Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Gibt es noch Hoffnung für Amazonien?
Mittwoch, 18. November 2009

Die grüne Lunge unserer Erde ist nach wie vor schwer gefährdet.

Von Friedrich Graf-Götz (Wien, September 2009)

Der Regenwald ist gefährdet! Die Auseinandersetzungen zwischen Ureinwohnern, Naturschützern und Vertretern von Wirtschaftsinteressen an der Ausbeutung des Amazonas werden immer heftiger. Nicht alle Vorfälle haben einen so großen öffentlichen Widerhall wie die jüngsten, Anfang Juni 2009 stattgefundenen Zusammenstöße zwischen Indios und Polizisten im peruanischen Amazonasgebiet, bei denen insgesamt mindestens 47 Menschen starben und 153 verletzt wurden. Die Auseinandersetzungen zeugen von einem verstärkten Engagement der betroffenen Bevölkerung und der Zivilgesellschaft für den Erhalt Amazoniens.

Von internationalem Interesse ist das Schicksal des Amazonasgebiets nicht nur deshalb, weil die Entwaldungen den einmaligen, bis heute nicht vollständig erforschten Pflanzenbestand bedrohen, sondern auch Einfluss auf das Klima nehmen: Der Amazonas sorgt wie alle anderen Regenwälder, die entlang des Äquators angesiedelt sind, durch den regen Wasseraustausch für Kühle und Feuchtigkeit, in der heißesten Klimazone unserer Erde. Nicht nur, dass die fortschreitende Zerstörung des Waldes eine starke Störung des Wasserkreislaufes des Amazonasgebietes bewirkt und damit den kühlenden Effekt für das Klima reduziert. Auch der CO2-Welthaushalt gerät zunehmend in Gefahr. Die Bäume des Amazonas speichern nach einer Berechnung des WWF 90 bis 140 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. Das entspricht einer Menge, wie sie weltweit innerhalb von 9 bis 14 Jahren durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wird. Durch die Vernichtung der Wälder gelangen schon jetzt jedes Jahr bis zu 400 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre. Allein in Brasilien machen die Brandrodungen 75% der Treibhausgasausstöße aus – die Verbrennung fossiler Brennstoffe hingegen nicht einmal ein Viertel. Durch das Ausmaß der Brandrodungen ist Brasilien der viertgrößte CO2-Emittent.
Im Gegensatz dazu kann jeder Hektar intakten Regenwalds zwischen 90 und 545 Kilogramm Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre filtern und durch Photosynthese in Sauerstoff und Kohlenhydrate umwandeln. Gelänge es durch umfassende Schutzmaßnahmen, die noch verbliebenen 80 Prozent des Amazonas am Leben zu erhalten, könnten die Pflanzen große Mengen Treibhausgase binden. Wenn hingegen die Waldverluste fortschreiten, werden bis 2030 15 bis 26 Mrd. Tonnen CO2 freigesetzt. Das sind in etwa so viel wie heute weltweit pro Jahr durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen. „Wenn man alle tropischen Regenwälder der Erde abholzt, würde sich die Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre vermutlich um 25 Prozent erhöhen“, sagt der brasilianische Klimatologe Carlos Alberto Nobre.

