Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Nahaufnahmen des (Über)Lebens
Dienstag, 13. April 2010
Die Ausstellung „Jüdische Portraits“ im Stadtmuseum Graz zeigt Fotografien von Herlinde Koelbl. Norbert Elias, Erich Fried, Sir Ernst Gombrich, Bruno Kreisky, Erika Landau, Sir Karl Popper, Marcel Reich-Ranicki oder Simon Wiesenthal… Nur etwa ein Drittel der portraitierten Personen ist heute noch am Leben. Im Jahr 1989 sind sie mit der renommierten deutschen Fotografin Herlinde Koelbl zusammengetroffen. Den deutschsprachigen Juden, die der Shoah entkommen konnten, ein bildliches Denkmal zu setzen, sah sie als ihre Mission. Das geistige, das intellektuelle Klima dieser deutsch-jüdischen Generation wollte sie nachgezeichnet und festgehalten wissen. Und in aller Welt hat sie es schließlich aufgespürt. Denn die meisten Vertriebenen sind in jenen Ländern geblieben, die sie als Flüchtlinge aufnahmen. Nur wenige kehrten in die ehemalige Heimat Deutschland oder Österreich zurück.

Dialogische Text-Bilder. Eine Heimat, die oft im Exil nicht wieder gefunden werden konnte. Für den berühmten Lyriker Erich Fried waren es scheinbar Details, an denen sich dieser Heimatbegriff festmacht, wie die Wiener Doppelfenster oder das spezifische Aussehen der österreichischen Briefkästen:
„Es gibt eine Reihe von teils täuschenden Sicherheitsgefühlen, die man als Kind hat, und Landschaftseindrücke, Menscheneindrücke, auch durchaus dramatische Eindrücke, die das Heimatbild prägen. Also Österreich ist ganz eindeutig meine Heimat, und ich werde nie eine andere Heimat haben. England war nicht einmal meine Wahlheimat, sondern nur eine Notlösung.“

Diese Dialoge sind parallel zu den sehr persönlichen Fotografien entstanden. Mit Fragen zur jüdischen Tradition, zu ihrem nunmehrigen Verhältnis zur Religion und zum Heimatbegriff hat Herlinde Koelbl die Überlebenden konfrontiert. Stadtmuseumsdirektor Otto Hochreiter bezeichnet diese Text-Bild-Kombinationen als „Leib- und-Leben-Diptychen“, als Gegensatzpaar von Physiognomie und geistigem Extrakt. Er hat gemeinsam mit der Künstlerin die Auswahl der Portraits für die Grazer Ausstellung getroffen, die sich geografisch im Besonderen auf den Kulturraum der ehemaligen Donaumonarchie bezieht. Die teils eindringlichen Gespräche sind in ausgewählten Zitaten den Bildern gegenübergestellt; vollständig sind sie im Katalogbuch nachzulesen, das für die Schau in Graz neu aufgelegt wurde.

Zehn Jahre nach der Wiedererrichtung der Grazer Synagoge verlegt das Stadtmuseum damit einen seiner diesjährigen Schwerpunkte in die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung. In Kooperation mit der Neuen Galerie wird am 18. Mai 2010 eine weitere Schau zu diesem Thema eröffnet: „Die Kunst der Anpassung“ zeigt Werke steirischer Künstler im Nationalsozialismus.

Die Ausstellung „Jüdische Portraits“ ist bis 14. November im Grazer Stadtmuseum zu sehen.

| Eva Pichler
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