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Passionen
Mittwoch, 10. März 2010
Fußfrei – Theatertrips und -tipps von Willi Hengstler „Mittelalterliches „Mysterienspiel“ oder Passionsspiel ohne Gott; ob Leben und Sterben des Bordellbetreibers Wessely in Götz Spielmanns „Imperium“ oder die im ländlichen Umfeld vor sich hin sterbenden Elendsfiguren in Ernst Binders „Kukuruz“ – beide Regisseure verlängern mit ihren Stücken eine eher konservative Literaturtradition: Neben Hofmannsthals Salzburger Prototyp gibt es ja auch noch Fritz Lehners (auch ein Filmregisseur) „Jedermanns Fest“ mit Karl Maria Brandauer als Jan Jedermann aus dem Jahr 2002.  Handelt es sich um die barocke Todessehnsucht als etwas typisch Österreichisches? Oder repräsentieren diese von aller Selbstironie und Skepsis sorgsam gereinigten Allegorien die neueste Stimmung im Westen?  

Das „Imperium“ kehrt zurück.
„Imperium“ wurde bereits 2005 in Linz unter der Regie von Gerhard Willert uraufgeführt. Und was will uns Spielmann damit sagen, dass er seinen Text noch mal selber auf die Bühne bringt? In absolut risikofreien Dialogen erzählt er in „Imperium“ die Geschichte des alternden Bordellunternehmers Wessely (dreizehn Betriebe!), der aus dem Geschäft gedrängt werden soll und zu allem Überfluss erfährt, dass er tödlich (Krebs vermutlich) erkrankt ist. Dass Peter Simonischek als Held des Rotlichtes unentwegt redet und alle anderen inklusive der Zuseher als Zuhörer missbraucht, ist an sich o.k. Leider redet er andauernd übers Denken, aber über das Denken ans Denken hinaus denkt er sich wenig. Wenn Wessely angestrengt über die feindliche Bordellübernahme sinniert, möchte der Zuseher immer nur rufen „Kasperl! Kasperl! Das Krokodil!“. Und von Andrea Wenzl als scharfsinniger Tochter wünscht man sich ebenfalls hellere Momente (diesmal auch als Schauspielerin). Außerdem verfügt „Wessely“  angesichts des Todes über eine gesteigerte Wahrnehmung. Beispielsweise begegnet er Traumbildern  – Sprechstundenhilfe als Jugendgeliebte als Todesengel (Verena Lercher) – aber ihre Auftritte, vor allem im Chor mit den anderen Damen, beginnt man nach einem schönen Beginn alsbald zu fürchten. Gustav König macht als Hund Attila eine gute Figur, dürfte aber in seinen Skaterklamotten (Kostüm Sabine Volz) kaum in die von ihm betreuten Etablissements eingelassen werden.
Keine der ohnehin nicht besonders abgründigen Figuren riskiert einen Bruch. Der ehemalige Salzburger Jedermann bewegt sich auch im Rotlichtbezirk souverän und eine erfreulich  selbstbewusste Steffi Krautz geht ihm dabei kompetent zur Hand. Verbreitet sich Wessely etwa andauernd über seinen Mut und seine Kraft, weil er tatsächlich über sie verfügt? Oder weil er in der Tiefe seines Wesens unsicher ist … Spielmanns Regie ist angenehm schnörkellos und entspricht den zurückhaltend stilisierten Bühnenbilder von Martin Warth mit ihren signalhaften Beleuchtungskörpern. Für den Film mit seiner reicheren Textur aus Landschaften und Interieurs, Totalen und Großaufnahmen und den Möglichkeiten der Montage mag dieser funktionelle Realismus genügen, auf der Bühne gerät er gelegentlich zum Vehikel für einen Oscarregisseur (Götz Spielmann) und seinen Großschauspieler (Peter Simonischek).
Das Marketingkonzept von Intendantin Anna Badora geht mit diesem handwerklich ansprechenden und schauspielerisch gediegenen Abend jedenfalls auf. Spielmann hat mit „Revanche“ einen fabelhaften Film gedreht. Für einen Theaterbetrieb, der sich immer ungenierter mit Filmstoffen versorgt, ist die Arbeit eines Filmregisseurs von seinem Format zweifellos hochinteressant. Das Marketingkonzept hätte sich mit einem wirklich interessanten Text (vielleicht einem berühmten Drehbuch nach Spielmanns Wahl) möglicherweise noch verbessern lassen.