Die Zerstörung des Regenwalds schreitet voran. Unbeeindruckt von obigen Berechnungen und Ereignissen wird die Vernichtung des Regenwaldes weiter betrieben. Marina Silva, Umweltschützerin und ehemalige Mitkämpferin von Chico Mendes1, 2007 vom brasilianischen Präsidenten Lula zur Umweltministerin ernannt, präsentierte im Jahre 2008 neue Zahlen, die durch genauere Satellitenbeobachtung gewonnen wurden. Danach sind allein zwischen August und Dezember 2007 siebentausend Quadratkilometer Wald geschlagen worden. Diese Fläche entspricht etwa der Hälfte der Waldfläche der Schweiz. Die Zerstörung sei viermal so hoch wie im Vergleichszeitraum 2004. Etwa ein Fünftel des Urwalds im Amazonas-Gebiet ist demnach bereits vernichtet. Allein seit 1970 gingen 700.000 km2 Wald (zweimal die Größe der Bundesrepublik Deutschland) verloren.
Marina Silva ist im Mai 2008, kurz nach der Veröffentlichung der dramatischen Zahlen über die großräumige Vernichtung des Regenwalds aus der Regierung Lula ausgeschieden. Nachdem der ehemalige Vorsitzende der Metallergewerkschaft ihr die Leitung über das Entwicklungsprogramm in Amazonien kurzerhand entzog, legte sie im Mai 2008 ihren Ministerposten nieder und kehrte in den Senat zurück. „Es ist besser, den Job zu verlieren als den gesunden Menschenverstand“ begründete sie ihre mutige Entscheidung. Sie war in der Umweltpolitik mit der Kehrseite der ganz auf Armutsbekämpfung durch Wachstum angelegten Politik des Präsidenten Lula konfrontiert und wollte die im Amazonasgebiet sichtbaren Folgen dieser Politik nicht mehr länger mittragen. Lula und der von ihm neu ernannte Umweltminister Carlos Minc kündigten nach Silvas Ausscheiden aus der Regierung zwar ein schärferes Vorgehen gegen illegale Waldrodungen an und kündigten verschiedene Maßnahmen an, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache.
In den schwer zugänglichen Urwäldern und den entlegenen Gebieten im Landesinneren sind Kontrollen kaum durchführbar. Nur 20 Prozent des Waldes stehen unter staatlichem Schutz und rund 21 Prozent sind den indigenen Völkern zugesprochen. Daneben sind rund 24 Prozent privat – mit teilweise zweifelhaften Eigentumsnachweisen – und 35 Prozent sind frei zugänglich, das heißt ohne offiziellen Flächennutzungsplan. Bis 2012 möchte die brasilianische Regierung mit internationaler Unterstützung 600.000 km2 neue Schutzgebiete schaffen2, aber ungeachtet der Eigentumsverhältnisse findet überall in den riesigen Waldgebieten illegale wirtschaftliche Nutzung statt. Und auch wenn moderne Satellitenbeobachtung zumindest großflächige Zerstörungen des Regenwalds schnell sichtbar machen, scheitert die Durchsetzung staatlicher Umweltauflagen und Maßnahmen oft an entgegen gesetzten regionalen Interessen und an der Korruptionsanfälligkeit der örtlichen Behörden.
Letztlich – und das zeigte der zu Beginn erwähnte peruanische Konflikt vom Juni dieses Jahres – sind es auch die Regierungen der Amazonasstaaten selbst, die ein starkes Interesse an der Nutzung der reichhaltigen Ressourcen des Amazonasgebiets haben und die Zerstörung weiter vorantreiben.
Auch im Land mit dem größten Anteil am Amazonas, in Brasilien, entstehen dem Wald und den dort beheimateten indigenen Völkern durch die zunehmende wirtschaftliche Ausbeutung große Schäden. Daran haben nicht nur die brasilianische Regierung, sondern in hohem Ausmaß ausländische Konzerne und die Industriestaaten großen Anteil.

Der Kautschukboom. Eine Periode intensivster wirtschaflichter Nutzung entstand der Region durch den Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1912 andauernden Kautschukboom. Den Wirtschaftszweig der Kautschukzapfer gibt es in eingeschränktem Maß auch heute noch. Die Kautschukzapfer haben in regelmäßigen Abständen viele Kilometer lange Pfade abzugehen, entlang derer die Gummibäume stehen. Mit schrägen Schnitten in die Rinde wird diese angeritzt, worauf der austretende Kautschuk langsam in einen am Baum festgebundenen Topf ausrinnt und beim nächsten Rundgang eingesammelt werden kann. Zum Kautschukzapfen wurden im 19. Jahrhundert versklavte Indios herangezogen. Nachdem sich die indigene Bevölkerung als zu krankheitsanfällig erwies, wurden später Zuwanderer unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen eingesetzt. Die Indios, die sich den in ihre Wälder eindringenden Kautschukzapfern widersetzten, wurden kurzerhand massakriert.3
Die Metropole des Kautschukbooms war die Amazonasstadt Manaus. Noch heute zeugen verfallene Prachtbauten und die mit italienischem Marmor erbaute Oper, das berühmte Teatro Amazonas, vom unermesslichen Reichtum der Kautschukbarone.
Nachdem die Monopolstellung der brasilianischen Kautschukgewinnung Anfang des 20. Jahrhunderts gebrochen war und Kautschuk durch synthetische Materialien ersetzt wurde, hat der Wirtschaftszweig seine Bedeutung eingebüßt.
Heute zählt die Gewinnung von Kautschuk zu den nachhaltigen Nutzungsformen des Regenwalds. Die Kautschukzapfer, die den Wald als ihre Lebensgrundlage sehen, sind auch eine der stärksten Bewegungen gegen die Zerstörung des Regenwalds. Chico Mendes, der 1988 vom Sohn eines Großgrundbesitzers ermordet wurde, war einer ihrer Führer.

