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„Umweltethik braucht eine Synthese aus Vernunft und Gefühl“
Mittwoch, 17. Februar 2010
Mit dem Philosophen PD Dr. Werner Theobald vom Zentrum für Ethik der Christian-Albrechts-Universität Kiel, der für sein Impulsreferat beim Mariazeller Dialog „eine kritische Bestandsaufnahme“ der Umweltethik beitrug, sprach Josef Schiffer für KORSO über einen längst überfälligen Paradigmenwechsel in unserer über-
rationalisierten Haltung gegenüber der Natur. In seinem Buch „Mythos Natur.“ (Darmstadt 2003) beschreibt Theobald als die essentielle Grundlage für jede glaubwürdige und gesellschaftlich funktionierende Umweltethik eine emotionale Erfahrung unserer Umwelt, die uns erst den Wert der Natur für unser Leben vor Augen führt. Warum fühlt sich angesichts konkreter Bedrohungen unserer Umwelt scheinbar nur ein kleiner Teil der Bevölkerung davon angesprochen, aktiven Umweltschutz zu leben?
Wenn man sich nur mittels der Vernunft an das Thema annähert, kann man basierend auf rationalen und logischen Argumenten relativ schnell jede Menge an Normen und Gesetzen aufstellen. Gleichzeitig wird man jedoch immer wieder feststellen müssen, dass diese von einem großen Teil der Menschen nicht unbedingt mit Überzeugung befolgt werden, weil sie die emotionale Seite unseres Wesens nicht berühren. Dann hat man zwar eine perfekte Umwelt-Ethik, die jedoch in der Lebenswirklichkeit nichts bewirkt. Ethik sollte aber per definitionem – zumindest nach den Idealen der Aufklärer, wie etwa bei Fichte – ‚taterzeugendes Wissen‘ sein und konkrete Handlungen nach sich ziehen.

Wie kann diese allzu akademische Ethik stärkeren Einfluss auf die alltäglichen Handlungen der Menschen nehmen?
Meine zentrale These lautet, dass sich nur dann Umweltschutz sinnvoll etablieren kann, wenn wir wieder eine tiefere Beziehung zur Natur entwickeln. Solange wir Natur als tote Materie, als bloßen Rohstoff betrachten, den wir beliebig verwenden dürfen, um unsere Bedürfnisse zu stillen, z.B. als Energieträger oder Erholungsraum, wird sich nichts Wesentliches ändern. Die dazu im Gegensatz stehende, ursprünglichere Sicht auf die Natur als eine Art Wesen, mit dem wir quasi in Symbiose leben, können wir jedoch wieder erwecken. Diese Sichtweise ist unbewusst noch präsent und kann durch die Beschäftigung mit den Motiven des Natur- und Umweltschutzes reaktiviert werden. Die Werbung arbeitet ganz gezielt mit solchen unterschwelligen Bildern und erreicht damit ja offensichtlich unsere Sehnsüchte nach einer intakten Lebensumwelt. In meinem Buch „Mythos Natur“ habe ich mich intensiv mit diesen Dingen beschäftigt.

Inwiefern fungiert heute Umweltschutz als Religion, wie es z.B. in der Verunglimpfung des Klimaschutzes immer wieder zu hören ist?
Für mich ist der Religionsbegriff als Grundlage der Ethik ganz anders besetzt, nämlich in der Form des Schöpfungsgedankens, der ja ursprünglich aus dem unmittelbaren Erleben der Natur herrührt. Die heutige Wissenschaft kann auf die großen existenziellen Fragen ganz einfach keine gültigen Antworten geben, insofern halte ich diese Gleichsetzung der Warnungen vor der Erderwärmung mit einer Religion oder einem Kult für Unsinn.

Wie sehen Sie das Problem von Freiwilligkeit und Zwang in der Umsetzung von Umweltethik – autoritäre Systeme scheinen ja schneller auf deren Erfordernisse zu reagieren, während die Konsumgesellschaft ein gewisses Beharrungsvermögen aufweist?
Politisch totalitäre Systeme sind aus unserer ethischen Position natürlich grundsätzlich abzulehnen. Die aktuelle Strömung des Neo-Liberalismus hat uns in den vergangenen Jahren einer wirtschaftlichen Blüte, die allen Bürgern stets steigenden Wohlstand versprochen hat, letztlich den schwierigen Konflikt zwischen staatlich verordnetem Verhalten und den nur als trügerisches Regulativ wirkenden Kräften des Marktes deutlich vor Augen geführt. Ökonomische Anreizstrukturen können zwar durchaus subtile Instrumente sein, um ein erwünschtes Verhalten bei den Konsumenten zu bewirken, andererseits bergen sie jedoch auch quasi „totalitäre“ Elemente in sich, da sie nur scheinbar eine Wahlmöglichkeit offen lassen. Das wird oft nicht bewusst, solange über dem Ganzen das Label „ökonomischer Liberalismus“ steht.

Sehen Sie in dem Hinweis auf die zeitliche Brisanz der Umweltproblematik nicht auch einen Spiegel einer leistungsbezogenen Gesellschaft, die in immer kürzeren Intervallen plant und denkt?
Dem liegt durchaus die gleiche Rationalität wie der herrschenden Ökonomie zugrunde, denn das würde auch erklären, warum letztlich die drohende Apokalypse unserer physischen Welt bei vielen Menschen nicht in die emotionalen Schichten des Bewusstseins dringen kann.
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