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China: Auch über negative Seiten der Globalisierung sprechen
Freitag, 18. Dezember 2009
Kevin Li, Arbeitsrechts- und Umweltexperte und Mitbegründer der chinesischen NGO „Globalization Monitor“ (Hong Kong/China), war im Rahmen einer Europa-Tournee auf Einladung von Südwind und der Clean-IT-Kampagne zu Gast in Graz.
Seit vielen Jahren arbeitet Kevin Li mit Greenpeace China und anderen chinesischen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen. Gemeinsam mit AktivistInnen publiziert er auch eine Zeitschrift über die negativen Auswirkungen der Globalisierung in der IT-Industrie. In Graz stellte er unter anderem sein neues Buch „No Choice but to fight!“ vor, das den Kampf chinesischer ArbeiterInnen für bessere Arbeitsbedingungen dokumentiert.
Mit Kevin Li sprach Christian Stenner.

Das Wirtschaftswachstum der Volksrepublik China beträgt trotz Krise wieder 8 bis 10% jährlich. Wirkt sich das positiv auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen aus – oder ist es wie im Westen, wo seit den achtziger Jahren die Löhne stark hinter dem Wachstum der Kapitaleinkünfte zurückbleiben?
Ja, die Wirtschaft wächst, teilweise durch die Inlandsnachfrage bedingt, die vom Staat nun stärker unterstützt wird. Z.B. wird der Kauf von Saatgut durch die Bauern vom Staat subventioniert. Es gibt auch Subventionen für bestimmte Industriezweige wie die Elektronikbranche, mit dem Ziel, dass sich auch inländische KundInnen die Produkte leisten können. Und außerdem investiert der Staat jetzt stark in die Infrastruktur. Das Ziel ist, das Wirtschaftswachstum bei 10% zu halten. Parallel dazu steigen die Löhne der besser qualifizierten Mittelklasse.
Auf der anderen Seite besteht einer von Chinas Konkurrenzvorteilen in seinen billigen Arbeitskräften, von denen viele Investoren, vor allem Hongkong, Taiwan und andere asiatische Länder, Gebrauch machen. Es gibt zwar einen Mindestlohn, der aber sehr niedrig ist. Die meisten angelernten Arbeiter, die keine besonderen Fähigkeiten benötigen – etwa beim Zusammensetzen von Elektrogeräten – erhalten diesen Mindestlohn, und der steigt nicht jedes Jahr – und wenn, dann nur um ein bis drei Prozent, während die Inflation bei 6 bis 7% liegt.

Warum sind chinesische Arbeiter nicht so durchsetzungskräftig, was den Lohn betrifft? Wegen der Diktatur der kommunistischen Partei, wegen der großen Masse an industrieller Reservearmee, den Menschen, die nach wie vor aus den Dörfern in die Stadt kommen? Oder weil die offiziellen Gewerkschaften nicht für die Rechte der ArbeiterInnen kämpfen?
Ich denke, es ist eine Mischung aus all diesen Faktoren. Viele der ArbeiterInnen, die in den südchinesischen Fabriken arbeiten, kommen nicht aus der Gegend, sondern aus dem Landesinneren. Weil Bauern wenig verdienen, müssen ihre Kinder in die Städte ziehen, um einen Job zu finden. Die meisten Arbeiter entscheiden sich dazu, das verdiente Geld in ihr Dorf zu senden und nur sehr wenig Geld für sich selbst auszugeben. Trotz miserabler Bedingungen – schlechter Verpflegung und Unterbringung –machen die Arbeiter von ihrem Recht zu protestieren keinen Gebrauch.

In den frühen 80ern wurde in China das Recht zu streiken abgeschafft. Man liest aber immer wieder über Streiks in China – letzten Sommer haben Arbeiter eines Kohlenbergwerkes sogar einen Manager umgebracht. Was passiert mit den Leuten, die streiken?
Die Arbeiter dürfen sich nicht selbst organisieren, sondern müssen den kommunistischen Gewerkschaften beitreten. Aber viele sind stolz darauf, in einem Staatsbetrieb zu arbeiten. Wenn nun ein Stahlunternehmen an ein privates Unternehmen verkauft wird und dadurch die bisher eingezahlten Prämien der Sozialversicherung verfallen, protestieren die Arbeiter trotz des Verbotes.

Und sie werden dafür nicht bestraft?
Nein, weil bezüglich der Privatisierungen auch bei den politisch Verantwortlichen große Unsicherheiten bestehen.

China subventioniert schon seit langem den US-amerikanischen Konsum – und damit seine eigenen Exporte, indem es viel amerikanisches Kapital hält und damit einer Abwertung des Dollars entgegenarbeitet. Man hat immer gefürchtet, dass China im Rahmen der Wirtschaftskrise versuchen könnte, diese Anleihen wieder los zu werden. Gibt es Anzeichen dafür, dass es so ist?
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet. Aber ich denke, China will seine Investitionen global stärker streuen, und dessen ist sich die amerikanische Regierung bewusst.