Abholzung und landwirtschaftliche Nutzung. Eine der bekannten Ursachen der Regenwaldvernichtung ist die Abholzung von Tropenhölzern. Sie geschieht oft illegal und gilt als besonders problematisch, weil auf Grund der Artenvielfalt nur wenige der gesuchten Holzarten auf großen Flächen verteilt sind. Um diese Bäume zu erreichen, müssen daher Schneisen geschlagen, Straßen angelegt und Lagerplätze geschaffen werden, wozu große Waldgebiete gerodet werden müssen. Nach Untersuchungen in Pará wurden auf einem Straßenabschnitt von 700 m 1,7% der Bäume gefällt, aber 26% der übrigen Bäume zerstört oder schwer beschädigt. Ein Folgeproblem der kommerziellen Holzgewinnung stellen die landlosen Bauern dar, die den Straßen der Holzfäller folgen und zur Schaffung landwirtschaftlicher Nutzflächen im großen Stil Brandrodungen durchführen4.
Ein weiterer Grund der Vernichtung von Regenwald ist die Schaffung von Weideflächen und die Gewinnung von Land zur Anlage riesiger Monokulturen. Soja und Rindfleisch gehören heute zu den wichtigsten Exportgütern Brasiliens. Zu einer zusätzlichen Bedrohung des Regenwalds hat sich jüngster Zeit die steigende Nachfrage nach Biokraftstoffen entwickelt, das sich relativ leicht aus Zuckerrohr herstellen lässt. Befürchtungen erweckt auch die Nachricht, dass brasilianische Politiker Änderungen des Waldschutzgesetzes anstreben, um den Anbau der Ölpalme in großem Stil zu erleichtern. Das Gesetz soll in Hinkunft in einem größeren Ausmaß Rodungen ermöglichen, sofern die Flächen für den Anbau von Ölpalmen beziehungsweise Eukalyptus verwendet werden.