Wenn Sie sich mit Niveau entspannen möchten, gehen Sie nicht ins „Chéri“; besuchen Sie Wesselys  „L’Amour“ im Grazer Schauspielhaus. Noch am 17. 3., 24. 3. und am 21. und 22. 4.

Düstere Perfektion.
Als Theater- ist Binder so gut wie Spielmann als Filmregisseur, also oscarverdächtig, wenn es denn einen für Kleinbühnen gäbe. Der im Drama Graz herrschende Minimalismus –  minutenlanges Kartoffelschälen im Hintergrund, Licht als Dunkel, eine schattenhafte Dreiecks-  und Heimkehrergeschichte – ist visuell von ähnlich düsterer Perfektion wie ein Album von Scott Walker akustisch. In perfektem Timing weitet Ernst Binder seine kleine Bühne mit (sparsam bespieltem) Klavier links vorn und einem Brikettstapel rechts hinten beeindruckend zu einem Tod und Leben einebnenden Universalgedicht aus. Statt seine Schauspieler als Textlieferanten zu nehmen, stellt er sie gleichsam als menschliche „Fundstücke“, als Findlinge in sein Universum. Werner Halbedl als Kartoffel schälende, praktisch stumme Mutter, Ninja Reichert als Marie und Phillip Kramer als Andres werden eher zu bedrückenden Inbildern als dass sie „Rollen“ spielen. Und sein Mitkämpfer Rudi Widerhofer wird langsam zu seinem eigenen Mythos, noch dazu einer mit Starqualität. Wenn er friert, ohne Kälte zu spüren, einem Känguru gleich hüpft oder schon mal am Strick hängend monologisiert, ist das ziemlich irre, in Binder-Land aber gleichzeitig völlig normal.
Sprachlich setzt Binder in „Kukuruz“ auf einen verknappten Expressionismus, bei dem vor allem die Zeit- und Hilfszeitwörter weggelassen werden. Im Vergleich zu „Imperium“ eine Kunstsprache, ein hoher Ton, wenn auch manchmal zu sehr heftigem Drängen verfallen. Die schattenhafte Dreiecks- bzw. Kriegsheimkehrer- bzw. Totengeschichte gerät alsbald zur strengen Kammer der Depression. Nur Widerhofer und Kramer sorgen in einer allzu kurzen Doppelrolle als russische Kriegsgefangene für einen komischen Kontrapunkt. Ihre Karaoke-Version von Ninja Reichert, die als Marie eine Karotte knabbert, ist einer der leichteren Höhepunkte an diesem schwergewichtigen Abend.
Offensichtlich verarbeitet der Autor Binder mit „Kukuruz“ eigenes Leben. Passion heißt auch Leidenschaft, und über die verfügt Binder zweifellos. Auch wenn er seine unmittelbarere, (vermutlich spannendere) Lebensgeschichte in Form einer orphischen Allegorie serviert.
Aber indem er Text und Inszenierung durch seine Persönlichkeit „authentisch“ legitimiert, wird sie für den eingeschüchterten Kritiker sakrosankt. Soll man, darf man wagen, jemanden zu kritisieren, der es so völlig ernst meint? Das „Als Ob“ des Spiels und der Fiktion wird in „Kukuruz“ zu einem weltlichen Andachtsritual. Gleichzeitig fehlen nicht nur die biografischen, auch fast alle sozialen, historischen oder gesellschaftlichen Details … kurz das Leben. (Kein Wunder, wenn die Gestalten auf der Bühne schon oder noch immer oder schon wieder tot sind). Die Handlung wird aufgelöst, der Dialog wechselt mit entpersönlichten Monologen. Ähnlich wie Spielmann in „Imperium“ verwechselt Binder in „Kukuruz“ die Beschwörung großer Themen mit ihrer Analyse, meinetwegen mit der Auseinandersetzung über sie. Passion auf den Punkt gebracht: wenn sich die Lebenden nicht mehr von den Toten unterscheiden lassen (wollen).
„Kukuruz“: Sicher für Scott-Walker-Fans und Liebhaber des Düsteren. Eher nicht für Skeptiker. Noch am 3., 4., 5., und 6. und in Wien, im „echoraum“ am 10., 11., 12. und 13. März.
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