Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
„Die Meistersinger von Nürnberg“, „Krankheit der Jugend“, „Das ewige Leben“ und „NippleJesus“
Mittwoch, 18. November 2009

Fußfrei – Theatertrips und -tipps - von Willi Hengstler

Das Grazer Opernorchester entwickelt unter Johannes Fritzsch für „Die Meistersinger von Nürnberg“, diese ausnahmsweise lebensbejahende, optimistische Oper Wagners mit ihrer berauschenden Kontrapunktik, einen kraftvollen, federnden Klang. Zentrum der Aufführung bilden stimmsicher James Rutherford als Hans Sachs und Marlin Miller, der als sein Geselle David auch schauspielerisch beeindruckt.

Burkhard Fritz als Walther von Stolzing und Gal James als seine Eva sind daneben akzeptabel, werden aber von Jochen Schmeckenbecher als sehr akzentuierter Sixtus Beckmesser auch stimmlich bedrängt. Das zwischen Turnsaal und Klassenzimmer angesiedelte Einheitsbühnenbild geht vor allem im zweiten Akt (nächtliche Gassen, Lauben) nicht immer auf. Regisseur Alexander Schulin und sein Bühnenbildner Alfred Peter zielen allzu vage auf Ironisierung der deutschen Schlagseite der Oper. Dabei ist die Geschichte bei aller Fragwürdigkeit auch in anderer Hinsicht aktuell: Eliten kontra Entwicklung, Verschulung kontra Kreativität, Vorschriften gegen wahres Empfinden. Am Ende erklingt aber doch Hans Sachs: „Ehret mir die deutschen Meister“, zu dem einem dann natürlich das Gedicht von Paul Celan einfällt. Bei aller Konventionalität durchaus gelungener Beginn der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka. Musikalisch sauberer Stoff für Wagnersüchtige bzw. brauchbare Einstiegsdroge, noch am 13. November und am 13. und 19. Dezember

Mit der „Krankheit der Jugend“ wird eine fiebernde Intensität assoziiert, eine aus der Krise genährte Lebensgier, eine Experimentierlust für das Leben aus dem Spiel der Hormone, inklusive Sex und Selbstmord. Ferdinand Bruckners provozierendes Stück war programmatisch für die krisenhaften Zwanziger- und Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Den expressionistisch verknappten Text nun im Zeitalter des Jugendwahns und im Schatten einer neuen Krise auf der Grazer Probebühne auszutesten, ist ein interessanter Ansatz.
Leider entwickelt Regisseur Henner Kallmeyer kein überzeugendes Verhältnis zu seinem Stoff. Weder inszeniert er die historische Zeit vor dem Ausbruch des Vulkans, noch testet er das Stück auf die unterkühlte Hip-Hop-Kultur der Gegenwart aus oder versucht Rückgriff auf hiesige Traditionen. Tatsächlich zeichnet sich ja in Ferdinand Bruckners amoralischem Intellektuellen Freder (Paul Maresch), dem Dichter Petrell (Mathias Spaan), der unterdrückten Lucy (Anna Kathrin Rausch) und der Studentin Desiree, die sich schließlich vergiftet (Ingrid Noemi Stein), schon deutlich das berüchtigte Personal von Wolfgang Bauer ab. Auch Bühnenbild und Kostüme (Franziska Gebhardt) bleiben in ihrem Understatement merkwürdig unentschlossen. Gute Ensembleleistung bei großer Spielfreude in einem etwas schnellen Ablauf; bemerkenswert die Besetzung der jungen Ärztin Maria mit Elena Schwarz.
Theoretisch interessant, noch am 11., 23. und 28. November und am 12. und 17. Dezember.

Detektiv Brenner, geradezu gediegen von Franz Solar gespielt, sitzt nach einem Kopfschuss (Mord sagt er, Selbstmord alle anderen) im Rollstuhl und versucht sich genauer zu erinnern. Er war nach Graz zurückgekehrt und war da von einem Jahrzehnte zurückliegenden Banküberfall mit drei anderen ehemaligen Polizeikameraden eingeholt worden. Mit dem aus dem Stoffhunger des Theaters und seinem Schielen nach Publikumszahlen geborenen Krimi-Projekt hat Christine Eder ihre bisher überzeugendste Regiearbeit in Graz hingelegt. Und das, obwohl (oder gerade weil) die ausgezeichnete Bearbeitung von Pia Hierzegger jede dramaturgische Einheit von Zeit, Ort und Handlung lustvoll pulverisiert. Indem die hochkarätigen Spieler durchgehend auf der Bühne bleiben, verschiedene Rollen übernehmen, augenzwinkernd Anspielungen auf das Theaterhandwerk äußern („Jetzt mache ich diesen“) oder akustische Comics (etwa ein unheimliches Dorf) produzieren, erzeugen sie die eigentliche Einheit der Brenner-Romane: eine doppelgängerische, den Detektiv begleitende, anonyme Erzählstimme. Selbst dem Kritiker wird die trübe Geschichte um drei Morde, einen Schlagfanfall und den schwer am Kopf versehrten Brenner irgendwann klar.
Nur Thomas Frank als Sittenwächter und Susanne Weber auf dem Schoß Brenners im Rollstuhl produzieren jeweils einen hysterischen Anfall, der nicht an modernes Volkstheater, sondern unmittelbar an hysterische Klamotten anschließt. Dominik Warta und Sebastian Reiß sind als Kripobeamte glänzend unterfordert. Und Andrea Wenzl, ausnahmsweise nicht das Seelchen vom Dienst, ist als „lebenslustige“ Kellnerin äußerst vergnüglich. Kongenial Bühnenbild („Puntigamer, traurig sama“) und Musik (Zither).
Pflicht für Haas-Fans, riskant, spannend, noch 10., und 20. November und am 5., 28., und am 31. Dezember (gleich zweimal!).

NippleJesus ist ein Kunst-Stück von Nick Hornby, englischer Bestseller- und Kultautor, einem großen Publikum bekannt durch (allesamt verfilmte) Romane wie „Fever Pitch“ (Fußball) oder „High Fidelity“ (Popmusik). Auch in seinem Einpersonenstück „NippleJesus“, zu sehen auf der Grazer Probebühne, widmet sich Hornby einem genau definierten Thema: Gustav Koenigs spielt „Dave“, Türsteher eines Nachtklubs, der auf der Suche nach einem weniger gefährlichen Job als Wächter in einer Galerie landet. Aber die Kunst bietet nicht weniger Gefahren als das Nachtleben. Nur treten an Stelle rostiger Stichwaffen verlogene Erfolgsstrategien, die statt der körperlichen Integrität eben die persönliche Identität gefährden. Kaum hat Dave gelernt, „sein“ Kunstwerk – einen aus winzigen Frauennippeln zusammengefügten Christus zu akzeptieren – muss er entdecken, dass die Kunstgegner bescheuert sind, Politik, Medien und Kritik ihre eigene Suppe kochen und selbst der Künstlerin ihr Werk nur ein Vorwand ist. Sehr ökonomische, dabei lockere Inszenierung von Katharina Schmidt eines Solos, das Gustav Koenigs mit schöner Verve in dem lässigen Bühnenbild von Tanja Kramberger bringt.
Sehr empfehlenswert, nicht nur für Fans und Skeptiker des Kunstbetriebes. Noch am 13., und am 15. November und am 10. und 31. Dezember.
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