Der Plan der „Inwertsetzung“ Amazoniens. Staatliche Pläne zur systematischen wirtschaftlichen Ausbeutung der Amazonasregion entstanden zur Zeit des 2. Weltkriegs. Das im Vordergrund stehende, anfängliche Ziel war, die Kriegsindustrie der verbündeten USA mit Kautschuk und Eisenerz zu unterstützen. Dazu legte der diktatorisch regierende Präsident Getúlio Vargas 1940 einen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens vor, in dem die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Amazoniens einen zentralen Stellenwert hatte. Die systematische Erschließung und wirtschaftliche Nutzung Amazoniens wurde von den regierenden Militärs nach dem 2. Weltkrieg als „Plan zur Inwertsetzung Amazoniens“5 sogar in die Verfassung geschrieben. Die Finanzierung des Ressourcenabbaus geschah mit Krediten ausländischer Geschäftsbanken, führte jedoch nicht zur erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung, sondern bewirkte, dass Brasilien 1982 auf einem Schuldenberg von 93,9 Mrd. US $ saß und zahlungsunfähig war. Um vom Internationalen Währungsfonds, Weltbank und privaten Gläubigern weitere Kredite zu erhalten, musste Brasilien die üblichen Verpflichtungen eingehen: niedriges Inflationsniveau, Senkung des Haushaltsdefizits, Privatisierungen, Orientierung auf die Exportwirtschaft.
Viele der anschließend im Amazonasgebiet in Angriff genommenen Projekte geschahen mit dem Ziel unter Erfüllung der Auflagen der Großgläubiger die Zahlungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen Die Mittel dazu wurden von IWF, Weltbank, der EU und Großbanken zur Verfügung gestellt.
Drei Umweltkiller: Bauxitabbau, Aluminiumproduktion und Energiegewinnung in Amazonien. Dramatische Auswirkungen auf die Umwelt haben auch der Abbau von Bauxit und die Produktion von Aluminium. Diese Auswirkungen wurden eindringlich am Beispiel des Abbaugebietes am Rio Trombetas dokumentiert. Das Abbaugebiet, das das größte Bauxitvorkommen Brasiliens beherbergt, liegt im östlichen Teil des Regenwalds. Anfang der 70er Jahre begann dort die „Mineraçao Rio do Norte“ mit dem Abbau von Bauxit. Das Gebiet auf dem sich der gigantische Tagebau erstreckt wächst Jahr für Jahr um 300 km2. Die Bagger fressen sich immer weiter in den Urwald und zerstören die Landschaft und den Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Menschen.
Weitere soziale und ökologische Nebenwirkungen hat die Aluminiumproduktion in Aluminiumfabriken, die im brasilianischen Bundesstaat Pará angesiedelt wurden. Eine davon, die Fabrik „Alumar“ befindet sich in der Nähe von São Luis. Die Mehrheit an der „Alumar“ gehört dem US- Konzerns Alcoa. Beteiligt sind weiters der brasilianische Konzern Abalco, die Shell-Tochterfirma Billiton und der kanadische Konzern Alcan Inc. Produziert werden jährlich 400 Millionen Tonnen Rohaluminium.
Nicht nur, dass bei der Herstellung von Aluminium giftiger Rotschlamm6 anfällt, der in riesige künstliche Teiche gepumpt wird, die für die sensible Umwelt eine tickende Bombe darstellen. Auch der für den Produktionsprozess notwendige ungeheure Energiebedarf7 führt zu Folgeproblemen, die die Umwelt schwer belasten. Zur Produktion des erforderlichen Stroms wurden im Urwald riesige Stauseen angelegt. Allein die beiden größten Stauseen im Amazonasbecken, der Tucurui- und der Balbinastausee, haben eine Fläche von über 5000 Quadratkilometer Regenwald ertränkt. Das entspricht etwa der doppelten Fläche Vorarlbergs.
2007 hat die Regierung grünes Licht für den Jirau- und den Santo-Antonio-Staudamm
am Rio Madeira gegeben. Die Wasserkraftwerke sollen 6.450 Megawatt Energie liefern und bis zum Jahre 2012 fertiggestellt sein.
Aktuell plant die Regierung am Amazonasnebenfluss Xingu mit „Belo Monte“ einen neuen Staudamm, der mit 11.200 Megawatt, das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein wird. 400 km2 Regenwald und die Häuser von rund 15.000 Menschen werden überflutet. Dabei würde es jedoch voraussichtlich nicht bleiben. Experten meinen, dass sich Belo Monte wegen der saisonalen Schwankungen des Wasserzuflusses nur dann rechnen würde, wenn weitere Staustufen eingeplant werden. Nach dem Bau der ersten Staustufe von Belo Monte jedenfalls wird während der Phase der Flutung der Xingu auf 140 Kilometern Länge austrocknen. Auch hier werden die Fische verschwinden und die Tümpel werden zu Brutstätten für Moskitos, die Krankheiten wie Malaria verbreiten. Noch versuchen die Flussanrainer, Indios und Vertreter verschiedener NGO‘s mit Unterstützung des aus Österreich stammenden Bischofs Kräutler das Projekt zu verhindern. Der Damm ist jedoch fixer Bestandteil der Regierungspläne und Brasilien ist mittlerweile zur Finanzierung des Projekts nicht mehr in finanzieller Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern. Unbeeindruckt von allen Protesten konnte daher der Energieminister Edison Lobâo das Projekt als „unumkehrbar“ bezeichnen.
Warum die Regierung Lula an ihren Ausbauplänen festhält ist offensichtlich. Der multinationale Konzern Alcoa ist dabei, in Juruti, im Bundesstaat Pará neue Bauxitminen zu erschließen, wo ein neues Vorkommen von 280 Millionen Tonnen gefunden wurde. Alcoa plant 350 Millionen US-Dollar in das Projekt zu investieren und möchte dafür jährlich sechs Millionen Tonnen Bauxit abbauen. Die Mine soll anfänglich die Aluminiumfabrik Alumar bei São Luis beliefern, an der ALCOA zu 35 Prozent beteiligt ist. Die Kapazität der Fabrik wurde wohl um 30% erweitert, aber es wird darüber nachgedacht, ab 2011 zusätzlich eine neue Fabrik zur Herstellung von Rohaluminium in Juruti in Betrieb zu nehmen. Diese Projekte erfordern Zusagen für weitere enorme Energielieferungen. Auch für das weitere Wirtschaftswachstum Brasiliens wird Strom benötigt. Daher wird der Staudamm trotz der Proteste von Eingeborenen und Umweltschützern wohl gebaut werden. Zu stark sind die Interessen der Lula-Regierung, in einer globalen Wirtschaft mitzumischen.
Der Amazonas ist nicht nur Lagerstätte von Bauxit. Auch viele andere für Industriestaaten wertvolle Rohstoffe wie Mangan, Nickel, Tantal oder Kupfer lagern hier. Der Konzern Companhia Vale do Rio Doce (CVRD) etwa betreibt in der Bergbauregion Grande Carajäs seit 2002 fünf Kupferminen, Jährlich werden dort bis zu 690.000 Tonnen Kupfer abgebaut. Damit ist Brasilien, das bisher jährlich Kupfer für 300 Millionen Dollar importieren musste, in die Gruppe der fünf führenden Kupferproduzenten vorgestoßen.
Wenn es nach der Regierung Lula geht, wird sich an der Amazonaspolitik Brasiliens nicht viel ändern. Das wurde auch beim Weltsozialforum 2009 in der Amazonasmetropole Belem demonstriert.

