Kreative Stadt Entwicklung (19) von Harald Saiko
Man vergisst im Übrigen schnell, was man nicht in der Tiefe durchdacht hat, sondern was einem nur der Nachahmungstrieb und ihm nachstehende Eigenschaften diktieren. Sie wandeln sich und mit ihnen wandeln sich die Erinnerungen. Mehr noch als Diplomaten neigen Politiker dazu, sich nicht mehr an den Standpunkt zu erinnern, den sie zu einem gewissen Zeitpunkt eingenommen haben; doch sind gewisse ihrer Meinungsänderungen weniger auf ein Übermaß an Ehrgeiz als auf mangelndes Gedächtnis zurückzuführen.
Was Marcel Proust vor gut hundert Jahren festgestellt hat, scheint zeitlos. Und es steht ein Fall an, der uns zeigen wird, wozu unsere Politiker neigen. Wir erinnern uns: Weil im Jahre 2003 ein Kulturevent ins Haus Graz stand, wurde ein Eventmanager gesucht. Ein Intendant aus dem Fernsehen wurde Martin Heller von Graz. Der TV-Intendant wollte ein mediales Ereignis, aber leider hatte man dazu das Funkhaus verschlafen. Das Kunsthaus Graz war zur Eröffnung 2003 nur Baustelle. Unverhohlen forderte der TV-Intendant daher ein Ersatzmotiv für seine Repräsentation, leicht zu verstehen, ein bissl populär für 4:3 und 16:9, also eher rund als eckig. Da kam ein Freund und Weltenbummler grad recht, der auf seinen Reisen einen Künstler mit Hang zu schwimmenden Logos kennengelernt hatte. Vito Acconci ward eingeladen, auch wenn man dem Murinselerfinder verschwiegen hatte, dass unser Flüsslein nicht der Hudson River ist. So bekennt der anerkannte Künstler erst kürzlich in einem kritiklos huldigenden Interview des Grazer Kleinformats, er sei „aber sehr überrascht in Graz gewesen, als dort 2003 unsere Insel eröffnet wurde. Als das Graz-Projekt gebaut wurde, bemerkte ich, dass es soviel gab, worüber wir nicht wirklich Bescheid wussten.“ Ob er damit den Hinweis am Bauamt meinte, sein geplanter Unterwasserzugang würde angesichts der Untiefe der Mur nur für Zwerge reichen? Diese Anekdote ist genauso wenig erfunden wie die vielen, die noch kommen sollten. „Es stimmt, dass es Probleme mit den Möbeln gab, sie waren instabil. Das war sicher ein großer Fehler. Aber ich hätte gerne eine zweite Chance, um das in Ordnung zu bringen“, sagt Herr Acconci – letzten Dezember! Hat man ihm nie mitgeteilt, dass diese und andere Kleinigkeiten schon „in Ordnung“ gebracht wurden? Dass das Ding eingefangen werden musste, dass nachträgliche Einrichtung, Ausstattung, Reparaturen, Betreiberwechsel mit Verlustübernahmen seither angefallen sind? Und dass kostspielige Erhaltungskosten und ein defizitärer Betrieb Tag für Tag ein Minus für die Stadt Graz einfahren und das seit Jahren? Das Milchmädchen rechnet rund 15 bis 20 Mio Euro, für die Zeit vor 2003 also saloppe 200 bis 275 Millionen in österreichischen Schillingen. Für ein Café, das keiner mag, einen Kinderspielplatz, der nicht funktioniert, einen Flussraum, den man nicht nutzen kann, für keine Kunst, die sich dort je entfaltete. Nur für ein touristisches Fotomotiv. Kompetente Menschen hatten diese verschwenderische Peinlichkeit von Anfang an durchschaut. Auch ein Gutteil der Politik war dagegen. Geholfen hat das nix, denn der TV-Intendant hatte sich rechtzeitig Narrenfreiheit ausverhandelt. Was bleibt, ist die traurige Genugtuung, recht zu haben: Das seelenlose Ding ist nutzlos, erfolglos und beispiellos in seiner Nicht-Nachhaltigkeit. Die verschwendete Geldsumme ist gemessen an sonstigen Grazer Kulturbudgets mehr als obszön. Es ist ein Abbild provinziellen Renommiergehabes statt Sinnbild authentischer Kulturentwicklung. Diese Sichtweise teile ich übrigens mit IntendantInnen, die Ihre Festivals und Großkulturbetriebe jedes Jahr aufs Neue vertreten müssen und nicht nur einmal in Wetten-dass. Also machen wir es kurz: Die Murinsel muss weg. Wenn dies beim ungleich besseren Kunstwerk Uhrturmschatten recht war, so kann die Demontage der Murinsel nur billig sein. Wir erinnern uns, beide wurden als temporäre Bauwerke geplant und beschlossen. Statt des Abbilds hohler Repräsentationsbedürfnisse könnte dies Sinnbild für einen Neubeginn der Grazer Kulturpolitik sein.
Webtipp: http://www.korso.at/archive/korso/kunst/murinsel0601.htm
Architekt DI Harald Saiko, geboren und aufgewachsen in Graz, Studium in Graz und Paris. Büro für Architektur.Stadt.Kultur. Von 1999 -2004 Berater für wesentliche Entwicklungsbereiche der Stadt Graz wie URBAN-Graz-West, Natur-Erlebnis-Park Plabutsch, Messequadrant und Vorschläge von Grazer Modellen qualitativer Stadtentwicklung wie u.a. Reform der ASVK, Einführung von Gestaltungsbeiräten oder Stadtteilmanagement und Gebietsbetreuungen. / WWW.SAIKO.CC
» 3 Kommentare
1Kommentar am Donnerstag, 11. März 2010 12:51
Dem ist nichts hinzuzufügen. ABREISSEN. Besser heute als morgen.
2Kommentar am Donnerstag, 8. April 2010 09:34
So ist es. Das Ding tut weh.
3"Mag." am Sonntag, 11. April 2010 18:52
Dieser Inhalt zeigt wieder einmal, wie engstirnig und uninformiert Verfasser solcher Berichte, ihren eher mäßigen Talenten zur Berichterstattung, selbstherrlich wiedergeben. Die Zahlen sind erfunden und haben nur den Sinn, die Murinsel in das schiefe Licht (Neid?) zu stellen. Ein Cafe, daß Sie nicht mögen? Einen Spielplatz der nicht funktioniert? Hunderte Kinder tummeln sich im neu umgebauten Kinderspielplatz. Bis zu 20.000 Gäste in den Sommermonaten pro Monat besuchen diese "mangelhafte Insel". Wenn Sie die Insel nicht mögen, dann gehen Sie doch weg. Vielleicht nach New York? Vielleicht werden Sie dort als Kulturkritiker (oder...) erkannt, wo Sie doch in Graz verkannt werden.Lesen Sie Märchen, dort werden Sie "Milchmädchen" als Personen kennenlernen, denn rechnen liegt Ihnen offensichtlich nicht so...?Also, was haben Sie gelernt? Zurerst Informationen einholen, nachdenken und dann....
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