Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Über die Geschwindigkeit von Veränderung
Mittwoch, 17. Februar 2010
Mit fotografischen Mitteln versucht der libanesische Künstler Walid Raad das Bild einer Stadt zu erfassen – zwischen Zerstörung, Wiederaufbau und erneuter Eskalation. Von 1987 bis in die Gegenwart erstreckt sich jener Zeitraum, den Walid Raad als fotografischer Beobachter von Beirut zubringt. Stadt im Zustand des Bürgerkrieges, einer ständigen Transformation unterworfen. „Sweet Talk“ betitelt er seine intensive Form der Auseinandersetzung.

Instinktiver Aufzeichnungszwang. Dabei sieht er diese Stadt zwischen und während der Kriegszustände, der Umbrüche, gesellschaftlich wie städtebaulich, als seinen künstlerischen Auftrag: als „Commissions“, die er sich selbst erteilt. 23 Jahre verfolgt Walid Raad diese Dokumentation, pendelt im Monatstakt zwischen seinem Lehrauftrag am New Yorker Cooper Union und dem Bürgerkrieg im Libanon, wobei der Rhythmus seines Kommens und Gehens das Gefühl prägt, immer in einer völlig andern Zeit wiederzukehren. Seine neue Arbeit in der Camera Austria stützt sich auf die Methode seines bekannten Projekts „The Atlas Group“, um diese gleichzeitig mit anderen Facetten zu erweitern bzw. sich ganz von ihr zu entfernen.
Wie wird Geschichte geschrieben, von wem und wann? Walid Raad thematisiert Theorie und Praxis des Dokumentarischen, wenn er sich als „The Atlas Group“ an die 100 Fotografen vorstellt, die alles in ihrem kleinen Umfeld dokumentieren und deren Material ein Archiv für Beirut über die letzten 20 Jahre bildet. Als einer dieser 100  fotografiert Walid Raad  dann auch – Straßen, Gebäude, Toreingänge, Ladenfronten, Gegenstände und Situationen.

Wie weit man gehen kann. Wer in Beirut fotografiert, ist schnell als Spion verdächtig. Oder vom Fadenkreuz eines Heckenschützen gefunden. Es geht um ein Ausloten der Grenzen. Was im eigenen Viertel möglich ist, kann 50 Meter weiter bereits bedenklich werden. „Warum fotografieren Sie hier?“, heißt es, wenn dem Staat nicht mehr zu trauen ist und jedermann auf der Straße angehalten wird, seine Unschuld zu beweisen.
Das Ende der Libanonkriege 1989 markiert eine Besserung der Lage, 1992 ist die Stadt nach 17 Jahren für ihre Bewohner erstmals wieder zu einem großen Teil frei zugänglich. Über die Jahre dehnt sich so der Radius des Fotografen, er kann sich kilometerweit vorwagen oder auch mehr Zeit für seine Arbeiten aufwenden. In der Phase eines beginnenden Wiederaufbaus wird er nicht mehr als Spion, vielmehr als Mitarbeiter eines Entwicklungsbüros gesehen. Bis neue Übergriffe der Israelis wieder Blut und Trümmer bringen.In den Bildern lassen sich diese Gegebenheiten aus rein formalen Unterschieden rekonstruieren, wenn schnappschussartige Kleinformate von riskanten Situationen zeugen und zu sicheren Zeiten aufwändigere Technik zum Einsatz kommen kann. Gleichzeitig wird die Unterschiedlichkeit zum Beleg für die Theorie der imaginierten Autoren.

Wie viel Fotografie vermitteln kann. In Hinblick auf die Situation in Beirut hadert Walid Raad immer auch mit Skrupeln, dass seine Fotos Unerlaubtes preisgeben könnten – oft schiebt sich sein Finger vor die Linse, wie um Motive bewusst zu verbergen oder zu verfremden. Er beschreibt seine Erkenntnis über Beirut als eine der inkompatiblen Geschwindigkeiten: Dass Menschen, Tiere und Gebäude vor Ort sich ständig bewegten und verwandelten – in einer Geschwindigkeit, der die Fotografie nicht nachkomme. Dass das spätere Foto einen anderen Zustand abbilde, als den zuvor anvisierten. „Es kam vor, dass ich menschenbelebte Straßen fotografierte, die in den fertigen Bildern als leer erschienen“. Nur Pflanzen und Bäume hatten Geduld, auf den Fotografen zu warten. Aber für eine Stadt wie Beirut, die sich ständig bewegt, sich in einem so immensen Tempo verändert, scheint selbst die kürzeste Verschlusszeit nicht fähig, das Geschehen abzubilden. All das erzählt Walid Raad mit seinen Bildern, ihrer Technik, ihren Unzulänglichkeiten, der lebendigen Reflexion über ihr Vermittlungsvermögen: sie dokumentieren nicht nur Beirut in seiner für den Künstler so unbegreiflichen Veränderlichkeit, sondern auch die Suche nach geeigneten Mitteln diesen Wandel überhaupt greifbar werden zu lassen.

Der Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie. 2005 wurde Walid Raad mit dem Camera Austria-Preis der Stadt Graz für zeitgenössische Fotografie ausgezeichnet – parallel zur Eröffnung seiner Personale am 28. Jänner  wurde nun der mit 14.500 Euro dotierte Preis für das Jahr 2009 von Kulturstadtrat Dr. Wolfgang Riedler überreicht – Preisträgerin ist die kroatische Künstlerin Sanja Iveković. In ihren konzeptionellen Arbeiten steht die Beschäftigung mit Medien, ihren Codes und ihrer Auswirkung auf das Verhalten der Gesellschaft im Vordergrund. Über die Fotografie versucht sie jene auch gender-spezifischen Machtstrukturen sichtbar zu machen, die das alltägliche Leben in den Bereichen öffentlich und privat bestimmen.
Walid Raad, Sweet Talk: Commissions (Beirut) – bis 5. April in der Camera Austria zu sehen.
| Eva Pichler
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