Hoffnungen. Die Zivilgesellschaft gewinnt in Brasilien zunehmend an Bedeutung und hat durch die kürzlich erfolgte Ankündigung von Marina Silva, als Präsidentschaftskandidatin für die Grünen zu kandidieren, eine neue und zugkräftige Symbolfigur gefunden. Anfang 2008 rechnete sie die englische Tageszeitung „Guardian“ noch zu den Menschen, die dabei helfen könnten, „den Planeten zu retten“. Umweltschützer hoffen, dass im kommenden Wahlkampf mit der Kandidatur Marina Silvas zentrale Fragen der Amazonaspolitik zur Sprache kommen und die Umweltpolitik einen größeren Stellenwert erhält.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hingegen, der seit 2003 mit einer breiten Koalition regiert, die weit ins konservative Lager hineinreicht, möchte mit Zugeständnissen an die Agrarlobby seiner Wunschkandidatin Dilma Rousseff nächstes Jahr zum Wahlsieg verhelfen. Zu diesem Zweck hat seine Regierung im Juni dieses Jahres ein neues Gesetz geschaffen, das die Privatisierung von 674.000 Quadratkilometern Regenwald erlaubt. „Für bis Ende 2004 illegal besetzte Ländereien, die zusammen fast der doppelten Fläche Deutschlands entsprechen, kann der Staat nun Besitztitel ausstellen. Damit, so die offizielle Begründung, sollen die Landkonflikte in Amazonien entschärft und die Bestrafung von Umweltsündern erleichtert werden.“8
Kritiker wenden dagegen ein, dass das Gesetz Landraub und Spekulation belohne und die weitere Kolonisierung und Entwaldung Amazoniens fördere. Dilma Rousseff gilt wie Lula als Wachstumsbefürworterin . Sie hatte die Leitung des Energie- und Bergbauministeriums inne und ist seit 2002 einflussreiche Kabinettschefin der Regierung Lula. Gemeinsam mit Lula – und das ist wohl der Beginn ihres Wahlkampfes – versprach sie den Brasilianern Anfang September 2009 durch die Ausbeute der riesigen Ölfunde, die vor 2 Jahren im Atlantik gemacht wurden, Arbeitsplätze und Wohlstand. Versprechungen, die auch bei allen Großprojekten in Amazonien gemacht wurden. Bisher wartet die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten allerdings vergeblich auf ihre Einlösung.
Der Druck zur Änderung der brasilianischen Amazonaspolitik kann sich jedoch im kommenden Wahlkampf verstärken. Die Hoffnung dazu gründet nicht nur auf Marina Silva und die erstarkte brasilianische Zivilgesellschaft, sondern auch auf die Wendung in der Klimapolitik der USA. US-Präsident Barack Obama will die Treibhausgase in seinem Land bis 2020 auf den Stand von 1990 zurückzufahren und sich anders als die Regierung Bush dem Kyotoprotokoll anschließen. Es ist anzunehmen, dass unter dieser Konstellation bei der Neuverhandlung des Kyoto-Nachfolgeprotokolls im Dezember 2009 in Kopenhagen auch der Druck auf Brasilien zunimmt. Immerhin ist das Land aufgrund der Brandrodungen der viertgrößte CO2-Emittent.
Auch bei Weltbank und Weltwährungsfonds zeichnet sich ein Gesinnungswandel ab. Vielleicht liegt es also nicht in allzu großer Ferne, dass der Naturschutz auch in Brasilien soviel Gewicht erhält, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht auf das PPG-2 Programm beschränkt bleibt, sondern ihre Mitsprache bei allen künftigen Infrastruktur- und Großprojekten in Amazonien institutionalisiert wird. Öffentliche Planung unter Berücksichtigung von Themen der Umwelt und der betroffenen Bevölkerung muss Standard werden.
Alles in allem ist es der hedonistische Lebensstil der reichen Nationen, der die Plünderung des südamerikanischen Regenwalds vorantreibt. Ein Lebensstil, der in der aktuellen Finanzkrise, in der wieder einmal demonstriert wurde, wie sehr Gier und Spekulation wirtschaftliches Handeln dominieren, in Frage stehen sollte. Und um abschließend auf die im Titel des Artikels gestellte Frage zurückzukommen: Es gibt viele positive Ansätze zum Schutz des tropischen Regenwalds, daher ist auch die Hoffnung für Amazonien aufrecht. Erfüllen wird sich diese Hoffnung jedoch wohl erst, wenn der in unseren postkolonialen Beziehungen mit den Ländern Amazoniens aufrechte Mythos von Eldorado einer Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten weicht.

1     Führer der Landarbeitergewerkschaft, ermordet im Jahr 1988
2     Das Schutzgebiete-Programm Arpa der brasilianischen Regierung wird mit Hilfe internationaler Finanzmittel durchgeführt und gehörte schon unter Umweltministerin Marina Silva zu den ambitioniertesten Projekten des Umweltministeriums.
3     Brasiliens eingeborene indigene Bevölkerung umfasste um das Jahr 1500 ungefähr 6 bis 9 Millionen Menschen. Heute sind es weniger als 200.000. Die etwa 150 Völker (mit oft nur mehr einem Dutzend Angehöriger) haben jeweils eine eigene Sprache und Kultur. Viele der Kulturen und Lebensformen sind mit den Völkern spurlos untergegangen.
4     Ein Prozent aller Grundeigentümer verfügen über die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Hälfte aller Grundeigentümer besitzt jedoch nur über 2 Prozent des nutzbaren Bodens. Die Gelegenheit, in Amazonien ein vom Staat zur Verfügung gestelltes Grundstück zu besiedeln, war und ist für viele arme Bauern die Chance ihres Lebens.
5     Elmar Altvater: Sachzwang Weltmarkt. Verschuldungskrise, blockierte Industrialisierung, ökologische Gefährdung - Der Fall Brasilien. VSA-Verlag 1996
6     Für jede Tonne Aluminium, die von Alumar produziert wird, entstehen 1,4 Tonnen giftiger Rotschlamm.
7     Mit dem Strom, der für die Erzeugung einer Coladose benötigt wird, könnte eine Glühbirne 40 Stunden lang brennen.
8     Bericht von Gerhard Dilger, dem Südamerika-Korrespondenten der Berliner taz, vom 28.6.2009


Friedrich Graf-Götz ist Mitarbeiter des Renner-Instituts, Universitätslektor und freiberuflicher Berater. Der Schreiber des Artikels hat Mitte Dezember 2008 bis Mitte Februar 2009 Brasilien besucht und anlässlich des Weltsozialforums 2009 in Belem die Amazonasregion bereist.

Der Text wurde redaktionell gekürzt.

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