Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Raum für Menschen statt Schilderwald und Barrieren
Dienstag, 13. April 2010
Der Trend scheint nicht umkehrbar zu sein: motorisierter Verkehr droht unsere Städte zu ersticken und zerstört die Lebensqualität der Wohnviertel; in kleineren Orten verwandelten sich die Hauptstraßen in Autobahnen, die nur unter Lebensgefahr überquert werden können. Das muss nicht so sein: „Shared Space“ nennt sich ein revolutionäres Konzept zur umfassenden Gestaltung des öffentlichen Raumes. Die Straßen, Wege und Plätze werden als ein Lebensraum aufgefasst, der „von allen Mitgliedern der Gesellschaft geteilt und gemeinsam genutzt werden kann“, wie LRin Kristina Edlinger Ploder bei der Eröffnung eines international besetzten Symposium in Graz betonte. Auf Initiative des Verkehrsressorts und der Forschungsgemeinschaft Mobilität (FGM) zeigte die Veranstaltung Wege und Perspektiven für eine sanftere Mobilität auf, die dadurch möglich werden. An der Umsetzung konkreter Projekte in Graz und anderen steirischen Orten wird bereits intensiv gearbeitet.

„Wir selbst sind das Problem.“ Gleich zum Auftakt ließ der niederländische Professor Willem Foorthuis vom Shared Space Forschungsinstitute in Drachten seine provokante These auf die Zuhörerschaft los: „Wir haben kein (Verkehrs-)
Problem, wir sind das Problem.“
Aufwändige Verbauten und Schilderwälder, die kein Verkehrsteilnehmer mehr sinnvoll erfassen kann, tragen nichts zu einer Verbesserung der Verkehrsituation bei und schaffen falsches Sicherheitsdenken, so Foorthuis: „Der Raum sollte nicht durch Barrieren, Fußgängerinseln und Ampeln verbaut werden, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen, die in diesen Orten leben.“
Dafür braucht es gemeinsame Planungs- und Entscheidungsprozesse von allen Beteiligten, um mit Unterstützung der ExpertInnen zu optimalen Lösungen zu finden. In den Niederlanden, Skandinavien und Großbritannien haben sich zahlreiche Projekte in der Praxis bestens bewährt und sind mit einem drastischen Rückgang von Unfällen einhergegangen. Gefordert ist von den Menschen die Bereitschaft zu einem Lernprozess, um sein eigenes Verhalten sowie das der anderen VerkehrsteilnehmerInnen unmittelbarer wahrzunehmen und darauf zu reagieren.

Einbauten sind pure Geldverschwendung. Von der ersten Stunde an am Projekt beteiligt war der britische Architekt Ben Hamilton-Baillie, der auf der Grazer Tagung referierte und auch als der Schöpfer des Begriffes „Shared Space“ gilt. Er erhielt im Jahr 2000 ein Forschungsstipendium in den Niederlanden und lernte dabei den Verkehrsplaner Hans Monderman kennen, der bereits in den achtziger Jahren mit der Umgestaltung von Ortsdurchfahrten beachtliche Erfolge erzielen konnte. Im Dorf Oudekaste in der Provinz Friesland gelang es Monderman durch optische Verengungen des Straßenzugs, den Verkehr ohne die üblichen Hügel, Blumenkisten und Poller deutlich zu verlangsamen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autofahrer sank von 58 km/h auf 37 km/h und Unfälle gab es von da an zum allgemeinen Erstaunen keine mehr. Ähnliche Erfahrungen konnte Hamilton-Baillie in den vergangenen Jahren in verschiedenen englischen Städten sammeln, wo die Regulierungswut sich in Form von Eisenzäunen und Signalanlagen ganz besonders stark auszutoben scheint: „Hier wird enorm viel an Geld verschwendet, das wesentlich besser in der Gestaltung von Plätzen und Parkanlagen angelegt wäre.“

Zurück in die Zukunft. Dabei geht es durchaus auch um eine Rückkehr zu historischen Wurzeln, die erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts durch den Massenverkehr abgeschnitten wurden, erläutert der Raumplaner Hamilton-Baillie. Die Einführung von Zonen nach Vorbild der holländischen „woonerfs“ (verkehrsberuhigte Wohngebiete) hat viel von der vormodernen Lebensqualität in die Städte zurückgebracht. Selbst in Großstädten wie London wurden bereits viel versprechende Pilotprojekte umgesetzt, etwa in der belebten Kensington High Street, durch die täglich hunderttausende Menschen und Fahrzeuge strömen, demonstriert Hamilton-Baillie anhand von Videoaufzeichnungen: „Wichtig ist für das Funktionieren nur die ständige Möglichkeit der Verständigung – seien es nun Autofahrer, Passanten, Radler oder spielende Kinder.“ Hamilton-Baillie ist derzeit auch beratend an der Umgestaltung von Gleinstätten beteiligt, das ab dem Herbst als eines der ersten Vorzeigeprojekte in Österreich dem Konzept des „Shared Space“ zum Durchbruch verhelfen soll.
| Josef Schiffer
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >