ich kaufmännische Logik. Als ob man in seinen schrottreifen Kleinwagen den Wert einer ganzen Flotte von Rolls-Royce investieren würde, nur um ihn noch fahrtüchtig zu erhalten. Dazu kommt noch, dass der staatliche Geldgeber dazu auch noch weiß, dass mit all dem das Überleben der AIG nicht einmal gesichert ist. Die „Spiegel“-Leute behaupten (Nr.29/09), AIG hätte 75-mal soviel an Staatsstütze erhalten, als der Jahreshaushalt der UNO betrage. – Mir wäre da schon der einfache Jahreshaushalt der UNO viel zu viel. Kurzrecherche: Es waren 40-mal soviel (UNO-Budget 2009 rd. 3,5 Mrd. € = rd. 4,55 Mrd. US-$). Nebenbei: So billig halten sich die reichen Staaten also die UNO. Wer klagt, wie wenig die UNO bewirkt, bedenke einmal diese Beträge!  

Haltet den Dieb! So, genug der Zahlen einstweilen. Ist doch die Zahlen-Flickschusterei das bevorzugte Gebiet all derer, die meinen, die Wirklichkeit, und sei es nur die ökonomische, im Wesentlichen durch einen Wust von Ziffern auf Papier zu erfassen. Eine kurze Rückkehr zu dem in der ersten Folge zitierten Pierre Bourdieu sei gestattet. Er erlebte leider die Rufe nach dem Staat seit der offenkundig gewordenen „Finanzkrise“ nicht mehr, auf den die seinerzeitigen Marktschreier des „weniger Staat, mehr privat“ vorübergehend umgeschwenkt sind, um die Bankrotte zu sozialisieren. Aber was hätte er gesagt, als im Frühjahr 2009 das Gratisblatt des Styria-Konzerns mit der Seite-Eins-Schlagzeile: „Stadt versagt: Privater hat Plabutsch gekauft“ aufmachte. (Ich gebe zu, es ist eine kühne Idee zu denken, der französische Soziologe Bourdieu hätte die „Woche“ des Styria-Konzerns gelesen.) Dieselben Propagandisten, die jahrelang von den stadteigenen Wohnungen bis zu den Stadtwerken und Elektrizitätsversorgern undsoweiterundsofort alles den Händen einer Stadtgemeinde wie Graz zu entreißen versuchten, zeigten nun plötzlich mit den Fingern auf ebendiese Stadtverwaltung. Die übrigens nicht, wie die Schlagzeile suggerierte, einen Grazer Hausberg verscherbelte, sondern aufgrund ihres ausgebluteten Budgets zum Verkauf stehende 226 Hektar des Plabutsch nicht erwerben konnte, sondern das Grundstück der Gruppe des Ex-Rennfahrers, Hotel- und Immobilienbesitzers und nicht zuletzt Red-Bull-Formel-1-Rennleiters Dr. Helmut Marko den Ankauf überlassen musste. So schreit der Dieb: „Haltet den Dieb!“

Post-Liberalisierung: Nachteile für KonsumentInnen und MitarbeiterInnen. Da passt es ins Bild, dass es die Medien desselben Styria-Konzerns waren, die in jahrelanger, durchaus mühevoller Kleinarbeit der Post am Zeug flickten, um ihre eigene Zustellfirma Redmail zu etablieren, dessen Lohnabhängige und abhängig „Selbständige“ unter derartigen arbeitsrechtlichen Bedingungen und mieser Bezahlung zu funktionieren haben, dass der Sau graust – und worüber noch in keinem Organ dieses Hauses auch nur irgendetwas Kritisches und Wahrheitsgetreues geschrieben wurde. Und ich habe auch nicht in der „Kleinen Zeitung“, sondern im „Standard“ gelesen, was der in die Enge getriebene Post-Filialmanager Mondschein gegenüber dem widerspenstigen Bürgermeister der kleinen niederösterreichischen Ortschaft Puchenstuben nach einer Stunde Diskussion einräumen musste: „Nachdenklich zitiert er eine Studie, laut der die Liberalisierung, die am Postmarkt den Wettbewerb eingeführt hat, eines gebracht habe: ‚Es hat sich für beide Seiten alles verschlechtert.’“ – Natürlich war nicht nur der Styria-Konzern ein Privatisierungsvorreiter, aber eben auch. Und versteckte sich bisweilen hinter katholischem Weihrauch. Und titelt dann noch auf Seite 1 seiner „Kleinen Zeitung“(z.B. am 13. Dezember 2008): „Bund hungert unsere Gemeinden aus“, ohne zugleich zu erzählen, wie viele Gemeinden auch deshalb bluten, weil sie sich hirnrissige Konstruktionen aufschwatzen ließen wie die Gemeinde Fohnsdorf, die über die Investmentfirma C-Quadat (Aufsichtsratschef: Exminister und Zocker-Sonnyboy Karl-Heinz Grasser) 4,3 Millionen Euro in der Hoffnung auf exorbitante Zinsgewinne „anlegte“. Oder die unzähligen anderen Gemeinden, die jene inzwischen berüchtigten sogenannten  Cross-Border-Leasingverträge abgeschlossen haben, die Teile ihres Eigentums bis hin zur Kanalisation in völlig undurchschaubaren Vertragswerken mit Gesellschaften verbandelt haben wie der oben erwähnten US-amerikanischen AIG. Und deren Konstruktion im Wesentlichen darauf beruht, Profit aus Steuerschlupflöchern zu ziehen – jenen Schlupflöchern, die die Einnahmen der öffentlichen Haushalte, darunter Gemeinden, reduzieren. Aber so ist das halt, wenn jeder nur noch ICH denken kann, auch die Bürgermeister kleinster Gemeinden. Denen natürlich die freundlichen Herren des Raiffeisenkonzerns und ähnliche uneigennützige Gestalten zuvor ordentlich den Mund wässrig keilen mussten. Und bei alldem ordentlich „mitschnitten“.

„Kein Grund zur Sorge“. Damit sind wir endlich dort gelandet, wo der kurze Schock mithilfe der staatlichen Milliarden rasch in den Hintergrund gedrängt wurde. Und längst wieder die Parole ausgegeben ist: „Kein Grund zur Sorge“! So schon im Juli 2009 ein ehemaliger Chefökonomen der CA und bis 2008 Direktor der Österreichischen Nationalbank. Und in der gesamten Finanzbranche bekommt man heutzutage kaum noch das Geseiere vom „Durchtauchen“, sondern immer penetranter den Schlachtruf vom „neuen Schwung“ zu hören, mit dem man – von ein bisschen Kosmetik abgesehen – weitermachen will und weitermacht wie bisher. Die noch krasseren Verwerfungen und Bankrotte in der Zukunft sind somit absehbar.
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