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Geballte Ladungen Opening Night, Zerbombt, Die Glut
Freitag, 18. Dezember 2009

Fußfrei – Theatertrips und -tipps - von Willi Hengstler

Deftiges Psychodrama. Vorängste erwiesen sich als überflüssig. Das Psychodrama „Opening Night“ im Grazer Schauspielhaus in der rasanten Inszenierung von Cornelia Crombholz musste sich das legendäre Filmoriginal von John Cassavetes nicht vorhalten lassen.

In einer Übergangsphase zwischen Jugend und Alter („Rites of Passage“), zusätzlich verletzbar durch eine anstehende Premiere, erlebt die Diva Myrtle, wie Nancy, ein siebzehnjähriges Mädchen und glühender Fan, tödlich verunglückt. Dieses Alter Ego erweckt sie dann selber zum Leben, nur um immer stärker von ihm heimgesucht zu werden. Dass Myrtle damit zum Katalysator der Eitelkeiten und Abgründe des Business wird und ihre Theaterkollegen vor der (triumphalen) Premiere wahnsinnig macht, ist unvermeidlich. In einer Mischung aus Verletzlichkeit, Furcht und Alkohol befreit sie sich schließlich von ihrem eigenen Gespenst, indem sie es tötet. Großer, verdienter Erfolg für eine sich selbst nicht schonende Steffi Krautz als Diva, die den Vergleich mit Cassavetes Ehefrau Gena Rowland nicht zu scheuen braucht. Begeisterter, verdienter Applaus für die Inszenierung … obwohl. Hollywoodfilme (und besonders die von Cassavetes) leben von der differenzierten Qualität der Nebendarsteller. Die Grazer Version setzt dagegen auf die Lustspielfigur Manny Victor des immerfort brüllenden (Respekt!) Götz Argus, auf eine sehr reduzierte Nancy als „Gespenst“, und die viel zu junge Sophie Hottinger als Sarah Goode. Dabei handelt es sich eigentlich um die 65-jährige Autorin eines Stückes über das Altern mit dem sprechenden Titel „Die zweite Frau“. Überzeugender sind da schon Jan Thümer als Myrtles Schauspielkollege und Otto David als ihr Produzent. Gastschauspielerin Anita Gramser hat als Frau des Regisseurs einen zwar neugierig machenden, aber leider viel zu kurzen Auftritt.
Mit „Opening Night“ hat Cassavetes auch einen  Film über die Theaterarbeit gedreht; Cornelia Crombholz übersetzt das filmische Moment zwar sehr effektvoll in ein auf die Drehbühne gestelltes Multifunktions-Stahlskelett (Bühne: Natascha von Steiger) und erspart diesmal ihren Schauspielern, lange Wege im Laufschritt zurückzulegen. Dieses Karussell führt aber auch dazu, dass für stillere, sensiblere Momente wenig Zeit bleibt. Ausnahmsweise vermisst man in dieser Version eines auf die Bühne gestellten Filmes zusätzliche Videoeinspielungen; die Filmbilder zu Beginn und Ende wirken als, „symmetrischer“ Kommentar zum Verhältnis von Theater und Film dann doch zu unentschlossen.
Pflicht für Theater- und vor allem Cassavetes-Fans, noch am 11., 16. und 30. 12. 2009 und am 8., 16. Jänner 2010. Cassavetes „Opening Night“ spielt übrigens am 9.12. um 23.35 auf Arte.

Krass.  „Ich liebe Dich“ ist eine gefährliche Drohung, die Welt schwarz und schlecht, Gewalt droht überall und Krieg tobt in uns und um uns und im Wohnzimmer: Das ist üblicherweise der Stoff für Komödien und heitere Singspiele. Sarah Kane hat darüber mit „Zerbombt“ ein sehr gutes Stück geschrieben und, die vorherrschende Schwärze gleichsam zum Lebensplan machend, Selbstmord begangen. Ernst M. Binder hat die düstere Allegorie gleich einem totalen Bombenangriff überwältigend und ohrenbetäubend in Szene gesetzt. Seine Fähigkeit, mit minimalistischen Mitteln starke Bilder, dichte Stimmungen, erschütternde Suggestionskraft zu mobilisieren, ist nie überzeugender gewesen. Respekt für den Totaleinsatz der Schauspieler – Werner Halbedl als Ian, der sich unter dröhnenden Hustenanfällen gleichzeitig zu Tode raucht und mit Gin umbringt; Ninja Reichert als Cate, die gerade in ihrer Unbestimmtheit neugierig macht und Rudi Widerhofer als wichtelartiger, von den eigenen Schandtaten schwer geschädigter Soldat. Flucht ist sinnlos, Distanzierung unmöglich. In dieser Unentrinnbarkeit liegt die Stärke, allerdings auch das Fragwürdige dieser Inszenierung. Die condition humaine, nach der alle unglücklich sind und dieses Unglück (wörtlich genommen) am Nächstbesten auslassen, wird an diesem Abend zum düsteren Überwältigungstheater: Von den Mitteilungen der Produktion bis zum Ödipus-Einschub und der allgemein ausbrechenden Anarchie weicht kein Detail vom rechten, tiefschwarzen Sinn ab. Aber für Botschaften – Verzeihung – ist traditionell die Post zuständig, jedenfalls so lange sie nicht völlig privatisiert wird. Jedenfalls gehört diese fugendichte, wahrhaft atemberaubende Inszenierung zum Interessantesten, was derzeit zu sehen ist.
Für alle, die es krass lieben: dieses Jahr noch vom 9. bis 12. Dezember in der neuen Spielstätte von dramagraz in der Schützgasse 16.

