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Grenzen des Menschseins
Archiv - Kultur
Dienstag, 11. April 2006
ImageJustin Stagl & Wolfgang Reinhard (Hg.): Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen. Böhlau: Wien-Köln-Weimar 2005, S. 774.

Dass die Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit den Anfängen und Grenzen des Menschlichen in ihren chronologischen und kulturellen, naturwissenschaftlichen und psychischen Aspekten von Zeit zu Zeit Rechenschaft über ihre Erkenntnisfortschritte ablegen, ist mehr als legitim und ebenso, dass sie dieses Feld nicht ausschließlich theologischen Interpretationen überlassen wollen. Dazu kommt: Wir alle wollen doch wissen, weshalb und seit wann es den Menschen gibt. Die beiden prominenten Herausgeber des an die 800 Seiten reichenden und im Böhlau-Verlag erschienenen Bandes lassen Fachwissenschaftler und –innen darüber nachdenken und beispielsweise auch, inwiefern Menschsein und Menschheit zwar nicht identisch, aber doch eng miteinander verwandt sind. Dies geschieht im Rahmen der „Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.v.", die vom Gestalter der erfolgreichen „Wiener Vorlesungen", dem seit 1984 aktiven Wissenschaftsreferenten und Historiker der Stadt Wien, Christian Ehalt, herausgegeben werden. Teil A teilt sich in „Grenzfragen an die Naturwissenschaften", „Vergleichende Fragen an die Kulturwissenschaften" und „Generalisierende Fragen an die Kulturwissenschaften"; Teil B widmet sich Fragen wie „Gott, Götter, Menschen", „Menschen, Tiere, Monster, Maschinen" bzw. „Inklusionen und Exklusionen". Es konnten bekannte AutorInnen für Beiträge gewonnen werden: etwa Horst Seidler, der einen grundlegenden Beitrag über „Die phylogenetische Menschwerdung" verfasste, Andreas Gestrich, der über die Frage „Sind Föten Menschen?" nachdenkt, oder den Historiker Wolfgang Schmale, der über „Menschenrechte und Menschenpflichten. Mensch sein als regulative Idee" sinniert, und Cornelia Schöck, die das Thema „Menschliches Handeln als Grenzziehung zwischen Mensch und Gott in der Theologie des Islam" formuliert. Rolf Sprandel macht „Grundmuster von Inklusion und Exklusion besonders im europäischen Mittelalter" zum Thema, Horst Seidler „Die biologi(ist)ischen Grundlagen des Rassismus" sowie abschließend Wolfgang Essbach „Elemente ideologischer Mengenlehren: Rasse, Klasse, Masse".
Die Beiträge sind in interdisziplinärer Absicht verfasst, beziehen sich auch vielfach aufeinander, sind jedoch trotz vielfacher Beschwörungen mitunter wenig historisch-anthropologisch, sondern eher geistesgeschichtlich orientiert. Viele von ihnen setzen sich mit klassischen Textausschnitten der griechischen und römischen Wissenschaften auseinander, die sich auf die Grenzen zwischen dem Tier- und Menschsein beziehen. Nur wenige thematisieren die gegenwärtigen Grenzen des Menschseins: Wann können Ärzte guten Gewissens unser Menschsein „technisch" beenden? Wann sind wir als Menschen sozial am Ende?
Der vorliegende Band ist als Zwischenbericht zu verstehen – ein wirklich interessanter, aber auch einer, der ohne klare Conclusionen bleibt.

Karl Kaser

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