Schön langsam sickert es in die Wahrnehmung der Verantwortlichen – KulturpolitikerInnen, VeranstalterInnen, IntendantInnen, PädagogInnen –, aber auch der Kulturschaffenden selbst ein: Ohne Kulturvermittlung werden den Kultur-ProduzentInnen bald die RezipientInnen ausgehen. Ein exzellent besetztes Symposium der Grazer Spielstätten setzte sich mit den Bedingungen und Möglichkeiten von Musikvermittlung im Besonderen und Kulturvermittlung im Allgemeinen auseinander – und mit der Rolle, die der Kulturpolitik bei der Schaffung entsprechender Voraussetzungen zukommt.
In den nächsten 30 Jahren wird das Publikum um 36% zurückgehen. Das jüngere Publikum wächst kaum nach, nur drei Prozent der 14- bis 29-Jährigen interessiert sich für Klassik.“ Die Zahlen, die Heiner Gembris, Leiter des Instituts für Begabungsforschung an der Universität Paderborn für die Entwicklung des Sektors der klassischen Musik nennt, sind in der Tat alarmierend; in den anderen Sparten dürfte der Trend vielleicht etwas weniger dramatisch sein, aber genauso nach unten weisen.
Theater: Was tun mit „Märchen aus den Zeiten der Aufklärung?“ Die Distanz zum humanistischen Bildungskanon vergrößert sich zweifellos. So konstatierte Regina Guhl, Chefdramaturgin des Grazer Schauspielhauses, bei einem der ersten Panels mit leicht kulturpessimistischem Gestus: „Das Bildungsniveau sinkt auf beiden Seiten – auf Seiten der Ausübenden ebenso wie auf jener des Publikums. Einem jungen Schauspieler muss ich ja genauso wie einem Schüler erklären, was Schiller eigentlich mit seinen Stücken bezweckte; die halten das ja beide für ein Märchen aus den Zeiten der Aufklärung.“ Wie hier gegengesteuert werden kann, erklärt Guhl am Beispiel des aktuellen theaterpädagogischen Programms des Schauspielhauses, SCHAUSPIEL AKTIV!, das von teilkarenzierten, einschlägig vorgebildeten LehrerInnen umgesetzt wird: Nicht der Text eines Stückes steht Im Mittelpunkt der Vorbereitung der SchülerInnen auf einen Theaterbesuch, sondern der darin behandelte Konflikt, auch in seinem historischen und gesellschaftlichen Kontext. „Erst ganz zum Schluss werden die Jugendlichen mit ein paar Zeilen Text konfrontiert – dann kommen sie als ExpertInnen ins Theater.“ MigrantInnen: „Unsere Gesellschaft ist noch nicht so weit.“ Dazu kommt, dass ganzen Sektoren der Gesellschaft – z.B. einem großen Teil der MigrantInnen – kein ihrer Ausgangsposition entsprechender Zugang zu Kunst und Kultur offensteht. Diesem Thema war beim Symposium ein eigenes Panel gewidmet, das Christoph Thoma, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der Grazer Spielstätten und selbst Musikpädagoge von Beruf, wie folgt resümiert: „Migrantische Zielgruppen zu erreichen wird immer über einzelne Initiativen funktionieren müssen, auch über idealistische Aktivitäten von KünstlerInnen und Vermittlern. Unsere Gesellschaft ist noch nicht so weit, dass diese Menschen flächendeckend als Teil einer kreativen Gesellschaft eingebunden werden. Es bedarf noch einer großen Kraftanstrengung, dieses Nebeneinander von Kulturen zu einer Einheit zu bringen.“
Kinder und moderne Klassik – ein gelungenes Experiment. Verständnis für Kunst zu wecken sollte früh beginnen: Anhand von Karlheinz Stockhausens „Tierkreis“ ging das Symposium mit einer Schulkonzert-Aufführung der Frage nach, wie Stockhausens Musik „für Kinder funktionieren kann.“ Thoma ist von den Ergebnissen überzeugt: „Das Beste ist für die Jüngsten gerade gut genug! Interaktion, Choreographie und insbesondere ein Konzept, wie und mit welchem Mittel junge Menschen erreicht werden können, sind essenzielle Fragen. Noch eine Erkenntnis, die es festzuhalten gilt, aber keineswegs neu ist: Kinder haben einen offenen Zugang zu neuen Kunstformen, insbesondere zu Neuer Musik. Darauf gilt es aufzubauen.“
Bemühungen der Politik. Im abschließenden Panel wurde schließlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen kulturpolitischen Rahmenkonzepten und Kulturvermittlung gestellt. Die deutsche Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann, ehemals Vorsitzende der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“, die einen 500-seitigen Bericht mit 400 Handlungsempfehlungen an die Politik zum Ergebnis hatte, versucht lokalen KulturpolitikerInnen und Kulturschaffenden die Angst vor solchen als „einengend“ empfundenen Planungsinstrumenten zu nehmen – sie würden Planungssicherheit für alle Beteiligten schaffen. Spannend der Bericht von Annette Richter-Haschka aus Berlin über das „Rahmenkonzept kulturelle Bildung“ der deutschen Hauptstadt: Der auf Basis dieses Konzepts wirkende „Projektfonds kulturelle Bildung“ ist finanziell so gut dotiert, dass er Kulturpartnerschaften zwischen jeweils 50 Schulen und Kulturinstitutionen finanzieren kann; das analoge österreichische Programm „p[ART]“kommt derzeit gerade auf 18 Partnerschaften in ganz Österreich, berichtete Ulrike Giessner-Bogner von KulturKontakt Austria. Die steirische Europaabgeordnete Hella Ranner sprach von Bemühungen der EU-Kulturpolitik, der Grazer Kulturstadtrat Wolfgang Riedler betonte, dass der Abbau von Barrieren im Mittelpunkt der Kulturvermittlung stehen solle.
Kein Programm ohne Kulturvermittlung. Immer wieder tauchte während der Tagung die Frage auf, wo denn Kulturvermittlung eigentlich angesiedelt sein sollte. Für große Institutionen wie das Schauspielhaus gelte, dass sie „die Vermittlung selbst in die Hand nehmen müssen“, sagt Guhl. Thoma relativiert und präzisiert: „Fakt ist, dass Kulturinstitutionen die Kunsterziehung an Schulen nicht ersetzen kann, sie können lediglich begleitende Angebote schaffen und so unterstützend wirken. Ich bin aber davon überzeugt, dass Kulturinstitutionen ihre Philosophie insoweit hinterfragen werden müssen, dass kulturvermittelnde Projekte programmatisch essenziell werden.“ | Christian Stenner
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben. Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
|