Zeitlos gediegen.
Die Premiere von „Die Glut“ nach dem Roman des Ungarn Sándor Márai im Grazer Schauspielhaus beginnt symptomatisch damit, dass ein weitgehend leerer, gediegen-zeitloser Salon (für das ausgezeichnete Bühnenbild zeichnet Damian Hitz verantwortlich) langsam von ganz hinten nach vorne zur Rampe fährt. Tatsächlich werden in der Bühnenadaption des Oskarpreisträgers Christopher Hampton, inszeniert von Ingo Berk, vielfache Erinnerungsräume vorgeführt: Im Makromaßstab der Untergang der K.u.K-Monarchie, auf der persönlichen Ebene die vierzigjährige, besessene Erinnerung des Generals Henrik an gescheiterte Liebe, verratene Freundschaft, verpfuschtes Leben und auf der formalen Ebene schließlich an ein zeitlos-gediegenes Theater, das von grellen, an Film und Events orientierten Inszenierungen zusehends verdrängt wird. Dafür stehen natürlich auch der Burgtheaterstar Helmuth Lohner als alter General Henrik und Gerhard Balluch als Konrad, sein Jugendfreund seit der Kadettenschule. Vor vierzig Jahren hat Konrad auf der Jagd auf den reichen Freund angelegt – der Mord als Jagdunfall. Einen Tag später verschwindet er, und Henrik, der das erste Mal die Wohnung seines ärmeren Freundes aufsucht, trifft dort seine eigene, geliebte Frau Kristine. Die Erinnerung an ein Buch über die Tropen, über das sie sich mit dem verschwundenen Konrad ausgetauscht hat, lässt ihn nicht zu Unrecht ein Komplott vermuten. Nun kommt der Freund aus den Tropen zurück und Henrik, lange allein mit seinen Erinnerungen, kann seine Fragen stellen.
Mit nur zwei bzw. drei Schauspielern ist „Die Glut“ einerseits ideales Vehikel für ein Tourneetheater. Andererseits beschwört das Stück mit großer Geste die großen Themen des Lebens. Die unaufdringliche, atmosphärische Musik Patrik Zellers untermalt ein enigmatisches Kippbild für einen unentwegt Redenden, seinen schweigenden Gast und einen Schatten – Kristine, die verstorbene Ehefrau. Die zwei kurzen Auftritte von Gerti Pall als Amme ausgenommen, hält Helmuth Lohner, ein manchmal ungemein jugendlich wirkender Greis, die Spannung allein auf der großen Bühne. Wobei Gerhard Balluch seinen schwierigen Part als schweigendes Gegenüber mit unaufdringlicher Präzision ausstattet.
Ironischerweise wird der Redefluss des Generals aber zu einer Apotheose des Schweigens: Eheleute, die acht Jahre, bis zum Tod des einen, nicht miteinander reden; Konrad, der ein bisschen von den Tropen erzählt, aber ansonsten schweigt und durch sein Schweigen  allerdings – „diese Frage beantworte ich jetzt auch nicht mehr“ – das Treffen der beiden (ehemaligen) Noch-Freunde stärker beeinflusst als der unablässig redende Gastgeber. Und schließlich dieser selbst, der das Tagebuch seiner Frau mit den Antworten darin ungelesen verbrennt.
Für Liebhaber zeitloser Qualität, noch am 9.12., 10.12., 15.12., 23.12., 27.12. und am 9.1., 13.1. und 15.1. 2010
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