War das Teil der Diskussionen zwischen Obama und der chinesischen Führung?
Ja, ich denke schon, dass darüber diskutiert wurde, wie chinesische Investitionen helfen können, die globale Wirtschaft zu verbessern, und welche Schritte China in Hinblick auf die US-Staatsanleihen verfolgt? Werden sie ihr Geld abziehen und in andere Dinge investieren, in anderes Kapital?

Ihr Buch „No choice but to fight“ konzentriert sich auf Probleme der IT-Industrie. Worum geht es da genau?
Unser Buch basiert auf Erfahrungen mit dem Hongkonger Unternehmen GP, das drei Fabriken in Südchina betreibt. In jeder arbeiten Tausende von Arbeitern. In den letzten vier bis fünf Jahren hat es einen Rekord an Arbeiterprotesten in diesen Fabriken gegeben, nachdem 2003 aufgedeckt wurde, dass die Arbeiter an Kadmiumvergiftung leiden. Der erste Schritt war eine Aufklärung über die Symptome, denn als sie dort zu arbeiten begannen, wussten sie nichts über die Risiken, sie waren schlecht informiert. Der zweite Schritt ist nun die Forderung nach einer medizinischen Untersuchung, damit sie wissen, was die Krankheitssymptome bedeuten, und medizinische Versorgung und Betreuung verlangen. Das Unternehmen versucht, dies zu vermeiden und Aktivitäten in der Fabrik zu unterdrücken. Manchmal schicken die Arbeiter sogar eine Delegation zur Landes- oder sogar zur Zentralregierung.
Die Batterien-Marke GP hat ihren Hauptabsatzmarkt in Europa, es ist sehr wichtig, dass der Konsument über die Situation in China Bescheid weiß, wenn er diese Produkte kauft.

Es gibt auch viele ausländischen Investoren in China, wie verhalten diese sich bei ähnlichen Problemen?
Es gibt ähnliche Fälle in Batteriefabriken, die im Besitz ausländischer Firmen sind, z.B. von Panasonic. Keiner der Arbeiter wird über die Gesundheitsrisiken informiert, wenn er seine Arbeit dort beginnt. Erst, wenn sie herausfinden, dass sie erhöhte Kadmium-Werte haben, protestieren sie in den Fabriken und fordern eine medizinische Untersuchung von dem Unternehmen. In China muss das Unternehmen allen Arbeitern eine medizinische Untersuchung zahlen, das gilt natürlich auch für ausländische Firmen.

Ein Teil der Globalisierung besteht umgekehrt auch darin, dass China verstärkt in Afrika investiert.
Ja, die chinesischen Investments in Afrika steigen, aber sie machen nicht den größten Teil der Auslandsinvestitionen aus. Mit chinesischem Geld werden Straßen, Brücken, Kraftwerke und andere Infrastruktur gebaut. Das wird immer positiv hervorgehoben – aber die Berichterstattung müsste auch die Situation der Arbeiter und die Umweltsituation berücksichtigen. Umweltzerstörung und Abholzung gehen da auf das Konto chinesischer Unternehmen.
Und es gibt immer wieder Konflikte zwischen chinesischen Managern und afrikanische Arbeitern, z.B. jüngst in Sambia. Die afrikanischen Arbeiter erhalten einen sehr niedrigen Lohn und werden sogar von den chinesischen Managern beschimpft. Deshalb protestierten sie auf der Baustelle, um sich über ihre Situation zu beschweren, zu Recht. Oder: In Ghana wird von der chinesischen Firma Sinohydro ein Wasserkraftwerk errichtet, viele Leute mussten deswegen wegziehen – und es wurde ihnen nicht einmal ein Ersatzdomizil angeboten. Es gibt viele solcher bedenklicher Projekte.

Sie selbst stammen aus Hongkong und geben dort auch Ihre Zeitschrift heraus – weil in Hongkong die Pressefreiheit größer ist?
Das ist auch ein Grund, aber der Hauptgrund liegt darin, dass AktivistInnen in Hongkong mehr Informationen von außen bekommen. 1999, als der WTO-Gipfel in Seattle stattfand, meinten wir, dass es an der Zeit sei, Informationen über Globalisierung und freien Handel an das chinesische Publikum weiterzugeben. Ich denke, es ist wichtig für uns, auch über die negative Seite von freiem Handel und Globalisierung zu sprechen. Deshalb haben wir unsere Publikation vor zehn Jahren gestartet und versuchen, sie in Hongkong, Taiwan und in der Volksrepublik China zu verbreiten, damit mehr und mehr Menschen wissen, was wirklich vor sich geht.
Und natürlich ist mir besonders wichtig, dass auch die Konsumenten in Europa sich der chinesischen Arbeitsbedingungen bewusst sind und Unternehmen, die bewusst gegen Arbeitsrecht und Umweltschutz verstoßen, mit Boykott belegen. Darüber veröffentlichen wir regelmäßig Informationen auf unserer Website http://www.globalmon.org.hk.
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